Hintergrund

Große Koalition, kleines Gesetz: Vieles soll in der Gendiagnostik ungeregelt bleiben

Beim geplanten Gendiagnostik-Gesetz setzt die große Koalition auf die kleine Lösung: Alle Regelungen zur Verwendung gendiagnostischer Methoden in der Forschung werden im Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums ausgeklammert. Von Florian Staeck

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Bei einer Anhörung im Ministerium am 30. Juli haben mehrere Verbände Kritik am aus ihrer Sicht zu engen Regelungsumfang des Gesetzentwurfs geübt. Auch für die Bundesärztekammer (BÄK) ist es problematisch, dass nur Methoden der genetischen Diagnostik vom Gesetz erfasst sein sollen. Und das, obwohl beispielsweise "die virologische Diagnostik einer HIV- oder Hepatitis-Infektion durchaus prognostischen Charakter hat".

Umfassende Lösung durch Forschungsrahmengesetz

Für die Krankenkassen moniert die AOK, dass im Entwurf Bestimmungen für den Umgang mit genetischen Proben in der Forschung völlig fehlen. "Hier müssen konkrete Datenschutzbestimmungen etabliert werden", fordert Kai Kolpatzik, Arzt im Stabsbereich Medizin des AOK-Bundesverbands.

Dr. Wolfgang Wodarg, Arzt und SPD-Bundestagsabgeordneter, verteidigt den reduzierten Regelungsanspruch des geplanten Gendiagnostik-Gesetzes: "Es ist der falsche Ansatz, die wichtigen Fragen des Schutzes von medizinischen Daten nur anhand der Gendiagnostik zu regeln. Wir brauchen vielmehr ein Forschungsrahmengesetz", sagte Wodarg der "Ärzte Zeitung". Auch phänotypische Daten seien in diesem Zusammenhang wichtig. Der Parlamentarier sieht allerdings keine Chancen für ein solches Gesetz noch in dieser Legislaturperiode.

Unter der rot-grünen Regierung war der erste Anlauf für ein Gentest-Gesetz nach langwierigen Beratungen auch aufgrund der verkürzten Wahlperiode gescheitert. Damals seien sechs Ministerien in der Abstimmung des Gesetzes beteiligt gewesen -  eine wechselseitige Blockade war die Folge, berichtet Wodarg.

Behindern Datenschutzregeln den Fortschritt in der Forschung?

Schon seit vergangenem Herbst liegt dem Bundestag ein eigener Entwurf der Grünen für ein Gentest-Gesetz vor. Bei seiner ersten Lesung im Bundestag im November 2007 hat Annette Widmann-Mauz, gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, den Grünen noch "bürokratische und forschungsfeindliche Regelungen" vorgehalten. Im Grünen-Entwurf regeln umfangreiche Vorgaben, wie mit Gendaten von Probanden in der Forschung umgegangen werden soll: Aufklärung, Einwilligung und Widerruf von Probanden werden dort ebenso aufgeführt wie die Forderung, dass personenbezogene Daten möglichst anonymisiert werden sollen - auch, um andere Nutzungen, etwa durch Strafverfolgungsbehörden, auszuschließen.

Widmann-Mauz wies diesen Regelungskatalog damals zurück: Dies würde "den medizinischen Fortschritt behindern und einen raschen Zugang der Patienten zu innovativen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten verwehren".

Das sieht der Verband der Diagnostica-Industrie anders. Er hält es für nötig, auch Vorgaben für die Verwendung genetischer Daten in der Forschung zu machen: "Auch Wissenschaftler müssen wissen, was erlaubt ist und was nicht, denn Unsicherheiten können Forschung genauso behindern wie überzogene Beschränkungen."

Unterschiede zwischen dem Entwurf des Ministeriums und der grünen Gesetzesvorlage gibt es auch bei vorgeburtlichen Untersuchungen. In beiden Entwürfen lautet die Vorgabe, dass genetische Untersuchungen vorgeburtlich nur zu medizinischen Zwecken vorgenommen werden dürfen. Nur die Grünen wollen explizit auch pränataldiagnostische Untersuchungen mit Blick auf spät manifestierende Erkrankungen ausschließen -  etwa bei der genetischen Disposition einer Frau, als Erwachsene an Brustkrebs zu erkranken. Die Koalition hält es für unnötig, die Zahl der pränatalen Untersuchungen zu begrenzen: "Aufgrund der verpflichtenden Beratung werden sich Angebot und Nachfrage vorgeburtlicher genetischer Untersuchungen regulieren", zeigt sich das Gesundheitsministerium überzeugt. Leitbild des Gesetzentwurfes sei "der informierte Patient".

Pränataldiagnostik - was muss geregelt werden?

Allerdings sind derartige Untersuchungen auf spät manifestierende Erkrankungen in Nachbarstaaten bereits gang und gäbe. In den Niederlanden hat die Regierung erst im Juni beschlossen, dass Eltern bei künstlich gezeugten Embryonen jene aussortieren dürfen, die die "Risikogene" BRCA-1 und BRCA-2 im Erbgut haben. In Deutschland ist die Präimplantationsdiagnostik verboten.

Der SPD-Politiker Wodarg sieht auch bei der Regelung vorgeburtlicher Untersuchungen die Gefahr, das Gesetz zu überfrachten. Zur Pränataldiagnostik gehörten etwa auch Ultraschalluntersuchungen zur Messung der Nackenfalte. Das müsse am besten in einem Fortpflanzungsmedizingesetz geregelt werden - in der nächsten Legislaturperiode.

Der Entwurf im Web: www.bmg.bund.de Menü "Gesetze" und "Gesundheit"

Zentrale Ziele des Gendiagnostik-Gesetzes

Durch wachsende Erkenntnismöglichkeiten wächst das Risiko des Einzelnen, aufgrund genetischer Merkmale diskriminiert zu werden.

Der Entwurf für ein Gendiagnostik-Gesetz schreibt daher vor, dass entsprechende Untersuchungen nur von Ärzten vorgenommen werden dürfen. Er legt fest, dass niemand wegen der Vornahme oder Nicht-Vornahme einer genetischen Untersuchung benachteiligt werden darf. Das geplante Gesetz stellt heimliche Vaterschaftstests unter Strafe und verbietet Versicherern, von Kunden genetische Untersuchungen zu verlangen oder ihnen vorhandene Ergebnisse mitzuteilen.

Dies gilt jedoch dann nicht - beispielsweise für Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherungen -, wenn die Versicherungssumme über 250 000 Euro liegt oder eine Jahresrente von über 30 000 Euro vereinbart wurde.

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