Halbzeitpfiff für die GroKo

Das ist Gröhes Zwischenbilanz

Mit der Pflegereform und dem Versorgungsstärkungsgesetz hat Gesundheitsminister Hermann Gröhe einige Mammutprojekte angepackt. Ein Blick zurück und nach vorn.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Gesundheitsminister Hermann Gröhe hat in den vergangenen zwei Jahren einige Großprojekte ins Rollen gebracht.

Gesundheitsminister Hermann Gröhe hat in den vergangenen zwei Jahren einige Großprojekte ins Rollen gebracht.

© Wolfgang Kumm / dpa (Archivbild)

BERLIN. Die Krankenkassen schreiben rote Zahlen, und die große Koalition ist sich in der Analyse uneinig. Zwei Jahre vor den nächsten Wahlen zum Deutschen Bundestag brechen in der Gesundheitspolitik alte politische Dissenzen zwischen Christ- und Sozialdemokraten wieder auf.

Die - noch - vergleichsweise leise ausgetragene Auseinandersetzung um die Kassenfinanzen ist ein Indikator dafür, dass die Koalition ihr vereinbartes Programm in der Gesundheitspolitik weitgehend abgearbeitet hat. Zeit also für erste Absetzbewegungen.

Der Gesundheitsexperte der SPD, Professor Karl Lauterbach, bringt angesichts des aufkommenden Kassendefizits als Remedur en passant mal wieder die Bürgerversicherung ins Spiel, die designierte gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Maria Michalk, betont in ihrer Replik die mittelstandsfreundliche, Arbeitskosten senkende Regelung, Arbeitnehmer mehr für die gesetzliche Krankenversicherung bezahlen zu lassen als ihre Arbeitgeber. Wenn die Wirtschaft brummt, profitieren alle.

Ab jetzt wird das Koalitionsklima herbstlicher

Für Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) dürften damit allmählich die Zeiten zu Ende gehen, in denen die Koalitionäre diszipliniert an ihren Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag werkelten.

Das Programm, das der 54-Jährige von den Koalitionären aufgegeben bekommen hat, ist stramm. Mit dem Versorgungsstärkungsgesetz hat die Politik die ambulante Versorgung in den Blick genommen, noch in Arbeit ist das Krankenhausstrukturgesetz, das Pendant für den stationären Sektor.

Das Versorgungsstärkungsgesetz versucht zu integrieren, was nur schwer zusammengeht - Zuckerbrot und Peitsche für die niedergelassenen Ärzte. Zum einen bahnt es jungen Medizinern Wege, sich in lukrativen Innenstadtlagen niederzulassen, zum anderen fordert es von der Selbstverwaltung, Praxen aufzukaufen, die in als überversorgt geltenden Bezirken liegen.

Das ist inkonsistent, zumal die als überversorgt geltenden Bezirke erst noch vom Gemeinsamen Bundesausschuss ermittelt werden müssen. Leicht vorhersehbar ist, dass solche, von beiden politischen Lagern betriebenen Maßnahmen, kaum zu der angestrebten adäquateren Verteilung von niedergelassenen Ärzten in der Fläche führen dürften.

Viel Gegenwind

Gegenwind gibt es auch gegen den Versuch, mit dem Innovationsfonds die Anschubfinanzierung für Unternehmungen der Integrierten Versorgung wieder aufleben zu lassen. Die Haushaltsregeln lassen es bislang nicht zu, nicht verbrauchtes Geld in die folgenden Jahre zu übertragen.

Der Fonds ist auf vier Jahre angelegt, in denen jeweils 300 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Leider lassen sich IV-Projekte sich nicht binnen eines Jahres auflegen, durchführen, abrechnen und evaluieren. Die Konsequenz ist, dass im kommenden Jahr einige Projekte mit Fondsmitteln gefördert werden, die dann aus den Ausschüttungen der Folgejahre Finanzierungssicherheit erhalten. War das so gedacht?

Auch der Entwurf eines Krankenhausstrukturgesetzes hat seine Macken. Sie sind darin begründet, dass nicht einmal eine Große Koalition im föderalen Bundesstaat Deutschland durchregieren kann. Die Länder haben den Bund in den vorbereitenden Verhandlungen am Nasenring durch die Arena geführt.

Sie dürfen auch weiterhin ihre Verpflichtung vernachlässigen, die Investitionskosten der Krankenhäuser zu übernehmen. Immerhin: Die mit dem Gesetz eingeführte Qualitätsausrichtung im stationären Sektor wird - zu einem noch lange nicht feststehenden Zeitpunkt - Landes- und Kommunalpolitikern Argumente in die Hand geben, die Allokation von Abteilungen zu straffen, eventuell sogar ein Krankenhaus zu schließen oder aus Mitteln des eigens dafür geschaffenen Strukturfonds in Pflegeeinrichtungen umzuwandeln.

Hermann Gröhe macht einen guten Job

Die Gesundheitspolitik der Koalition enthält zahlreiche solcher Wechsel auf die Zukunft. Die häufigen Stellenanzeigen des Gemeinsamen Bundesausschusses geben ein Gefühl dafür, wieviel zusätzliche Arbeitskraft die Selbstverwaltung benötigt, um die ihr von der Koalition gestellten Aufgaben abzuarbeiten.

Der ehemalige Partei-General Hermann Gröhe macht als Gesundheitsminister einen guten Job. Als Quereinsteiger hat er sich in die konfliktträchtige und von vielen interessierten Standpunkten aus kommentierte Materie gut eingefunden. Das ist aller Ehren wert.

Unterstützung im Kampf gegen die Fliehkräfte der Koalition fand Gröhe bislang in den wirkmächtigsten Autoren des gesundheitspolitischen Kapitels des Koalitionsvertrags, Karl Lauterbach und Jens Spahn (CDU), der vor kurzem als Staatssekretär ins Finanzressort gewechselt ist.

Opus Magnus dieser Konstellation ist die Pflegereform. Sie überstrahlt die auch für die Selbstverwaltung blamable Reparaturgesetzgebung wie das E-Health-Gesetz und die nicht ganz glücklich verlaufende Debatte darüber, wie sich die Sterbehilfe gesetzlich einhegen lassen könnte.

Erst in zehn oder vielleicht auch erst in zwanzig Jahren wird man genau begreifen, was die Neuausrichtung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs und die Verdopplung der Leistungen in der ambulanten Pflege bedeuten. Die Öffentlichkeit hat dafür ein Gespür. Dass die Koalition den Versicherten für die Pflege ab 2017 jedes Jahr rund sechs Milliarden Euro mehr abnimmt, hat tatsächlich niemand kritisiert.

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