Leiharbeit geht auf die Gesundheit

Leiharbeiter haben oft körperlich anstrengende Jobs und überdurchschnittlich häufig mit gesundheitsgefährdenden Stoffen zu tun. Sie sind häufiger krank geschrieben als Festangestellte. Formal gelten für sie die gleichen Rechte wie für die Stammbelegschaft. Doch Studien belegen, dass ihre Gesundheit besonders gefährdet ist.

Von Johanna Dielmann-von Berg Veröffentlicht:
Protest gegen Leiharbeit. Im Jahr 2003 wandten sich 12 000 Beschäftigte von DaimlerChrysler gegen Leiharbeit.

Protest gegen Leiharbeit. Im Jahr 2003 wandten sich 12 000 Beschäftigte von DaimlerChrysler gegen Leiharbeit.

© dpa

NEU-ISENBURG. "Zeitarbeit bringt Ihnen viele Vorteile: Sie lernen dabei die unterschiedlichsten Tätigkeitsbereiche, Unternehmen und deren ,Firmenkultur‘ kennen. Zudem haben Sie die Möglichkeit, sowohl fachlich als auch regional mobil zu sein."

So wirbt die Bundesagentur für Arbeit (BA) im Internet für Leiharbeit. Laut Gesetz haben Zeitarbeiter die gleichen Rechte wie alle anderen Arbeitnehmer, nur: Die Realität sieht oft anders aus.

Viele Leiharbeiter arbeiten langfristig auf Kosten ihrer Gesundheit, warnen vor allem die Gewerkschaften. Mangelhafte Schutzkleidung, unzureichende Einweisung am Arbeitsplatz und Tätigkeitswechsel sind weitere Merkmale der Leiharbeit.

Höhere Gefährdung wegen körperlicher Arbeiten

"Zeitarbeiter haben ein höheres Gefährdungspotenzial als festangestellte Mitarbeiter, da sie häufiger schwere körperliche Arbeit verrichten, hautbelastende Tätigkeiten ausführen oder in Lärmbereichen eingesetzt werden", erklärt Dr. Jens Petersen, Leitender Arbeitsmediziner bei der für Zeitarbeitsfirmen zuständigen Gesetzlichen Unfallversicherung.

Das Gefährdungspotenzial der Leiharbeiter steigt auch durch die häufigen Arbeitsplatzwechsel. Über 60 Prozent üben eine Tätigkeit nur bis zu drei Monate aus. Jeder Dritte bringt sich die benötigten Kenntnisse selbst bei.

Das zeigt der Bericht "Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit" (SuGA) von 2006. Die Unfallquote ist hoch. 2010 verzeichnete die Unfallversicherung umgerechnet auf 1000 Versicherte 30 Arbeitsunfälle in der Zeitarbeit.

Im Schnitt sind Leiharbeiter auch länger arbeitsunfähig geschrieben als Festangestellte. Im Jahr 2010 waren es 15 Tage, rund 3,5 Tage länger als Normalbeschäftigte, ermittelte die Techniker Krankenkasse (TK).

Hauptursache seien körperlich belastende Tätigkeiten, daher fehlen Leiharbeiter besonders häufig wegen Muskel-Skelett-Erkrankungen.

Psychische Belastung ist größer als bei Festangestellten

In einer Befragung von 1376 Zeitarbeitern ermittelte die TK, was Leiharbeiter besonders belastet. Etwa die Hälfte der bei externen Betrieben Beschäftigten ist mit ihrer Arbeitssituation unzufrieden und fühlt sich belastet.

Das führen sie häufig auf Lärm und schlechte klimatische Bedingungen am Arbeitsplatz zurück. Jeder Dritte meint, die Gefahr, sich am Arbeitsplatz zu verletzen, sei sehr oder ziemlich hoch.

Häufiger als Beschäftigte anderer Branchen litten sie unter vielen Sorgen (46 versus 41 Prozent) und hoher Anspannung (18 zu 16 Prozent). 2010 fehlte jeder Zeitarbeiter knapp zwei Tage wegen psychischer Erkrankungen.

Das sind zwölf Prozent mehr als 2008, meldet die TK.

Zeitarbeit: (K)ein Weg aus der Arbeitslosigkeit

Linke: Leiharbeit abschaffen!

Die Linken im Bundestag wollen die Zeitarbeit verbieten. Ihr Antrag ist am vergangenen Freitag im Bundestag auf Widerstand gestoßen und wurde an die Ausschüsse verwiesen.

Leiharbeiter würden bei gleicher Tätigkeit immer noch schlechter bezahlt als Festangestellte, führte die Linksfraktion an. Rund 120.000 Leiharbeiter müssten ihr Einkommen mit staatlicher Hilfe aufstocken, sagte die Linksabgeordnete Jutta Krellmann.

Zeitarbeit abzuschaffen würde den Betroffenen wenig helfen, argumentierten SPD-Parlamentarier.

"Klar ist: Leiharbeit wird missbraucht", sagte Klaus Barthel (SPD). Sie werde beispielsweise in der Pflege oder in Krankenhäusern praktiziert, obwohl es dort keine Produktionsspitzen gebe, die mit mehr Arbeitskräften aufgefangen werden müssten.

Leiharbeiter hätten "Anspruch auf die gleichen Arbeitnehmerrechte, faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen wie alle anderen Beschäftigten", forderte Beate Müller-Gemmeke von den Grünen. Zeitarbeit müsse mehr reguliert werden.

Union und FDP verteidigten die Zeitarbeit. Lediglich drei Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten seien Zeitarbeiter.

Zudem hätten 65 Prozent der neu eingestellten Zeitarbeitnehmer zuvor keine Arbeit gehabt, sagte Gitta Connemann (CDU).

Viele der Betroffenen haben oft keine Wahl: Zeitarbeit oder keine Arbeit. Nach Angaben des SuGA-Berichts 2006 waren knapp zwei Drittel der Leiharbeiter vorher entweder arbeitslos oder noch nie beschäftigt.

Stellenangebote können Arbeitslose kaum ausschlagen, sonst drohen gekürzte Sozialleistungen.

Nach Auffassung der Bundesregierung zeigen die Zahlen aber auch: Leiharbeit ist eine Chance, sich wieder in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft zu integrieren.

Dagegen betont die IG Metall, nur sieben Prozent der Betroffenen kämen durch Leiharbeit (wieder) in ein festes Arbeitsverhältnis.

Hinzu kommt: Leiharbeiter fühlen sich sozial isoliert.

Nur Arbeitslose beurteilen ihre Integration in die Gesellschaft schlechter, hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ermittelt. Dies könne die psychische Gesundheit beeinträchtigen.

Dagegen ist Leiharbeit aus Sicht der Arbeitgeber eine Erfolgsstory.

Seit 1996 sind immer mehr Menschen in der Zeitarbeit tätig. Repräsentierten sie damals 0,6 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, so waren es nach BA-Daten im Juni 2011 knapp drei Prozent, das entspricht rund 910.000 Beschäftigten.

Viele Unternehmen halten Vorschriften nicht ein

Jeder dritte Leiharbeiter arbeitet als Hilfskraft, vor allem in produzierenden Großbetrieben wie in der Automobilbranche. Oft sind ihnen handwerkliche Tätigkeiten vorbehalten, etwa Gabelstapler fahren oder Montage am Fließband.

Hier liegt auch eine Ursache für die hohe Unfallrate. Probleme treten vor allem beim Gebrauch von Handwerkzeugen, anderen Arbeitsmitteln und Maschinen auf, hat der SuGA-Bericht ermittelt.

Häufig kommen Leiharbeiter mit Säuren, Lacken oder allergieauslösenden Stoffen in Kontakt. "Beruflich bedingte Hautkrankheiten rangieren auf Platz eins der Berufskrankheiten von Zeitarbeitern", sagt Arbeitsmediziner Petersen. An zweiter Stelle folgt die Lärmschwerhörigkeit.

"Der Arbeitsschutz von Zeitarbeitern ist eigentlich ausreichend gesetzlich geregelt", meint er. Dennoch halten viele Firmen die Vorschriften nicht ein, ergab eine von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin geförderte Studie. Aufgrund der kurzen Einsatzzeiten seien die Anforderungen an den Gesundheitsschutz nicht zu erfüllen, gibt ein Drittel der befragten Betriebe an.

Interview: "Betriebsärzte müssen besser kommunizieren"

Arbeitsmedizinische Vorsorge ist wichtig: Dr. Jens Petersen.

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Aktuelle Position: Leitender Arbeitsmediziner bei der Gesetzlichen Unfallversicherung VBG für Zeitarbeitsunternehmen.

Ausbildung: Petersen studierte von 1981 bis 1987 Humanmedizin in Mailand, Göttingen und Lübeck. Es schlossen sich Weiterbildungen in Arbeits- und in Innerer Medizin an.

Betriebsärzte können helfen, die Vorsorge bei Zeitarbeitern zu verbessern. Oft hakt es aber an der Kommunikation.

Ärzte Zeitung:Die Zeitarbeit verlangt viel Flexibilität. Was heißt das für Betriebsärzte?

Dr. Jens Petersen: Arbeitsmedizinische Vorsorge findet unter erheblichem Zeit- und Erfolgsdruck statt. Betriebsärzte müssen kurzfristig Untersuchungen einplanen und oft zu unüblichen Zeiten durchführen. Zudem sollen Zeitarbeiter variabel eingesetzt werden können.

Dafür sollen Vorsorgeuntersuchungen möglichst pauschal ganze Tätigkeitsgruppen und Expositionen abdecken, ohne dass der geplante Arbeitsplatz bekannt ist. Dadurch ergeben sich Probleme bei der arbeitsmedizinischen Bewertung und der Beratung beispielsweise zur erforderlichen persönlichen Schutzausrüstung.

Ärzte Zeitung: Fehlen rechtliche Regelungen für eine bessere betriebsärztliche Versorgung?

Petersen: Der Arbeitsschutz ist eigentlich ausreichend geregelt. Vor Kurzem sind zusätzliche Einsatzmöglichkeiten für die Betriebsärzte der Entleihunternehmen geschaffen worden. Betriebsärzte der Verleiher kennen aber häufig nicht die Arbeitsbedingungen der Zeitarbeiter, etwa weil die Arbeitsschutzvereinbarung zwischen Verleih- und Entleihbetrieb nicht vorliegt.

Zudem wäre eine bessere Kommunikation zwischen Betriebsärzten beim Ver- und Entleiher nötig. Denn die Vorsorge findet noch beim Verleiher statt, während des Einsatzes sieht der Betriebsarzt des Verleihers den Beschäftigten nicht.

Ärzte Zeitung: Wie können Betriebsärzte dazu beitragen, die Gesundheit von Zeitarbeitern zu verbessern?

Petersen: Ein zentrales Instrument ist die arbeitsmedizinische Vorsorge. Dabei können Betriebsärzte über spezifische Gefahren am Arbeitsplatz aufklären und Schutzmaßnahmen empfehlen.

Ebenso wichtig ist auch eine optimale Kommunikation zwischen den Betriebsärzten des Verleihers und des Entleihers und natürlich die Integration der Zeitarbeiter in das Arbeitsschutzsystem beim Entleiher. Die Gesetzliche Unfallversicherung für Zeitarbeitsunternehmen bietet hierfür konkrete Hilfestellungen.

Die Fragen stellte Johanna Dielmann-von Berg.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Zeitarbeit muss attraktiver werden

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