"Neue Ärzte? Das Bauchgefühl sagt: Es kann klappen"

Kommen mit dem Versorgungsgesetz neue Ärzte aufs Land? Baden-Württembergs KV-Chef Dr. Norbert Metke und vdek-Landeschef Walter Scheller loten Spielräume aus.

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Walter Scheller (li.) vom Südwest-Ersatzkassenverband und KV-Chef Dr. Norbert Metke.

Walter Scheller (li.) vom Südwest-Ersatzkassenverband und KV-Chef Dr. Norbert Metke.

© Frank Winkler

Ärzte Zeitung: Der Bundesgesundheitsminister hat das Versorgungsstrukturgesetz (VSG) mit den Worten gelobt, es ebne den Weg "zu einer langfristigen qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung". Stimmen Sie dem zu?

Walter Scheller: Leider nein, das Gesetz ist nur ein Schritt zu weiteren Reformen. Nicht mehr.

Dr. Norbert Metke: Ich halte das Gesetz für einen guten Schritt zu einer besseren Versorgung. Wesentliche Anliegen der Ärzte sind im VSG umgesetzt worden. Hinzu kommt: Noch nie war die Debatte so sachlich, da sie nicht mit generalisierenden Vorurteilen über Ärzte belastet worden ist.

Ärzte Zeitung: Welche Regelung im Versorgungsgesetz hat das größte Potenzial, sich positiv auf die ambulante Versorgung auszuwirken?

Metke: Dass bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung künftig Beratung vor Regress steht, halte ich für die wichtigste Neuregelung. Umfragen unter Jungärzten haben immer wieder gezeigt, dass die Regressangst ein prominenter Grund dafür ist, der den Nachwuchs von der Niederlassung abhält. Zweitens bekommen wir als KV in Baden-Württemberg einen größeren Honorarspielraum. Drittens sind wir froh, dass es keine weitere Honorarkonvergenz geben wird.

Scheller: Ich freue mich, dass sich im Versorgungsstrukturgesetz viele Lösungen finden, die wir in Baden-Württemberg schon zuvor praktiziert haben. Ein Beispiel ist die Begrenzung der Regresssumme auf zunächst 25 000 Euro sowie ein intelligentes Prüfsystem.

Das zeigen auch die Zahlen: 160 von landesweit rund 19.000 Vertragsärzten mussten zuletzt pro Jahr einen Regress zahlen. Für eindeutig positiv halte ich zudem, dass Patienten schneller als bisher Zugang zu Innovationen erhalten sollen. Diese sollen zwar einen Nutzen haben, der aber nicht noch nicht abschließend belegt sein muss.

Ärzte Zeitung: Inwieweit tragen die neuen Regelungen zur Bedarfsplanung den Anforderungen der Praxis Rechnung?

Scheller: Die Bedarfsplanung sehe ich in vielen Aspekten als nicht gelungen an. Leider ist der Aspekt der Überversorgung komplett außen vor gelassen worden. Ich sehe die Gefahr einer Politisierung der neuen Gremien. Ich fürchte, dass einzelne Kommunen Druck machen, um Ärzte für ihren Sprengel zu gewinnen.

Wir müssen uns klar gegen diesen "gefühlten" politischen Auftrag wehren. Wenn Kommunen zusätzliche Ärzte möchten, müssen sie sich auch stärker finanziell in der Daseinsfürsorge engagieren.

Metke: Meine Bewertung fällt positiver aus: Die Vertragspartner haben künftig mehr Möglichkeit zur Feinregulierung, wir können also neue Planungsbezirke unabhängig von Landkreisgrenzen definieren. Wir haben bisher den Missstand, dass Praxen immer mehr in die Zentralstädte abwandern und wir dann Sonderbedarfszulassungen erteilen müssen.

Die Residenzpflicht fällt weg, wir können die Mengenbegrenzungen aussetzen. Über den Strukturfonds können wir Ärzten Investitionshilfen geben. Die Neuordnung der Strukturen gibt uns viele neue Möglichkeiten. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass es uns so gelingen kann, Ärzte auch in strukturschwache Gegenden zu bekommen.

Ärzte Zeitung: Alle diese neuen Möglichkeiten kosten zunächst einmal mehr Geld. Wo gibt Ihnen denn das Reformgesetz Optionen, um Kosten zu senken?

Scheller: Das ist ein Problem, wir hatten in den vergangenen Jahren per anno einen Ausgabenzuwachs von 3,7 Prozent. Das liegt weit über der Steigerung der Grundlohnsumme. Deshalb war es uns auch so wichtig, an die Überversorgung, die wir auch in Baden-Württemberg haben, heranzugehen.

Damit müssen wir uns leider auch künftig immer wieder mit Umverteilung helfen und genau schauen, wo jeder Euro sinnvoll investiert ist.

Ärzte Zeitung: Wo und wie wollen Sie Ärzte fördern?

Metke: Wir fördern in den Gebieten, wo absehbar ist, dass uns die Versorgung wegbricht. In der Nähe des Bodensees gibt es für rund 15.000 Menschen bald keinen Hausarzt mehr. Dort fördern wir die Neuniederlassung. Die Kommune hat eine Immobilie organisiert, wir werden für einen begrenzten Zeitraum auch den Betrieb der Praxis unterstützen. Jetzt müssen wir hoffen, dass wir dort einen Hausarzt gewinnen können.

Ärzte Zeitung: Bei der Honorarverteilung muss die KV kein Einvernehmen mehr mit den Kassen herstellen, sondern nur noch ein Benehmen. Wie groß sind die Auswirkungen dieser kleinen Wortänderung?

Scheller: Nicht so groß. Es gibt in Baden-Württemberg eine gewachsene Dialogkultur mit der KV. Und die werden wir beibehalten.

Metke: Das liegt auch daran, dass wir in Baden-Württemberg immer Gesamtpakete ausgehandelt haben. Zudem sind wir entschlossen, die Versichertengelder für die Versorgung einzusetzen und nicht für Gebühren bei Schiedsamtsverfahren.

Ärzte Zeitung: Auf Wunsch von ABDA und KBV hat ein Modell Einzug ins VSG gehalten, wonach ein Medikationskatalog die Richtgrößenprüfung ablösen kann. Wollen Sie ein solches Projekt erproben?

Metke: Nein, wir sind strikt gegen das ABDA-KBV-Modell. Wir haben kein Geld übrig, um kostenintensive Doppelstrukturen für die Beratung in den Apotheken aufzubauen. Die Behandlungshoheit muss in der Hand des Arztes bleiben. 2012 wird die KV ein Modell zum Verordnungs-Monitoring präsentieren, das auf Erfahrungen beruht, die mit dem "Ampelsystem" in Selektivverträgen gemacht worden sind. Aber die Apotheken brauchen wir dafür definitiv nicht.

Scheller: Beim ABDA-KBV-Modell weiß niemand, wer dies finanzieren soll - von daher kommt dieser Ansatz auch nicht in Frage. Das wird uns aber nicht davon abhalten, nach neuen Möglichkeiten der Verordnungssteuerung zu suchen. Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, ausgehend von Leitsubstanzen ein gangbares Modell zu entwickeln.

Ärzte Zeitung: Der Gesetzgeber hat der KV aufgegeben, dass zum Sicherstellungsauftrag auch ein "Wartezeiten-Management" gehört. Ist das eine reale Hilfe für Versicherte oder symbolische Politik?

Metke: Wir halten das Thema für völlig übersteuert. Es gibt in Baden-Württemberg knapp neun Millionen GKV-Versicherte. Mit ist keine einzige Beschwerde bekannt, nach der ein akut erkrankter Patient nicht zeitnah behandelt worden sei.

Daher werden wir uns mit Kassen zusammensetzen und ermitteln, ob und wenn ja wo wir wirklich Wartezeiten haben, die von medizinischer Bedeutung sind. Klar muss aber sein: Eine sofortige Behandlung beim "Wunsch-Arzt" wird nicht immer funktionieren.

Scheller: Es gibt - gefühlt und real - in Baden-Württemberg weniger Probleme mit Wartezeiten als in anderen Bundesländern. Ein Mittel, um Wartezeiten zu reduzieren, läge allerdings auch darin, sich das Überweisungsverhalten von Ärzten anzuschauen. Sicherlich treten Patienten mitunter fordernd auf. Dennoch wünschen wir uns Ärzte, die die Überweisungswünsche ihrer Patienten kritisch prüfen - und mitunter auch einmal Nein sagen.

Ärzte Zeitung: Eine der Hauptstreitpunkte im VSG ist die spezialfachärztliche Versorgung gewesen. Ist die nun vorliegende Regelung gelungen oder handelt es sich um den gescheiterten Versuch, Wettbewerb sektorenübergreifend zu organisieren?

Metke: Was die konkrete Umsetzung in Baden-Württemberg angehen, vertrauen wir auf die grundsätzlich gute Kooperation mit den Krankenhäusern. Ich habe zudem gehört, dass der Medi-Verbund im Konfliktfall wieder eine beschiedene Eingabe bei der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2008 auspacken will.

Die Kommission hatte damals das Bundesgesundheitsministerium gemahnt, dafür zu sorgen, dass in der Rechnungslegung von Krankenhäusern strikt zwischen ambulanter und stationärer Tätigkeit unterschieden werden muss, um eine Subventionierung der ambulanten Leistungen zu verhindern.

Scheller: Wir befürworten die Fortschritte, die im Bundestagsgesundheits-Ausschuss bei der spezialfachärztlichen Versorgung erreicht worden sind. Wichtig ist mir vor allem, dass kein Wettbewerb um Patienten entstanden ist, sondern es bleibt bei einem Wettbewerb um gute Versorgung.

Auch bisher sind diese schwerkranken Patienten gut versorgt worden - und diese Versorgung ist auch bezahlt worden. Insofern werden nach der nun geltenden Regelung keine neuen Fallzahlen hinzukommen, und das ist gut.

Ärzte Zeitung: Nach der Reform ist vor der Reform. Welche neuen Baustellen öffnet das VSG, die mit Blick auf Baden-Württemberg besonders dringend beackert werden müssten?

Metke: Mein großer Wunsch wären feste Preise. Zumindest in der Grundversorgung müssen wir zu einer neuen Kalkulierbarkeit des Unternehmens Arztpraxis kommen. Dann wird es auch gelingen, junge Ärzte im Land zu halten oder sie zurückzugewinnen.

Scheller: Instrumente, um die Überversorgung abzubauen, sind für uns das A & O. Wenn wir diesen Punkt nicht angehen, gewinnen wir auch nicht Geldmittel, die wir dringend an anderer Stelle brauchen. Stichwort "feste Preise": Ich bin nur bereit, darüber nachzudenken, wenn wir von der Idee wegkommen, dass die wachsende Morbidität zwangsläufig zu einer ständigen Leistungsausweitung führt. Denn dies ist nach empirischen Untersuchungen nicht der Fall.

Die Fragen stellte Florian Staeck.

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