Aufgaben-Neuzuschnitt beugt Engpässen vor

Die Tätigkeiten im deutschen Gesundheitswesen müssen endlich neu verteilt werden, forderten Experten auf dem Fachkongress "Pflege 2010" in Berlin.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Delegation oder Substitution - was ist das richtige Schnittmuster? © [M] Schere: Michalski | Schnittmuster: Paulussen / fotolia.com

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BERLIN. An wissenschaftlichen Expertisen hat die Direktorin des Instituts für Medizinische Soziologie der Berliner Charité, Professor Adelheid Kuhlmey, schon oft mitgeschrieben - so auch an mehreren Gutachten des Gesundheits-Sachverständigenrates, deren Mitglied sie ist. Eine Erfahrung habe sie dabei leider mitunter auch machen müssen, sagte Kuhlmey auf dem Fachkongress "Pflege 2010" am vergangenen Wochenende in Berlin. "Gutachten verschwinden oft in irgendwelchen Schubkisten."

Auf das 2007 erschienene Gutachten des Gesundheitsrates zu Kooperation und Koordination im Gesundheitswesen treffe diese Prognose allerdings nicht zu, so Kuhlmey. Der Gesetzgeber sei der Forderung der sieben Weisen, nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen mehr Autonomie in der Versorgung einzuräumen, gefolgt. Mit dem Paragrafen 63 Absatz 3c SGB V habe er die Möglichkeit für Modellvorhaben geschaffen, in denen beispielsweise Pflegekräfte eigenständig heilkundliche Aufgaben übernehmen können. "Diese Modellklausel ist Ausweis dafür, dass nicht jedes Gutachten so ganz in der Kiste verschwindet", sagte Kuhlmey. Freilich: Ob aus den Modellvorhaben irgendwann flächendeckende Versorgungsrealität werde, sei derzeit noch nicht ausgemacht.

Dabei sind gerade Konzepte, die auf einen Neuzuschnitt der Aufgaben im Gesundheitswesen setzen, dringend nötig - auch wenn das bei den beteiligten Berufsgruppen "Konkurrenzgefühle, Ängste und Vorbehalte" auslöse, betonte Kuhlmey. Regionale Versorgungsengpässe, Nachwuchsprobleme bei Ärzten, Pflegenden und Therapeuten und eine steigende Zahl älterer, mehrfach erkrankter Patienten ließen den Beteiligten gar nichts anderes übrig, als neue Varianten der Zusammenarbeit auszuprobieren. Die Anforderungen an das Gesundheitswesen hätten sich gravierend verändert, so Kuhlmey. "Nur die Professionen agieren noch so wie vor 100 Jahren."

Besonders groß ist der Druck, Neues auszuprobieren, in den Kliniken. Rund 5000 Arztstellen seien dort vakant, rechnete Dr. Bernd Metzinger von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) vor. "Und der Ärztemangel wird sich weiter verschärfen - das ist heute längst abzusehen." So würden bis zum Jahr 2017 knapp 18 000 Krankenhausärzte aus Altersgründen aus dem Berufsleben ausscheiden. Schon deshalb müssten die Aufgaben der im Krankenhaus tätigen Berufsgruppen anders zugeschnitten werden, so Metzinger.

Geschehen könne dies per Delegation oder per Neu-Allokation, sprich Substitution. "Wesentliches Kennzeichen hierbei ist, dass die originären Zuständigkeiten anders gestaltet werden." Aus Sicht der Ärztekammern sei die Variante Substitution undenkbar. "Die Bundesärztekammer sagt dazu: Nein und Punkt. So sehen wir das nicht", stellte Metzinger klar, der selber Arzt ist. Eines sei aber auch klar. "Die Diagnose ist klare Domäne des Arztes."

Aufgabenbereiche wie das Case-, das Wundpflege- oder das Schmerzmanagement könnten jedoch sehr wohl auf Pflegefachkräfte übertragen werden. Das Gleiche gelte für Parallelnarkosen in der Anästhesie oder Endoskopien durch Pflegende, "wie dies im Ausland bereits etabliert ist". Voraussetzung sei allerdings, dass die Pflegekraft ausreichend qualifiziert sei und ihrerseits von Tätigkeiten entlastet werde, die nicht in ihr Ressort fielen. "Man kann nicht ständig Add-on machen", so Metzinger.

Hebel für die Übertragung ärztlicher Aufgaben seien die Modellprojekte nach Paragraf 63 SGB V. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), der derzeit an einer Richtlinie dazu feilt, stehe jetzt freilich vor der Frage: Wo beginnen - ambulant oder stationär? "Wir halten es für sinnvoll, im stationären Sektor anzufangen, da es sich um einen geschützten Raum handelt", so Metzinger. "Hier gibt es ein Sicherheitsnetz." Gehe etwas schief, sei der Arzt gleich in der Nähe.

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