"In der Summe stünde für die Ärzte mehr Geld bereit"

Er will die Kassenärztlichen Vereinigungen abschaffen und spricht sich für eine einheitliche Gebührenordnung für GKV- und Privatversicherte aus: Der SPD-Gesundheitspolitiker Professor Karl lauterbach fordert Konsequenzen aus den Querelen um die Honorarreform. Im Interview mit der "Ärzte Zeitung" stellt er sein Konzept vor.

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Ärzte Zeitung: Vielen Kollegen im Bundestag und mindestens ebenso vielen Ärzten sind Sie wegen Ihrer Ansichten und der zuweilen schonungslos vorgetragenen Kritik am Gesundheitswesen ein Dorn im Auge. Wie gefällt Ihnen die Rolle des "Bad Guys"?

Lauterbach: Machen Sie sich um meine Beliebtheit im Bundestag bitte keine Sorgen. Ich weiß, dass ich unbeliebt bin bei Lobbyisten, etwa aus der Industrie oder von den Kassenärztlichen Vereinigungen, weil ich bestehende Strukturen infrage stelle. Aber ich habe zu niedergelassenen Ärzten im Wahlkreis und in ganz Deutschland, mit denen ich mich teilweise auch regelmäßig berate, gute Kontakte. Insofern verstehe ich mich nicht als "Bad Guy".

Die Ärzte haben Recht, wenn sie das Honorarsystem kritisieren. Selbst Herr Köhler sagt ja, dass die Reform gescheitert ist.

Ärzte Zeitung: Sie fordern die Abschaffung der Kassenärztlichen Vereinigungen und die Einführung einer einheitlichen Gebührenordnung für GKV- und PKV-Versicherte.

Lauterbach: Ich glaube, dass die Ärzte Recht haben, wenn sie das jetzige Honorarsystem kritisieren. Selbst Herr Köhler von der KBV sagt ja öffentlich, dass das System, das er selbst gefordert hat und jetzt umsetzt, zu kompliziert ist und die Reform insgesamt gescheitert ist. Dazu kommt, dass die GOÄ für die privatärztliche Honorierung einer Überarbeitung bedarf. Wir haben, wenn man so will, nichts, was wirklich funktioniert. Daher liegt es auf der Hand, beide Systeme zusammenzuführen. Ich schlage daher eine "GOÄ für alle" vor.

Ärzte Zeitung: Konkret heißt das?

Lauterbach: Die wichtigsten Leistungen würden pauschaliert. Für diese Pauschalen würde eine unabhängige Kommission von Wissenschaftlern, Vertretern medizinischer Fachgesellschaften und der Krankenkassen die Höhe der Vergütung vereinbaren. Für teure Einzelleistungen würde es darüber hinaus Einzelpositionen geben. Der Fokus sollte meiner Ansicht nach dabei auf mehr Prävention und Beratung hierzu liegen, um die sprechende Medizin zu stärken. Patientenferne technische Leistungen, etwa für das Labor oder die Pathologie, würden geringer als heute vergütet.

Ärzte Zeitung: In dieser Kommission würden die Ärzte den mächtigen Krankenkassen gegenübersitzen. Klingt nach David gegen Goliath. Und wer übernimmt den Sicherstellungsauftrag, der momentan bei den Kassenärztlichen Vereinigungen liegt?

Lauterbach: "David gegen Goliath" spielt hier keine Rolle. Es werden ja keine Preise verhandelt. Genau wie bei den Fallpauschalen für die Krankenhäuser oder der GOÄ würden die durchschnittlichen Kosten der Leistungen von unabhängigen Wissenschaftlern berechnet.

Käme eine solche GOÄ für alle, könnte man auch auf Einzelverträge zwischen Ärzten und Kassen verzichten. Für die Sicherstellung würden die Bundesländer und Kommunen sorgen. So ähnlich funktioniert es bei Notaren.

Ärzte Zeitung: Wie kämen die Ärzte an ihr Geld? Die KVen brauchen wir ja Ihrer Meinung nach nicht mehr.

Lauterbach: Die Rechnung für die Behandlung ginge an den Patienten und von dort an die jeweilige Krankenkasse oder Versicherung des Patienten. Die Preise dieser GOÄ für alle würden über den jetzigen Honoraren für GKV-Versicherte, aber unterhalb des 2,3-fachen Satzes für Privatversicherte liegen. In der Summe stünde für die Ärzte mehr Geld bereit. Das System wäre einfacher und unbürokratischer.

Die Reform bringt keinerlei Fortschritt. Es handelt sich um eine Umverteilung, deren Konsequenzen bekannt waren.

Ärzte Zeitung: In Ihrem vor wenigen Tagen erschienenen Buch "Gesund im kranken System. Ein Wegweiser" fordern Sie für die Hausärzte ein deutlich höheres Honorar als bisher. Wie viel mehr Geld darf es denn sein?

Lauterbach: Konkrete Zahlen zu nennen, wäre unseriös. Aber die Bezahlung der Hausärzte muss sich nennenswert verbessern. Fakt ist: Wir stehen vor einem dramatischen Rückgang des Angebots an Hausärzten. Wir beobachten das nicht nur auf dem Land, sondern auch in der Nähe von Ballungsgebieten und den sozialen Brennpunkten großer Städte. Wenn wir dem begegnen wollen, müssen wir Geld in die Hand nehmen.

Ärzte Zeitung: Die aktuelle Honorarreform präsentiert sich in der Wahrnehmung vieler als ein riesiger Trümmerhaufen. Was ist schief gegangen bei der größten Vergütungsreform der vergangenen Jahre?

Lauterbach: Die Reform bringt keinerlei Fortschritt. Es handelt sich nur um eine Honorar-Umverteilung, deren Konsequenzen von Anfang an bekannt waren. Die Reform benachteiligt gerade die Ärzte, die sich viel Zeit für ihre Patienten nehmen und diese zu einem gesundheitsbewussten Verhalten anleiten, während Ärzte mit einem großen Leistungsvolumen begünstigt werden. Wenn ich aber viele Patienten behandeln muss, habe ich pro Patient vielleicht sechs oder sieben Minuten Zeit. Damit kann ich mich aber nicht zum Spezialisten entwickeln. Aus diesem Grund haben wir zwar überproportional viele Fachärzte, aber nur wenige Spezialisten. In der Honorarpolitik fehlt die medizinische Vision.

Die GOÄ für alle würde über den Honoraren für GKV-Versicherte, aber unterhalb des 2,3-fachen Satzes in der PKV liegen.

Ärzte Zeitung: Und die müsste aus Ihrer Sicht wie lauten?

Lauterbach: Für mich müsste eine Neuordnung der Honorierung fünf Zielen dienen: weniger Bürokratie, mehr Transparenz, Vorbeugung, sprechende Medizin und ein Abbau der Zweiklassenmedizin. Diese Punkte richten sich überhaupt nicht gegen die Ärzte. Ich weiß, dass es eine bessere Medizin nicht gegen die Ärzte geben kann. Deshalb schlage ich auch vor, dass Ärzte, die sich fortbilden, von den Krankenkassen dafür Geld erhalten.

Ärzte Zeitung: Außer der Honorarreform elektrisiert auch das Thema Hausarztverträge nach Paragraf 73b SGB V Ärzteschaft und Kassenfunktionäre. Welche Rolle würden Selektivverträge in Ihrem System spielen?

Lauterbach: Bei einer einheitlichen Gebührenordnung für alle bräuchten wir für die Preisfindung keine Selektivverträge mehr. Die Selektivverträge sind ein Spasmus in einem untergehenden System.

Das Interview führte Bülent Erdogan

Karl Lauterbach

Professor Karl Lauterbach (SPD) gehört seit Jahren zu den schillerndsten und umstrittensten Personen im deutschen Gesundheitswesen. Der 1963 in Düren geborene Mediziner sitzt seit 2005 als direkt gewählter Abgeordneter im Bundestag. Nach der Promotion im Jahr 1989 zog es ihn an die Universität Harvard (USA). 1995 promovierte er dort in Health Policy and Management. Seit 1998 ist er Professor für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Uni Köln (zurzeit beurlaubt) und Direktor des gleichnamigen Instituts. Von 1999 bis 2005 war er Mitglied im Rat der Gesundheitsweisen. Lauterbach sitzt im Aufsichtsrat der Rhön-Kliniken. (ble)

Lesen Sie dazu auch: "Ärzte haben mit ihrer Kritik am Honorarsystem Recht"

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