Interview

Nutzenbewertung im Kostenkorsett

Die starke Fokussierung auf die Kosten in der frühen Nutzenbewertung kann Auswirkung auf den Innovationszugang für Patienten in Deutschland haben. Das gibt der Senior Vice President und General Manager von GlaxoSmithKline im Interview mit der "Ärzte Zeitung" zu bedenken.

Wolfgang van den BerghVon Wolfgang van den Bergh Veröffentlicht:
Dr. Sang-Jin Pak (links) im Gespräch mit Wolfgang van den Bergh.

Dr. Sang-Jin Pak (links) im Gespräch mit Wolfgang van den Bergh.

© Stefan Obermeier

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Pak: Die Große Koalition hält am Preisstopp für Arzneimittel fest und erhöht Rabatt von sechs auf sieben Prozent. Wie stark belastet das GSK?

Dr. Sang-Jin Pak: Ich darf daran erinnern, dass der Zwangsrabatt 2013 noch bei 16 Prozent gelegen hat. Die Absenkung auf jetzt sieben Prozent schafft wieder mehr Planungssicherheit.

Dennoch: Andere Maßnahmen wie die Fortschreibung des Preismoratoriums sind immer noch eine große Belastung für die gesamte Pharmaindustrie und selbstverständlich auch für GSK. Diese sind nicht sehr hilfreich, um Innovationen zeitnah nach Deutschland zu bringen. Und das hemmt auch Investitionen.

Können Sie jetzt schon absehen, welche Konsequenzen die Entscheidung etwa für die Arbeitsplätze in Deutschland haben kann?

Dr. Sang-Jin Pak

Aktuelle Position: seit August 2013 Senior Vice President und General Manager bei Glaxo-SmithKline Pharma Deutschland

Ausbildung: geboren 1970, Studium der Medizin, Promotion an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz

Werdegang: Assistenzarzt, 2002 Wechsel in die Industrie zu AstraZeneca als Produkt Manager in Korea, seit 2010 leitete er dort die Koreanische Organisation als Präsident

Privates: verheiratet, zwei Töchter

Pak: Wenn Sie sich die Entwicklung der letzten Jahre anschauen, dann hatte der erhöhte Zwangsrabatt seit 2010 ein Volumen von etwa 5,6 Milliarden Euro.

Unabhängige Wissenschaftler sind in der BASYS-Studie (Beratungsgesellschaft für angewandte Systemforschung "Die gesundheitspolitische Bedeutung der Pharmazeutischen Industrie in Bayern", Augsburg 2013; Anm. d. Red.) zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Entwicklung knapp 100.000 Arbeitsplätze gekostet hat, davon etwa 15.000 in der pharmazeutischen Industrie.

Konkret für GSK in Deutschland bedeutet die Entwicklung in den letzten vier Jahren einen Umsatzrückgang von fast 30 Prozent und eine Arbeitsplatzreduktion im dreistelligen Bereich.

Wie passen dann Kostendämpfungsmaßnahmen in eine Zeit, in der die Kassen ein sattes Milliarden-Polster haben und die Arzneiausgaben 2013 nur um 2,4 Prozent gestiegen sind?

Pak: Gute Frage. Sicherlich - die Reduktion des Zwangsrabatts und der Verzicht auf den Aufruf des Bestandsmarktes sind positive Signale.

Nur: Die Fortschreibung des Preismoratoriums und die jährliche Evaluation des Zwangsrabatts sind sehr fraglich, weil dem hohe Investitionen für die Entwicklung und Einführung neuer Wirkstoffe gegenüberstehen. Aufgrund der langen Entwicklungszyklen brauchen wir Planbarkeit und Planungssicherheit.

Was sagen Sie Kritikern, die sich trotzdem für eine Nutzenbewertung des Bestandsmarktes aussprechen?

Pak: Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist, weil Aufwand und mögliche Einsparungen in keinem Verhältnis zueinander stehen - das gilt übrigens für alle Beteiligten.

Einige Dossiers haben mehrere Hunderttausend Seiten. Da stimmt einfach der Kosten-Nutzen-Aufwand überhaupt nicht. Selbst Herr Hecken vom G-BA hat gesagt: ,Wir reiten hier ein totes Pferd... ‘.

Kommen wir zur frühen Nutzenbewertung. Als erstes Unternehmen haben Sie sich bei dem Wirkstoff Retigabin für ein Optout entschieden. Gehen die im Nutzen-Bewertungsprozess involvierten Gremien verantwortungsbewusst mit Innovationen um?

Pak: Die kurze Antwort lautet: nein. Lassen Sie mich das begründen. Es werden methodische Ansätze überprüft, die nicht immer Patienten-orientiert und auch nicht immer pragmatisch sind.

Beispiel Onkologie: Durch ethische Vorgaben für das Studiendesign und Vorgaben der Zulassungsbehörden sind wir oft im Dilemma, nicht die Methoden des IQWiG genau abbilden zu können, um für unsere Innovationen den Unterschied zu dokumentieren und demonstrieren, der das IQWiG zufriedenstellen würde.

Das Problem ist oft die zweckmäßige Vergleichstherapie. Der Ansatz der Nutzenbewertung ist vielmehr darauf konzentriert, Kosten einzusparen. Das kann negative Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit und zweitens auf den Innovationszugang von Patienten in Deutschland haben.

... würde aus Ihrer Sicht bedeuten?

Pak: ... dass Nutzenbewertung und Kostenfokussierung getrennt betrachtet werden müssen. Zudem sollten bei der Nutzenbewertung Wissenschaftler aus den Fachgesellschaften und Experten aus der Zulassungsbehörde ein Mitspracherecht bekommen.

Lassen Sie uns über Ihre stärksten Indikationen reden - Asthma und COPD. Wie ist der Stand der Dinge?

GlaxoSmithKline

Branche: Eines der weltweit führenden forschenden Arzneimittel- und Healthcare-Unternehmen mit Hauptsitz in London.

GSK ist Spezialist bei Indikationen wie Atemwege, Onkologie, Impfstoffe, Antithrombotika, Urologie, Dermatologie und Zentrales Nervensystem. Das 2009 mit Pfizer ausgegründete GSK-Tochterunternehmen ViiV Healthcare erforscht und bietet moderne HIV-Therapien. Hauptsitz des Geschäftsbereichs GSK Pharma in Deutschland ist München. Seit 1992 ist das GSK-Impfstoffwerk in Dresden das europäische Zentrum für Entwicklung und Herstellung von Grippeimpfstoffen. Der eigenständige Geschäftsbereich GSK Consumer Healthcare (u.a. Odol, Sensodyne, Dr. Best) hat seinen Sitz in Hamburg.

Umsatz GSK Pharma D: 2013 betrug der Jahresumsatz 766 Mio. Euro.

Mitarbeiter: 100.000 in über 100 Ländern, davon in Deutschland 1900 (inklusive Produktion in Dresden). 12.000 sind im Bereich Forschung und Entwicklung beschäftigt.

Wichtigste Produkte: Viani; Relvar Ellipta: Atemwege

Votrient; Arzerra; Tafinlar: Onkologie

Infanrix hexa, Rotarix, Priorix, Boostrix/Boostrix polio, Influsplit tetra: Impfstoffe

Benlysta: Behandlung der SLE

Pak: Wir sind weltweit Marktführer im Atemwegsbereich. Wir haben seit vielen Jahren mit Viani® ein etabliertes Produkt im Markt. In diesem Jahr haben wir mit Relvar®/Ellipta® eine neue Kombination zur Behandlung von Patienten mit Asthma und COPD auf den Markt gebracht.

Es ist die erste Fixkombination aus Kortikosteroid und langwirksamen Beta-2-Rezeptoragonist (LABA) mit einer 24-Stunden-Wirkung, so dass es nur einmal am Tag angewendet werden muss - ein großer Vorteil für Patienten.

Was haben Sie darüber hinaus in der Forschungspipeline?

Pak: Im Bereich COPD haben wir ein weiteres Produkt, das wir voraussichtlich noch in diesem Jahr launchen werden. Hier geht es auch um eine Fixkombination aus einem LABA und einem lang wirksamen muskarinischem Acetylcholin-Rezeptoragonisten (LAMA).

In den nächsten Jahren werden wir sehr wahrscheinlich noch einen monoklonalen Antikörper gegen schweres allergisches Asthma auf den Markt bringen. Patienten dürfen also noch einige nutzbringende Therapien von uns erwarten.

Thema Impfstoffe - diese machen 40 Prozent des Umsatzes von GSK aus. In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Schwarze Peter immer schnell verteilt, wenn es um Lieferengpässe geht. Sehen Sie darin eine Folge der Ausschreibungsproblematik?

Pak: Absolut - was die Impfstoffe generell angeht, sind wir in Deutschland mit 40 Prozent Marktführer. Wir haben eine breite Produktpalette sowohl für Erwachsene als auch für Kinder.

Was die Ausschreibungsproblematik angeht, haben wir es hier mit einer Doppelrabattierung zu tun: Zum einen sind unsere Preise wegen des EU-Referenzierungspreises stark abgesenkt worden. Darüber hinaus gibt es die Ausschreibung im Grippeimpfstoffmarkt.

Hier gibt es ein großes Problem. Warum? Es handelt sich bekanntlich um biologische Produktionsprozesse. Das heißt: Es müssen hohe Sicherheitsstandards eingehalten werden, sodass alleine für den Aufbau der Produktionsstätten Investitionen in Höhe von 200 Millionen Euro nötig sind. Permanente Qualitätsprüfungen, die wichtig sind, können aber auch dazu führen, dass es zu Lieferengpässen kommt.

Wenn dann im Rahmen von Ausschreibungen ein Hersteller einen Exklusivzuschlag erhält und er nicht liefern kann, haben wir das Problem, dass kein Mitbewerber sofort die Lücke füllt. Denn keiner der anderen Impfstoffhersteller wird diese ausgeschriebene Menge auf Halde produzieren. Dann kommt es zu einem Versorgungsproblem wie in der Grippesaison 2012/2013.

Sie haben ein hoch modernes Impfstoffwerk in Dresden ...

Pak: Das ist richtig. Wir haben dort eine hochmoderne Produktionsstätte, in der mittlerweile mehr Impfstoffe fürs Ausland als für Deutschland hergestellt werden.

Früher gingen etwa 24 Prozent aller dort produzierten Impfdosen an deutsche Patienten, zurzeit sind es etwa zwei Prozent. Der Rest geht in zirka 70 andere Länder.

Welche Konsequenzen ergeben sich darüber hinaus aus der Ausschreibungsproblematik - etwa mit Blick auf Empfehlungen der WHO?

Pak: Damit werden Innovationen ausgehebelt. Das gilt etwa für moderne Impfstoffe, wie etwa unser in Dresden produzierter tetravalenter Impfstoff, der anstelle von drei vier Stämme abdeckt - übrigens eine Empfehlung der WHO. Auch davon können aufgrund von Ausschreibungsregularien aktuell keine GKV-Patienten profitieren.

Wenn man dann bedenkt, dass Impfstoffe nur 0,5 Prozent der GKV-Gesamtkosten oder drei Prozent der Arzneiausgaben ausmachen, darf man die Kostenregulierungsmaßnahmen in diesem wichtigen Präventionsbereich sehr wohl hinterfragen. Ich will damit sagen: Wir gehen hier ein enormes Risiko ein, mit unberechenbaren Folgen für die Volksgesundheit.

Zurück zur frühen Nutzenbewertung: In seiner Drei-Jahres-Bilanz spricht G-BA-Chef Josef Hecken davon, dass Deutschland in den Rang von "Kulturstaaten" aufgestiegen sei. Können Sie das nachvollziehen?

Pak: Ich weiß nicht, was er damit gemeint hat und ich möchte auch nicht spekulieren. Das AMNOG ist als lernendes System eingeführt worden ...

... und es ist nichts besser geworden?

Pak: ... das will ich nicht sagen. Es kristallisiert sich nur heraus, dass nicht die Patientenversorgung, sondern immer wieder Kostenaspekte im Vordergrund stehen. Das, was im Zusammenhang mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie und dem Mitspracherecht der Unternehmen geändert wurde, also Flexibilisierung der Vergleichstherapie, möchte ich als eine Verbesserung in homöopathischen Dosen bezeichnen.

Nun hat der G-BA ja bei Ihrem Kinase-Hemmer Dabrafenib zur Behandlung des metastasierten Melanoms während des Verfahrens die Vergleichstherapien zu Ihren Gunsten gewechselt. Überrascht Sie das?

Pak: Diese Entscheidung war nur folgerichtig: Mit der Festlegung eines Wirkstoffs aus der Gruppe der BRAF-Inhibitoren als neue Standardtherapie wird dem aktuellen Wissensstand Rechnung getragen und der beträchtliche Zusatznutzen der neuen Substanzgruppe im Vergleich zum alten Therapiestandard Dacarbazin anerkannt.

Die neue Koalition ist fast vier Monate im Amt - welche Schulnote würden Sie Ihr für die Gesundheitspolitik geben? Was sind Ihre Erwartungen?

Pak: Wir müssen jetzt zunächst einmal das Halbjahreszeugnis abwarten... Es gibt ein paar gute Ansätze - etwa wenn es um die Definition von Versorgungszielen geht, wie die Erhöhung der Impfquoten.

Das Wichtigste für uns ist die Bereitschaft der neuen Regierung und hier insbesondere des neuen Gesundheitsministers Gröhe, den ressortübergreifenden Dialog auch mit der forschenden Industrie zu führen.

Ich sehe hier eine gemeinsame Aufgabe und Verantwortung, die Versorgung der Patienten zu verbessern. Wir als GSK und ich persönlich sind gerne bereit, an Lösungen mitzuarbeiten.

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