"Bruderhilfe" im Hause Bahr?

Politik zugunsten der eigenen Familie, Vetternwirtschaft: Der Vorwurf gegen den Gesundheitsminister wiegt schwer. Hintergrund ist ein Änderungsantrag der Koalition - von dem auch Daniel Bahrs Bruder profitieren könnte.

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Kopfschmerzen - die dürfte der "taz"-Bericht Gesundheitsminister Bahr bereitet haben.

Kopfschmerzen - die dürfte der "taz"-Bericht Gesundheitsminister Bahr bereitet haben.

© dpa

BERLIN (nös). Ein Bericht der Berliner "tageszeitung" vom Samstag erhebt indirekt den Vorwurf der Vetternwirtschaft gegen Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP).

Hintergrund ist ein Änderungsantrag der schwarz-gelben Koalition zum Versorgungsgesetz. Danach sollen Praxisnetze künftig bei der Vergütung bessergestellt werden können als bislang. Bekanntgemacht hatte diese Pläne die "Ärzte Zeitung" Mitte September.

In den Fokus der "taz" ist der Bruder des Ministers geraten, Dr. Thomas Bahr, Chef des Amberger Ärztenetzes "Unternehmen Gesundheit Oberpfalz Mitte" (UGOM).

Sein Netz würde, wie viele andere Netze bundesweit auch, von der Neuregelung des Paragrafen 87b im SGB V profitieren können.

Verhandlungen zwischen Netz und KV

Tatsächlich können die Netzpraxen den Änderungsantrag als Teilerfolg für sich verbuchen. Er sieht immerhin vor, für sie künftig "gesonderte Vergütungsregelungen … auch als ein eigenes Honorarvolumen" aus der Gesamtvergütung auszuhandeln.

Die Netze bekämen also die Möglichkeit, mit den Kassenärztlichen Vereinigungen eine eigene Honorarsumme zu verhandeln.

Allerdings: Dazu müssten sie als "förderungswürdig" anerkannt sein. Richtlinien dafür soll die KBV anhand von Versorgungszielen definieren.

Lobbyarbeit bereits bei Philipp Rösler

Für die "taz" sind diese Pläne, obgleich noch gar nicht im Gesetzgebungsverfahren beraten, eine "finanzielle Stärkung" der Praxisnetze "auf Kosten der Beitragszahler".

Für die Förderung der Netze geworben hatte Thomas Bahr bereits zu Zeiten, als noch Philipp Rösler, Daniel Bahrs Amtsvorgänger, Gesundheitsminister war.

Im Juli 2010 trafen sich Vertreter bekannter Praxisnetze mit dem damaligen Gesundheitsminister Rösler, Thomas Bahr war einer der Teilnehmer.

Keine Versprechungen im Jahr 2010

Sie warben damals für regionale Vollversorgungsstrukturen unter Beteiligung der Netze. Zwar brauche man keine Subventionen, betonten die Teilnehmer damals.

Doch den Kassen solle es leichter gemacht werden, Verträge mit den Netzen abzuschließen. Zugesagt hatte der Minister damals nicht viel: Er wolle die regionalen Konzepte "nun näher prüfen".

Nun ist das Versorgungsstrukturgesetz im Parlament, und mit ihm der Änderungsantrag zugunsten der Praxisnetze.

Ministerium: Initiative kam aus der Koalition

Ein Erfolg, den die "taz" auch der Lobbyarbeit von Thomas Bahr zuschreibt. Gemeinsam mit weiteren Netzen hatte er am 8. Juli die "Agentur deutscher Arztnetze" gegründet, einen Interessenverband, der nach eigenen Worten "die gesundheitspolitischen Debatten mitgestalten" will.

Gab es also eine Bahr-Bahr-Connection? Das Ministerium wies solche Spekulationen über die "Mitarbeit" des Ministerbruders an dem Antrag gegenüber der "Ärzte Zeitung" zurück. "Die Initiative kam aus der Koalition und nicht aus dem Ministerium", hieß es.

Und selbst wenn ein medial konstruiertes Geschmäckle blieb: Unter Experten gilt die Vernetzung von Leistungserbringern als Zukunftsmodell.

Auch die "taz" verweist auf Berechnungen der AOK, wonach Netze gegenüber der Regelversorgung Einsparungen erzielen können.

Einsparungen durch Praxisnetze

Im Fall des UGOM spricht die AOK Bayern von zehn Prozent der Ausgaben, die im Vergleich zur Regelversorgung eingespart werden können - etwa durch die Vermeidung von Doppeluntersuchungen und unnötigen Krankenhauseinweisungen.

Selbst die KBV hatte den Netzen jüngst den Rücken gestärkt, indem sie ihre Verankerung im Kollektivvertrag gefordert hatte.

Zudem: Käme die im schwarzen-gelben Änderungsantrag geplante Förderung, wäre sie immer noch eine Kann-Bestimmung. Denn nach der geplanten Änderung des Paragrafen 87b Absatz 2 Satz 2 soll es dort künftig heißen: "... dabei können auch gesonderte Vergütungsregelung ...".

Ungeklärt ist bislang außerdem, ob der Antrag im Parlament überhaupt eine Mehrheit findet. SPD-Gesundheitsexpertin Carola Reimann legte am Sonntag mit der Forderung nach Transparenz bei der Neuregelung für Ärztenetze nach.

Andernfalls, so Reimann gegenüber der Nachrichtenagentur dpa, "ist der Patient so einem Netz unter Umständen hilflos ausgeliefert".

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