Ärztemangel: Merkwürdige Statistik-Spiele der KBV

Der Patientenbeauftragte an der Seite der Ärzte: Den Wegfall aller Budgetgrenzen fordert Wolfgang Zöller angesichts des Ärztemangels. Doch die KBV-Daten weisen dazu einige Merkwürdigkeiten auf.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Volle Wartezimmer: In manchen Regionen gibt es immer noch zu wenige Ärzte.

Volle Wartezimmer: In manchen Regionen gibt es immer noch zu wenige Ärzte.

© Foto: Klaro

In ländlichen Regionen Deutschlands, aber auch in den Armutsbezirken großer Städte wie Berlin gibt es Lücken in der ärztlichen Versorgung. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung will deshalb die Bedarfsplanung komplett neu gestalten - Länder und Kommunen stärker in die Verantwortung einbeziehen, die Ärztekammern beteiligen, kleinräumiger unter Berücksichtigung der Arbeitskapazitäten von Krankenhäusern planen und die Krankenkassen aus der bisherigen Entscheidungsbefugnis in den Zulassungsausschüssen hinausdrängen. In der nächsten Woche will die KBV damit erneut an die Öffentlichkeit gehen.

In der nachrichtenarmen Zeit um den Jahreswechsel macht es sich günstig, die Öffentlichkeit zu konditionieren. Von einer "gesellschaftlichen Herausforderung" sprach KBV-Chef Andreas Köhler gegenüber der Nachrichtenagentur dpa angesichts einer Zahl von insgesamt 3620 offenen Arztsitzen. Doch diese Zahl ist keineswegs aktuell, sondern datiert vom Stichtag 1. Januar 2009. Die Daten sind seit einiger Zeit in den Statistik-Werken der KBV dokumentiert.

Für sich genommen signalisieren sie: Vor allem bei Hausärzten und Psychotherapeuten gibt es Lücken. Keine Auskunft gibt die Statistik bei isolierter Betrachtung darüber, ob sich der Ärzte- und Psychotherapeutenmangel verschärft hat, wie man angesichts der politischen Debatte vermuten könnte.

Erst der Blick in die Vorjahres-Statistik könnte dies aufhellen - wenn er nicht auch Merkwürdigkeiten zutage fördern würde.

Danach waren Anfang 2009 bundesweit 1260 Psychotherapeutensitze offen, ein Jahr zuvor waren es noch 1490. Keine Verschärfung des Mangels also, sondern eine sich allmählich schließende Lücke.

Noch merkwürdiger sind die von der KBV dokumentierten Daten für alle anderen Arztgruppen, einschließlich der Hausärzte: Hier hat sich - mit Ausnahme der fachärztlichen Internisten und der Chirurgen - zwischen dem 1. Januar 2008 und dem 1. Januar 2009 nichts, aber auch gar nichts geändert. Das mag glauben, wer will.

Stimmt die Statistik, dann sind bestehende Versorgungslücken zumindest nicht größer geworden. Stimmt sie nicht, dann gibt es für die politische Debatte um den Ärztemangel und die Suche nach geeigneten Instrumenten zu seiner Behebung mangelnde Evidenz. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung Wolfgang Zöller (CSU), offenbar ein gläubiger Mensch, ist der KBV bereits auf den Leim gegangen.

3620 offene Arzt- und Therapeutensitze
Versorgungslücken zum Jahresbeginn 2009
Kassenärztliche
Vereinigung
Summe der
Arztgruppen
Psychothe-
rapeuten
Hausärzte
Baden-Württemberg 282 121 131
Bayerns 360 82 216
Berlin 90 90 0
Brandenburg 211 34 164
Bremen 23 4 15
Hamburg 16 0 12
Hessen 94 33 45
Mecklenburg-Vorpommern 150 31 114
Niedersachsen 678 115 498
Nordrhein 206 149 57
Rheinland-Pfalz 198 64 85
Saarland 36 28 2
Sachsen 357 268 65
Sachsen-Anhalt 379 96 255
Schleswig-Holstein 31 6 22
Thüringen 222 88 113
Westfalen-Lippe 287 51 232
Bundesgebiet insgesamt 3 620 1 260 2 026
Quelle: Kassenärztliche Bundesvereinigung, Tabelle: Ärzte Zeitung
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