Der Pflegeberuf zerrt häufig an den Nerven

Die Krankenkassen verzeichnen bei erwerbstätigen Versicherten einen Anstieg der Fehltage durch psychische Erkrankungen. Die Daten zeigen, dass in vielen Unternehmen Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung erforderlich sind.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:

DÜSSELDORF. Die hohe psychosoziale Belastung an ihrem Arbeitsplatz bekommen Pflegerinnen und Pfleger im Krankenhaus oft schmerzhaft zu spüren: Sie erkranken überdurchschnittlich oft und lange an psychischen Erkrankungen. Das zeigt der Gesundheitsreport 2009 der Barmer, der auf der Auswertung von Arbeitsunfähigkeitsdaten basiert.

Am Personal wird in den Kliniken immer mehr gespart, aber die Arbeit wird nicht weniger. Das schlägt vielen Pflegekräften auf die Psyche.

Am Personal wird in den Kliniken immer mehr gespart, aber die Arbeit wird nicht weniger. Das schlägt vielen Pflegekräften auf die Psyche.

© Foto: imago

Das Krankenpflegepersonal fehlte danach bei depressiven Episoden im Jahr 2008 im Durchschnitt 50,7 Tage. Zum Vergleich: Bei Bürokräften dauerte diese Erkrankung 44,3 Arbeitsunfähigkeits-Tage, bei Bankfachleuten 40,8 Tage. Aufgrund von alkoholbedingten Störungen fehlen Krankenpfleger im Schnitt 53,3 Tage, Bürokräfte 37,3 Tage und Bankfachleute 29,2 Tage. "Die Zahlen zeigen, dass wir uns sehr spezifisch die Arbeitsbedingungen in den einzelnen Bereichen anschauen müssen", sagte der Autor Professor Rainer Wieland bei der Vorstellung des Gesundheitsreports in Düsseldorf. Wieland ist wissenschaftlicher Leiter des Kompetenzzentrums für Fortbildung und Arbeitsgestaltung an der Universität Wuppertal.

Gesundheitsförderung im Krankenhaus schwierig

Es ist nicht immer leicht, bei den Arbeitgebern um Einsicht für die Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen und Gesundheit der Mitarbeiter zu werben, weiß Wieland. "Krankenhäuser gehören zu den schwierigsten Unternehmen, wenn es um die betriebliche Gesundheitsförderung geht", sagte er. Ein Grund dafür sei wohl die strenge Trennung der Zuständigkeiten für die Bereiche Medizin, Pflege und Verwaltung. In jüngster Zeit erkennt Wieland aber in den Kliniken eine größere Aufgeschlossenheit der betrieblichen Gesundheitsförderung gegenüber. "Es macht sich mehr und mehr die Einsicht breit, dass dies etwas bringt."

Vielen Führungskräften sei nicht genügend bewusst, dass sie einen erheblichen Einfluss auf das Wohlbefinden und die Gesundheit ihrer Beschäftigten ausüben, sagte Birgit Fischer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Barmer. Mit den Angeboten des betrieblichen Gesundheitsmanagements und der betrieblichen Gesundheitsförderung können die Krankenkassen wesentlich zu gesünderen Verhältnissen in den Unternehmen beitragen, glaubt sie. Dazu zählten sowohl individuelle Hilfsangebote für Betroffene als auch eine Umgestaltung der Arbeitsbedingungen.

Beruflicher Stress wirkt sich auf die Familie aus

"Man muss Mut zu langfristigen Strategien haben", sagte Fischer. Der stetige Anstieg psychischer Erkrankungen zeige den großen Handlungsbedarf. Mit einem Anteil von 16,8 Prozent sind psychische Erkrankungen bei der Barmer hinter Muskel-Skelett-Erkrankungen die zweithäufigste Ursache für krankheitsbedingte Fehltage (wir berichteten kurz). Die Ausgaben für Krankengeld aufgrund psychischer Erkrankungen stiegen von 153 Millionen Euro im Jahr 2006 auf 186 Millionen Euro im Jahr 2008. Dieser Trend gelte nicht nur für die Barmer, so Fischer. "Auch andere Krankenkassen verzeichnen deutliche Zuwächse."

Barmer-Mitarbeiter sprechen Versicherte, bei denen sie psychische Probleme aufgrund der Bedingungen am Arbeitsplatz vermuten, gezielt an und machen sie auf Behandlungsmöglichkeiten und Hilfeangebote aufmerksam. "Das stößt in der Regel auf eine sehr gute Resonanz bei den Betroffenen", berichtete sie.

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen wirke gerade mit Blick auf die psychischen Belastungen weit über das berufliche Umfeld hinaus, betonte der Autor der Studie, Wirtschaftspsychologe Wieland. "Beruflicher Stress strahlt viel mehr in den privaten und familiären Bereich als umgekehrt."

Gesundheitsreport der Barmer

Im Barmer-Gesundheitsreport 2009 sind 2,83 Millionen Fälle von Arbeitsunfähigkeit von 1,4 Millionen erwerbstätigen Mitgliedern im Jahr 2008 erfasst. Der Krankenstand der Barmer betrug 2008 wie im Vorjahr 3,7 Prozent. Das heißt, an einem durchschnittlichen Arbeitstag fehlten von 100 Erwerbspersonen 3,7 wegen Krankheit. Die durchschnittliche Erkrankungsdauer stieg leicht von 13,5 Tagen auf 13,6 Tage. Die Betroffenheitsquote, also der Anteil der Beschäftigten, die mindestens einmal im Jahr krankgemeldet waren, stieg von 48,8 Prozent auf 50,5 Prozent.

Krankenstandsdaten bei Ärzten

Für den Gesundheitsreport hat die Barmer die Krankenstandsdaten aufgrund von Verhaltens- und psychischen Störungen von 49 Berufsgruppen untersucht. Von diesen Gruppen sind mindestens 500 Erwerbstätige bei der Barmer. Ärzte wiesen 2008 mit 11,55 Prozent einen hohen Krankenstand auf. Die durchschnittliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit betrug bei ihnen 42,29 Tage. Zum Vergleich: Gymnasiallehrer hatten bei dieser Diagnosegruppe einen Krankenstand von 8,75 Prozent mit einer durchschnittlichen Krankheitsdauer von 32,02 Tagen. Den höchsten Krankenstand wies mit 13,54 Prozent und einer Dauer von 49,57 Tagen die Gruppe der "Unternehmer, Geschäftsführer und Geschäftsbereichsleiter" auf. Über alle Diagnosen hatten Ärzte 2008 einen Krankenstand von 3,68 Prozent und fehlten 13,47 Tage.

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