Wirtschaftsgutachter stärken Marburger Bund den Rücken

Das Rheinisch Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung rät der Regierung, die Tarifpluralität nicht ohne gewichtigen Grund einzuschränken.

Christiane BadenbergVon Christiane Badenberg Veröffentlicht:

NEU-ISENBURG. Bei seinem Kampf für die Tarifpluralität - und somit um die dauerhafte Weiterentwicklung arztspezifischer Tarifverträge - hat der Marburger Bund erneut Unterstützung bekommen. Nach dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - hat sich auch das Rheinisch Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) gegen eine Einschränkung der Tarifpluralität ausgesprochen.

Das RWI hatte im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums eine empirische Analyse zu den "Auswirkungen der Tarifpluralität auf das deutsche Tarifvertragssystem und auf die Häufigkeit von Arbeitskämpfen" angefertigt.

Dabei sind die Gutachter zu dem Schluss gekommen, dass es nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom Juni 2010, das den lange geltenden Grundsatz - ein Betrieb, eine Gewerkschaft - praktisch abgeschafft hat, keine deutliche Zunahme der Arbeitskämpfe gegeben hat. Zumindest nicht in dem Maße, dass das öffentliche Leben oder die Wirtschaft in einer nicht akzeptablen Weise beeinträchtigt worden seien.

Englische Verhältnisse, wie sie immer wieder beschworen würden, seien für Deutschland ohnehin nicht zu erwarten. Das englische Gewerkschaftssystem, wie es bis Ende der 70er Jahre - den Zeiten der großen Arbeitskämpfe - organisiert gewesen sei, ist mit dem deutschen System nach Ansicht der RWI-Gutachter nicht vergleichbar. So habe es in England bis Ende der 70er Jahre "keine gesetzlichen Grundlagen zur Regelung der industriellen Beziehungen" gegeben. Eine Gesetzgebung, die wie in Deutschland Streik- und Mitbestimmungsrechte regelt, habe nicht existiert. Viele Vereinbarungen, die in Betrieben getroffen wurden, seien nicht rechtsverbindlich und ohne feste Laufzeit gewesen.

Die RWI-Gutachter raten deshalb dringend davon ab, ohne schwerwiegenden Grund in das deutsche Tarifrecht einzugreifen. Sie können keine Rechtfertigung dafür finden, dass "auf bloßen Zuruf wichtiger Gruppen" massiv in die Koalitionsfreiheit eingegriffen werden sollte. Dabei beziehen sie sich auf eine gemeinsame Initiative des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und des Arbeitgeberverbandes (BDA), die die Bundesregierung nach dem Urteil der Bundesarbeitsrichter aufgefordert hatten, die Tarifpluralität einzuschränken.

Würde es dazu kommen, könnte der Marburger Bund das Recht verlieren, arztspezifische Tarifverträge auszuhandeln. Denn dann würde wahrscheinlich wieder Verdi für alle Beschäftigten einer Klinik Tarifverträge abschließen. Aber gerade die Unzufriedenheit mit diesen Verträgen hatte 2005 dazu geführt, dass der MB die Tarifgemeinschaft mit Verdi aufgekündigt hat.

Seitdem ist es ihm gelungen, die Arbeitsbedingungen für seine Mitglieder erheblich zu verbessern. Ähnlich erfolgreich war in den vergangenen Jahren auch die Pilotengewerkschaft Cockpit oder die sich zur Zeit im Arbeitskampf befindende Gewerkschaft der Lokführer.

Die RWI-Gutachter halten das Urteil des Bundesarbeitsgerichts für ein Zugeständnis an eine sich verändernde Arbeitswelt, deren Lauf sich auch kaum wieder zurückdrehen lasse. Und sie sehen in der Tendenz zur Bildung von Spartengewerkschaften ein Versagen der großen Gewerkschaften wie Verdi. "Wäre es den dominierenden Gewerkschaften ... gelungen, die Interessen der sich herausbildenden Funktionseliten aus deren Sicht besser zu vertreten, dann hätte sich ... erst gar keine Tendenz zu einer wachsenden Pluralität ergeben", so die Gutachter.

Das RWI schließt sich letztlich den Empfehlungen des Sachverständigenrats - der sogenannten Wirtschaftsweisen - an, die weitere Entwicklung zunächst zu beobachten. Der Tarifpluralität solle eine Chance gegeben werden, selbst wenn diese zu einer Verschiebung der betrieblichen Lohnstruktur führen würde.

Ein verfassungsrechtlicher Eingriff in die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Grundgesetz) sei allerdings erforderlich, wenn die Tarifpluralität zu einer drastischen Erhöhung von Arbeitskämpfen führen würde, die das Wirtschaftsleben in einem unerträglichen Maße lähmten. Bislang allerdings gebe es für ein solches Negativszenario keinerlei empirische Belege, so die RWI-Gutacher.

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