IQWiG

Routine-Daten bleiben keine valide Größe

Das IQWiG hält sich nur an die "Kunstwelt" klinischer Studien und bezieht Versorgungsdaten nicht ein, lautet eine häufige Kritik. Nun widmete das Institut sein Herbstsymposium ganz dem Status von "Real world data" - und blieb doch bei seiner Skepsis.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen ist skeptisch, ob Versorgungsdaten einen Mehrweirt im Vergleich zu klinischen Studien liefern.

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen ist skeptisch, ob Versorgungsdaten einen Mehrweirt im Vergleich zu klinischen Studien liefern.

© IQWiG

KÖLN. Ob Daten aus der Routine-Versorgung von Patienten die frühe Nutzenbewertung verbessern können - diese Leitfrage hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ihrem zweitägigen Herbstsymposium in Köln vorangestellt.

Doch Instituts-Chef Professor Jürgen Windeler verhehlte von Beginn an nicht seine Skepsis, ob "Real world data" tatsächlich einen Mehrwert im Vergleich zu randomisierten klinischen Studien (RCT) liefern.

Die entscheidende Frage sei, ob Daten aus der Routine-Versorgung patientenrelevanten Nutzen von Interventionen ermitteln können, die man aus RCT nicht ermitteln kann. "Where is the beef", fragte Windeler die Referenten der Tagung - wo ist das Fleisch dran am Knochen der "Real world data"?

Versorgungsbezug prüfen!

Daten aus der Routineversorgung sind eine notwendige Grundlage für die frühe Nutzenbewertung, sagte Professor Matthias Augustin, Direktor des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf.

Im Rahmen einer Studie an seinem Institut sind Dokumente des IQWiG und des Gemeinsamen Bundesausschusses nach Begriffen aus dem Kontext der Routine-Versorgung gescreent worden. Die Ausbeute fiel mau aus: Begriffe wie "Registerstudie", "Kohortenstudie" oder gar "Anwendungsstudie" waren in den Dokumenten kaum zu finden.

Für Augustin indiziert dies ein Manko: Will man patientenrelevanten Nutzen erheben, sei Nähe zu den real zu versorgenden Patienten gefordert, mahnte Augustin. Er forderte, die der Nutzenbewertung zu Grunde liegenden Studiendaten müssten auf ihren Versorgungsbezug geprüft werden.

Denn die Nutzenbewertung setze Festlegungen wie die Wahl der zweckmäßigen Vergleichstherapie voraus, die nur aus der Routineversorgung entnommen werden könnten, so Augustin. Vor diesem Hintergrund könnten Daten aus der Routine-Versorgung ein "Korrektiv der klinischen Studiendaten" sein.

Mit kritischem Blick auf die Arbeit des IQWiG zitierte Augustin aus einer Bewertung des britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE) über das neue Psoriasis-Medikament Secukinumab. Darin zeigte sich NICE "enttäuscht", dass das pharmazeutische Unternehmen nicht auf ein nationales Psoriasis-Register habe zugreifen können.

Diese Daten hätten eine reichhaltige Quelle für "Real life data" über die Versorgung der Patienten sein können, bedauerte das NICE. Ein vergleichbares Bedauern habe er in Deutschland noch nie gehört, sagte Augustin spitz in Richtung von IQWiG und GBA.

Potenzial von Versorgungdaten

Welches Potenzial "reale" Versorgungsdaten haben können, zeigte Professor Rolf Lefering vom Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM) an der Universität Witten-Herdecke.

Er stellte das Trauma-Register der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) vor und wies beispielhaft auf, inwieweit Registerdaten zur Evaluation von Maßnahmen taugen.

Dem seit 1993 bestehenden Register werden jährlich rund 35.000 Fälle pro Jahr gemeldet, zehn Prozent davon kommen aus dem Ausland. Insgesamt 674 Kliniken, die Schwerverletzte versorgen, melden dort ihre Daten. Angesichts der Schwierigkeiten, diese Patientengruppen in RCT abzubilden, seien die Registerdaten besonders wertvoll.

Breitem Publikum wurde das Register durch die Meldung bekannt, der 1. Mai sei der gefährlichste Tag des Jahres. Grund sind insbesondere Motorradfahrer, die nach der Winterpause untrainiert wieder auf ihre Maschinen steigen - und besonders häufig verunglücken, berichtete Lefering.

Seiner Einschätzung nach können Registerdaten im Rahmen outcome-adjustierter Vergleiche durchaus mit RCT-Daten in Beziehung gesetzt werden. Nötig seien dafür gute Adjustierungsinstrumente.

Schon vergleichsweise früh - in den Jahren 2002 bis 2004 - ließ sich durch Daten des Traumaregisters zeigen, dass eine Ganzkörper-CT-Untersuchung unmittelbar nach Einlieferung einen Überlebensvorteil für schwerverletzte Patienten darstellt. Erst Jahre später habe sich dieses Vorgehen in den Schockräumen der meisten Kliniken durchgesetzt, berichtete Lefering.

Sein Fazit war, dass insbesondere dann, wenn bereits gute Evidenz vorliegt, Registerdaten herangezogen werden können, um zu prüfen, ob im Versorgungsalltag tatsächlich das Richtige gemacht wird.

IQWiG-Chef Windeler warf die Frage auf, wie transparent die Adjustierung sei, um sie mit Daten aus klinischen Studien vergleichbar zu machen. Er beharrte darauf, Daten aus RCT und Registern seien von unterschiedlicher interner Validität.

Bei der Auswertung von Daten aus der Versorgung ist große Sorgfalt gefragt, mahnte Professor Thomas Mansky, der das Fachgebiet Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen an der TU Berlin leitet: "Wer falsch auswertet oder die falschen Fragen stellt, erhält auch falsche Antworten".

Morbi-RSA-Daten sind "wertlos"

Die in der stationären Versorgung erhobenen Daten seien im Prinzip "hervorragend". In der ambulanten Versorgung seien hingegen die Daten des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI) nicht vollständig - es fehlten Daten etwa aus den Selektivverträgen.

Daten aus dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich enthielten keinen Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) wie im stationären Bereich und seien damit "wertlos", konstatierte Mansky.

Er kritisierte insbesondere die Krankenkassen dafür, sie "säßen" auf ihren Daten und führten diese nicht kassenübergreifend zusammen. Mit Routinedaten ließe sich viel machen, "man muss es nur wollen", so Mansky.

Der Wissenschaftler sieht das Potenzial von Versorgungsdaten vor allem darin, die Ergebnisse von RCT zu überprüfen. Komme man dabei zu abweichenden Ergebnissen, dann sei ein "zweiter Blick" auf die RCT-Resultate angezeigt.

",Real world data‘ ersetzen nicht RCT, sondern ergänzen sie in sinnvoller Weise", so sein Fazit.

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