Wie viele Stunden braucht es für eine Agnes?

Erste Ergebnisse der Modellprojekte zeigen: das Agnes-Konzept wirkt. Über die Qualifikationsanforderungen an die Kräfte gibt es weiter Streit.

Von Bülent Erdogan Veröffentlicht:
Für den Hausarzt vor Ort: Eine Agnes-Kraft misst den Blutzucker einer Patientin.

Für den Hausarzt vor Ort: Eine Agnes-Kraft misst den Blutzucker einer Patientin.

© Foto: ddp

BERLIN. Das Fortbildungskonzept von Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis (VERAH) erfüllt nach Ansicht der Wissenschaftlerin Dr. Neeltje van den Berg von der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald nicht das Anforderungsniveau für eine arztentlastende Betreuung nach dem "Agnes"-Modell.

VERAH sei zwar ein gutes Konzept, sagte van den Berg auf dem 2. Kongress Gesundheitskommunikation in Berlin. Im Vergleich mit dem von der Uni entwickelten Curriculum handele es sich jedoch um "Agnes-Light"-Kräfte. In der Tat unterscheiden sich die Fortbildungsniveaus auf den ersten Blick deutlich: Das Institut für hausärztliche Fortbildung (IhF) des Deutschen Hausärzteverbands sieht für die von ihm entwickelte Weiterbildung von Arzthelferinnen zur VERAH 160 Theorie- und 40 Praktikumsstunden vor, das Curriculum der Uni hingegen über 600 Theorie- und 200 Praktikumsstunden. Der Gesetzgeber habe eindeutig das Agnes-Modell als Vorbild für die Delegation von Hausbesuchen an Pflegekräfte oder Arzthelferinnen aufgeführt, sagte van den Berg.

Nach Ansicht von IhF-Geschäftsführer Robert Festersen kommt es indes nicht auf die Zahl der Stunden an, sondern auf die Inhalte: "Unser Curriculum setzt bei der Vorerfahrung der Mitarbeiterinnen in den Arztpraxen an - und darauf, dass sie die Patienten teils über Jahre hinweg kennen", sagte er auf Anfrage der "Ärzte Zeitung." Bewusst habe man pflegerische Inhalte herausgelassen, da diese den Patienten über die Kooperation mit häuslichen Pflegediensten angeboten würden. Das Greifswalder Curriculum sei hingegen für Pflegekräfte konzipiert, denen die hochspezifischen Kenntnisse der Arzthelferinnen fehlten.

An der Uni Greifswald erfolgt in diesen Wochen derweil die Auswertung der Agnes-Modellprojekte in vier ostdeutschen Bundesländern. Insgesamt nahmen daran 1424 Patienten, 53 Hausärzte, 32 Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und sechs Arzthelferinnen teil. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 78,6 Jahre teil.

Im Rahmen der Projekte erfolgten bislang 11 228 Hausbesuche, 1305 Medikamentenanamnesen bei 783 Patienten, 550 Sturzprophylaxen und 2720 Kontrollen der Compliance sowie 414 geriatrische Assessments. Die Greifswalder zählten rund 300 delegierte Tätigkeiten. 15 Prozent davon waren medizinischer Art wie Blutentnahmen, Injektionen, Wund- und Dekubitusbehandlungen.

Von den 53 teilnehmenden Hausärzten lagen zur Einschätzung der systemischen Effekte die Antworten von 42 Kollegen vor: 90,5 Prozent von ihnen gaben an, dass das Konzept sie entlastet, 88 Prozent, dass es sich positiv auf die Compliance der Patienten auswirkt. Und auch die Patienten sind offenbar zufrieden: So gaben von 667 Patienten 99 Prozent an, dass die Agnes-Kraft für sie eine kompetente Ansprechpartnerin in Gesundheitsfragen ist; für 92 Prozent (N=657) war die Qualität vergleichbar mit der bisherigen Betreuung durch ihren Hausarzt.

Auch die in das Modell gesetzten Hoffnungen in eine bessere Patientenversorgung gerade in ländlichen Gebieten könnten sich den Daten nach erfüllen: Die sechs teilnehmenden Ärzte des MVZ Lübbenau jedenfalls hätten die Zahl ihrer Patienten um 1000 pro Quartal steigern können, sagte van den Berg.

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