Frühe Nutzenbewertung

Was tun mit den Unwuchten?

Gut zwei Jahre nach Start der frühen Nutzenbewertung zeigen sich Konstruktionsmängel. Das Gesundheitsministerium hält Korrekturen für möglich - nach der Wahl.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Sind Innovationen ihr Geld wert, weil sie einen Zusatznutzen haben? Die frühe Nutzenbewertung soll darauf eine Antwort geben.

Sind Innovationen ihr Geld wert, weil sie einen Zusatznutzen haben? Die frühe Nutzenbewertung soll darauf eine Antwort geben.

© Gina Sanders / fotolia.com

BERLIN. Die frühe Nutzenbewertung kann ein scharfes Schwert sein. Wählt der Bundesausschuss eine alte generische Vergleichstherapie und kommt er mit den IQWiG zu dem Ergebnis, dass ein Zusatznutzen nicht erkennbar ist, dann bleibt für die betroffenen Hersteller meist nur noch die Opt-Out-Lösung.

Siehe Linagliptin, das erst gar nicht in Deutschland eingeführt wurde, oder das Antiepileptikum Retigabin, das wieder vom Markt genommen wurde.

Ein von RS Medical Consult organisiertes Expertenforum hat jetzt eine Zwischenbilanz gezogen und erste denkbare Revisionsansätze für die Nutzenbewertung debattiert.

Die sind deshalb ernst zu nehmen, weil die Experten selbst unmittelbar politisch und/oder administrativ an der Nutzenbewertung beteiligt sind: Ulrich Orlowski, Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium, Josef Hecken, neutraler Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, IQWiG-Chef Professor Jürgen Windeler, Gerhard Schulte, einst BMG-Abteilungsleiter unter Seehofer, jetzt stellvertretender Vorsitzender der Schiedsstelle, die im Streitfall den Erstattungsbetrag festlegt.

Was sind die wunden Punkte?

Streitfall Evidenzlücke: Sie ist, da die Dossiers zumeist auf Zulassungsstudien beruhen, fast der Normalfall. Puristen können zu dem Ergebnis kommen: Ohne Beleg kein Zusatznutzen.

Der Umgang mit vorläufiger und unsicherer Erkenntnis scheint sensibler zu werden. Für IQWiG-Chef Windeler gilt aber: "Wenn alles unsicher ist, dann kann nur ein "Hinweis auf einen Zusatznutzen" herauskommen."

GBA-Chef Hecken geht weiter und plädiert auch für die Akzeptanz niedrigerer Evidenzklassen als 1b. Der Bundesausschuss müsse die Versorgung im Blick haben und dabei auch die "Schwarmintelligenz" verordnender Ärzte berücksichtigen.

Effektiver Rechtsschutz: Die Nutzenbewertung erfolgt über viele Teilschritte, aber erst am Ende - gegen einen Schiedsspruch über den Erstattungsbetrag - kann der betroffene Hersteller klagen.

Orlowski hält das nach wie vor für richtig, weil Klagen gegen Zwischenschritte "zur Ergebnis-Unfähigkeit führen würde".

Aber immerhin, einen Vorschlag von Schulte, eine Schiedsstelle bei Festlegung der Vergleichstherapie anrufen zu können, hält Orlowski für eine "Diskussionshypothese" - nach der Wahl.

Hecken ist in diesem Punkt ebenfalls nachdenklich: "Es könnte sein, dass man die Entscheidung des GBA über den Zusatznutzen als separaten Rechtsakt sieht, der beklagt werden könnte. Und zwar deshalb, weil dieser Rechtsakt unmittelbare Wirkung auf das Unternehmen hat, etwa für eine Opt-Out-Entscheidung oder sogar auf den Aktienkurs."

Ein weiterer Dollpunkt ist die Macht des GKV-Spitzenverbandes. Ist es richtig, dass diejenige Institution, die am Ende den Erstattungsbetrag verhandelt, beim Start des Verfahrens den Vergleichsmaßstab - die zweckmäßige Vergleichstherapie - mitbestimmt?

Gerhard Schulte hält die Dominanz des GKV-Spitzenverbandes für "offenkundig", Hecken wiederum bestreitet das. Orlowski hält die Kontroverse für interessant, insbesondere die Frage, ob nicht die Kasse mit der schwächsten Finanzlage die Richtung beim GKV-Spitzenverband beeinflusst.

Zumindest für erwägenswert hält Orlowski die Alternative dezentraler Verhandlungen mit Einzelkassen oder Kassenverbänden. Eine Aufgabe, die Uwe Deh vom AOK-Bundesverband strikt von sich weist.

Eines der größten Probleme für Claus Runge von Astra Zeneca ist der Umgang der Bewertungsinstitutionen mit vorläufigen, unsicheren Daten. "Die Risiken werden gesehen, die Chancen von Innovationen fast systematisch negiert."

Daraus folge für die Industrie eine Situation die Runge als "stabil labil" charakterisiert. Konsequenz: Die Kapitalmärkte reagieren mit Verunsicherung, Arbeitsplätze werden abgebaut.

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