Arznei-Infosystem

Ärzte ins Boot holen

Das neue Arznei-Infosystem muss mehr können, als nur AMNOG-Beschlüsse abzubilden, mahnt Frank Schöning, Geschäftsführer der Bayer Vital GmbH, im Interview.

Wolfgang van den BerghVon Wolfgang van den Bergh Veröffentlicht:
Frank Schöning, Geschäftsführer Bayer Vital GmbH, im Gespräch mit Wolfgang van den Bergh (Ärzte Zeitung).

Frank Schöning, Geschäftsführer Bayer Vital GmbH, im Gespräch mit Wolfgang van den Bergh (Ärzte Zeitung).

© Hanne Engwald

Ärzte Zeitung: Herr Schöning, die Regierung steht, ein neuer Minister hat die Verantwortung im Gesundheitsressort übernommen. Was wünschen Sie Herrn Spahn?

Frank Schöning: Zunächst möchte ich Herrn Spahn gratulieren. Mit ihm haben wir einen ausgewiesenen Experten in der Gesundheitspolitik, der die Akteure im System alle sehr gut kennt. Ich wünsche ihm vor allem Durchsetzungskraft in einem Ressort, in dem es darauf aufkommt, die vielfältigen und komplexen Interessen zu bündeln. Ich bin überzeugt davon, dass Herr Spahn auch die Innovationskraft der Wirtschaft sehr schätzt.

Frank Schöning

» Aktuelle Position: Seit Dezember 2012 Geschäftsführer der Bayer Vital GmbH sowie Leiter der deutschen Division Pharmaceuticals in Leverkusen

» Ausbildung: 1994 Approbation zum Apotheker

» Werdegang: Geboren 1968, seit 1996 bei Bayer, Start als International Healthcare Management Trainee. Weitere Stationen waren Skandinavien, Marokko, Slowenien und Griechenland, wo er von Oktober 2008 bis Mitte des Jahres 2012 "President & CEO of Bayer Hellas AG" war

» Privates: Verheiratet, zwei Kinder

Stichwort Industrie. Oft stand zu Beginn einer neuen Legislaturperiode ein Kostendämpfungsgesetz. Das ist jetzt nicht der Fall. Besteht dennoch aus Ihrer Sicht Reformbedarf in Sachen Arzneimittelgesetzgebung?

Schöning: Die Finanzsituation bei den Kassen ist komfortabler als in anderen Jahren, wodurch sich Handlungsspielräume ergeben. Daher muss die Frage erlaubt sein, ob es nicht an der Zeit ist, die Regelungen zum Hersteller-Zwangsrabatt und zum Preismoratorium ernsthaft und vorurteilsfrei zu überprüfen. Zudem sehe ich Handlungsbedarf beim AMNOG, wenn man es denn wirklich als ein lernendes System versteht. Dabei denke ich an die Diskussion über die best-mögliche und die best-verfügbare Evidenz.

Die Koalition will den Pharmadialog fortsetzen. Welche Schwerpunkte gehören auf die Agenda?

Schöning: Ich wünsche mir, dass der Pharmadialog die Bedeutung von Arzneimittel-Innovation wieder stärker in den Fokus nimmt. Denken Sie an das Thema opt out: Mittlerweile sind 30 Arzneimittel vom deutschen Markt genommen worden. Wir sollten auch über Leitplanken für die regionale Arzneimittelverordnungssteuerung sprechen. Ich finde, wir sollten uns nicht im Klein-Klein verlieren. Wir brauchen eine Vision, wie die Arzneimittelversorgung in Zukunft aussehen soll, damit die Versorgung in den Regionen nicht auseinander driftet.

Aus der letzten Legislaturperiode ist das Arztinformationssystem liegengeblieben. Was ist aus Ihrer Sicht die Minimal-Anforderung an ein solches System?

Schöning: Meine erste Minimal-Anforderung wäre, dass man die Ärzte fragt, die damit arbeiten sollen, worüber sie informiert werden wollen. Das reine Abbilden der AMNOG-Beschlüsse bringt niemanden weiter. Auf einer solchen Grundlage wird kein Arzt eine Therapie-Entscheidung treffen können. Ich möchte daran erinnern, dass das AMNOG ein Preisfindungsinstrument und kein Verschreibungssteuerungsinstrument ist.

Und wie sieht es mit anderen Informationsquellen aus?

Schöning: Die Leitlinien der Fachgesellschaften spielen eine ganz entscheidende Rolle, wobei Erkenntnisse aus der Nutzenbewertung selbstverständlich auch verwendet werden sollen. Es gibt eine Untersuchung im Bereich der Onkologie, wonach 60 Prozent der Nutzenbewertungsbeschlüsse des Bundesausschusses von den Empfehlungen der Leitlinien, etwa der DGHO, abweichen. Das sorgt bei Ärzten für Verunsicherung und Irritationen.

Für Irritationen sorgen aber auch unterschiedliche Leitlinien-Empfehlungen der Fachgesellschaften. . .

Schöning: Das ist richtig. Deshalb sage ich ja, hier müssen die Ärzte gefragt werden, welche Art von Informationen sie für ihre tägliche Arbeit benötigen. Und darüber muss es innerhalb der Ärzteschaft einen Konsens geben.

Wenn wir über das Thema Irritationen sprechen, müssen wir über Mischpreise reden. Nach der Landessozialgerichtsentscheidung ist der Eindruck entstanden, das System stehe still. Ist die Aufregung überzogen?

Schöning: Es wird ein Erstattungspreis verhandelt, bei dem viele Aspekte zu berücksichtigen sind. Das erleben wir ja auch bei vielen Dingen des täglichen Lebens, bei denen sich der Preis aus verschiedenen Komponenten zusammensetzt. Das LSG-Urteil hat aber nicht dazu geführt, dass der GKV-Spitzenverband jetzt anders verhandelt. Mein Eindruck ist, dass auch nach der Entscheidung business as usual angesagt ist.

Was glauben Sie, wie wird das Bundessozialgericht (BSG) entscheiden?

Schöning: Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich hoffe nur, dass die BSG-Entscheidung der Schiedsstelle helfen wird, in Zukunft rechtssichere Sprüche zu treffen. Und dann sollte die Frage gestellt werden, ob die Politik für eine weitere Klarstellung sorgen muss.

Was wäre aus Ihrer Sicht die Alternative zu Mischpreisen?

Schöning: Ich sehe in der aktuellen AMNOG-Architektur kaum Handlungsspielraum für eine Alternative.

In unserem letzten Gespräch haben Sie gesagt, das AMNOG sei "Gefangener seiner eigenen Rigidität", hat sich das nach der AMNOG-Reform 2017 verändert?

Schöning: Eigentlich nicht. Die grundsätzliche methodische Rigidität der Zusatznutzenbewertung ist nicht aufgebrochen worden. Ich sagte es bereits: Es liegt zum Teil auch am Umgang mit der best-möglichen und best-verfügbaren Evidenz. Die Diskussion um Endpunkte und Surrogat-Parameter ist nicht gelöst. Ich bin der Meinung, dass das Thema Real World Evidence an Bedeutung gewinnen muss, weil daraus viele Erkenntnisse bezüglich der Wirkung und der Sicherheit zu gewinnen sind. Dazu brauchen wir allerdings allgemein akzeptierte Standards. Das ist kein Ersatz für randomisierte klinische Studien (RCT). Wir müssen nur eine richtige Balance finden zwischen dem, was realistisch verfügbar ist und dem, was theoretisch verlangt wird.

Hat sich das in irgendeiner Form auf die Bayer-Forschungs-Pipeline ausgewirkt: Wie viele Produkte, in welchen Indikationen sind derzeit in der Zulassung?

Schöning: Wir entwickeln unsere Arzneimittel ja nicht nur für den deutschen Markt. Wir sehen allerdings mit Sorge, dass zugelassene Arzneien wieder aus dem deutschen Markt verschwinden.

Was unser Entwicklungsportfolio angeht, befinden sich mit Stand Ende Februar 2018 48 Projekte in Studien der Phasen I bis III. Dazu gehören Projekte unter anderen in den Gebieten Onkologie, Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen, Gynäkologie, Hämophilie und Ophthalmologie. Die Palette reicht hier von einem neuartigen, oralen, nicht-steroidalen Mineralokortikoidrezeptor-Antagonisten zur Behandlung von Patienten mit diabetischer Nierenerkrankung, bis hin zu einer Vielzahl neuer Substanzen auf dem Gebiet der Onkologie, etwa beim Non-Hodgkin-Lymphom oder auch beim kastrationsresistenten Prostatakarzinoms. Darüber hinaus werden die am Markt befindlichen Produkte auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit für weitere Indikationen untersucht. Das gilt insbesondere für Rivaroxaban, das bei Patienten mit bestimmten Herz- und Gefäßerkrankungen eingesetzt werden soll, um schwerwiegende Ereignisse wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle effektiv zu verhindern.

Mit welchen Wirkstoffen wird man in diesem Jahr rechnen können?

Schöning: Wir haben den EU-Zulassungsantrag für Rivaroxaban bei koronarer Herzkrankheit oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit im November 2017 eingereicht. Basis dazu ist die COMPASS-Studie, über die im Lancet ausführlich berichtet wurde. In dieser führte Rivaroxaban in der vaskulären Dosierung (zweimal täglich 2,5 mg plus Acetylsalycylsäure 100 mg einmal täglich) zu einer Verminderung des kombinierten Risikos für Schlaganfälle, Herzinfarkte und kardiovaskuläre Todesfälle um 24 Prozent. Will heißen: Voraussichtlich müssen wir in diesem Jahr mit keiner Substanz ins AMNOG gehen, denn Xarelto® ist ein Bestandsmarktprodukt. Zudem haben wir auch einen Zulassungsantrag für Bay94-9027 (rFVIII) in der EU gestellt. Außerdem planen wir in diesem Jahr die Einreichung der Zulassungsunterlagen in Europa für den tumoragnostischen Wirkstoff Larotrectinib. Das wären dann wieder AMNOG-Kandidaten.

. . . mit welchen Chancen?

Schöning: Ich gehe davon aus, dass wir in beiden Indikationsgebieten, Hämophilie und Onkologie, dank des innovativen Therapieansatzes gute Chancen haben werden, was im Interesse der Patienten wäre.

Aktuell wird das Thema europäische Vereinheitlichung der Nutzenbewertung diskutiert. Der Bundestag hat bereits eine Rüge ausgesprochen.. Wie stehen Sie zu einer Harmonisierung?

Schöning: Ich bin der Meinung, dass eine europäische Konvergenz durchaus zukunftsweisend wäre – auch mit Blick auf eine engere Verzahnung und Kooperation von Zulassungsbehörden und Nutzenbewertungsinstanzen. Wir haben ja auch positive Erfahrungen bei der europaweiten Zulassung mit der EU-Kommission gemacht. Und die Standards haben sich seit deren Gründung ganz sicher nicht verschlechtert. Denken Sie auch an Länder, die nicht über die Ressourcen der Nutzenbewertung verfügen. Eine solche Harmonisierung würde ja nicht bedeuten, in die Preisfindung einzugreifen. Das muss Ländersache bleiben.

Das führt mich zu der Frage, inwiefern die mediale Aufmerksamkeit bei einem anderen Thema, nämlich der geplanten Fusion von Bayer und Monsanto, auf das Medizin-Geschäft abstrahlt.

Schöning: Ich fände es sehr schade, wenn sich ein Arzt durch eine öffentliche, zum Teil sehr emotional geführte Diskussion in seiner Therapiewahl beeinflussen ließe. Diese Diskussion hat eine gesellschaftliche Dimension. Ja, wir werden vereinzelt von Ärzten und von Apothekern auf das Thema angesprochen. Und wenn wir feststellen, dass es Diskussionsbedarf gibt, adressieren wir das auch. Das bedeutet, wir benennen Ansprechpartner aus unserem Agrargeschäft. Wir stellen uns der Diskussion und wollen zu einer Versachlichung beitragen.

Bayer AG

» Branche: Hauptsitz des Konzerns ist Leverkusen. Bayer ist ein weltweit tätiges Unternehmen mit Kernkompetenzen auf den Life-Science-Gebieten Gesundheit und Agrarwirtschaft. Das operative Geschäft obliegt den Divisionen: Pharmaceuticals, Consumer Health, CropScience sowie der Geschäftseinheit Animal Health. Das Unternehmen gehört weltweit zu den führenden, innovativen Unternehmen in der Gesundheitsversorgung mit Arzneimitteln und medizinischen Produkten für Mensch und Tier. Ebenso leistet Bayer einen wichtigen Beitrag zu einer zuverlässigen Versorgung mit qualitativ hochwertigen Nahrungs- und Futtermitteln sowie pflanzlichen Rohstoffen.

» Umsatz 2017: 35,0 Mrd. €

» F+E-Aufwand 2017: 4,5 Mrd. €

» Mitarbeiter 2017: in Deutschland 31.620, weltweit 99.820

» Umsatzstärkste Produkte im Bereich Gesundheit 2017 weltweit: Pharmaceuticals: Xarelto® (3.298 Mio €), Eylea® (1.880 Mio €), Xofigo® (408 Mio €), Stivarga® (315 Mio €) und Adempas® (295 Mio €) Consumer Health: Claritin® (585 Mio €), Aspirin® (462 Mio €), Bepanthen® /Bepanthol® (379 Mio €), Aleve® (375 Mio €), Canesten® (278 Mio €), Alka-Seltzer®-Produktfamilie (244 Mio €), One A Day® (222 Mio €), Dr. Scholl's® (211 Mio €), Coppertone® (208 Mio €), Elevit® (189 Mio €)

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