Hintergrund

Ein Potpourri gegen den Mangel

Vom Patientenbus bis zur Regiopraxis: Um die ärztliche Versorgung auf dem Land zu sichern, entwickelt die KV Brandenburg einen ganzen Strauß von Maßnahmen. Bei manchen sind die Kassen mit im Boot.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
KV-Chef Helming: "Wo heute gute Versorgung besteht, werden in 20 Jahren Ärzte gebraucht."

KV-Chef Helming: "Wo heute gute Versorgung besteht, werden in 20 Jahren Ärzte gebraucht."

© Mißlbeck

Die Rahmenbedingungen sind echte Herausforderungen: Brandenburg hat im Vergleich der Bundesländer die geringste Haus- und Facharztdichte. Rund 23 Prozent der Hausärzte und 17 Prozent der Fachärzte sind 60 Jahre und älter.

Auch die Einwohnerzahl in Brandenburg wird sinken. Rund 380.000 Menschen weniger werden in 20 Jahren in Brandenburg leben. Sie werden aber immer älter. Der Anteil über 60-jähriger, chronisch kranker oder multimorbider Patienten mit geringer Mobilität liegt jetzt schon über dem Bundesdurchschnitt.

Das gilt vor allem für die dünn besiedelten Regionen in weiter Entfernung von Berlin. Berlinnah nimmt die Bevölkerung dagegen zu und wird jünger.

Dieses Szenario entwirft KVBB-Chef Dr. Hans-Joachim Helming bei der Präsentation des KVRegioMed Konzepts vor der Vertreterversammlung in Potsdam.

Praxen sind immer schwerer wirtschaftlich zu führen

Die Konsequenz: "Wo heute gute Versorgung besteht, werden in 20 Jahren Ärzte gebraucht. Wo wir heute Unterversorgung beklagen, ist zukünftig eine Praxis wirtschaftlich schwer zu führen", sagt Helming.

Er weist auch darauf hin, dass sich die Anforderungen junger Ärzte an ihre Tätigkeit gewandelt haben. Kooperation, Flexibilität, Mobilität, Beschäftigungschancen für den Partner und Bildungschancen für die Kinder hätten einen höheren Stellenwert als Selbstständigkeit.

Helmings Schlussfolgerung: "Wir müssen die Matrix bieten, in welche die Vorstellungen dieser Generation passen."

Diese Matrix soll das KVRegioMed Konzept sein. Helming beschreibt es als "Baukasten, der Versorgungsdefiziten mit größtmöglichem Know-how begegnet und von den Ärzten flexibel genutzt werden kann".

Es ist modular angelegt. "Idealerweise finden in einer Region auch mehrere Module statt", so der KVBB-Chef. Bisher sind fünf Module definiert. Weitere können jederzeit dazu kommen.

agnes zwei und die Bereitschaftspraxis

Zwei relativ bekannte Module sind die KVRegioMed Bereitschaftsdienstpraxis und die Fallmanagerin agnes zwei. Beide Module sind umgesetzt, die Bereitschaftsdienstpraxis als Pilot, agnes zwei in der Breite. Dazu kommt der Patientenbus. Er soll Patienten ohne eigenes Auto von den Dörfern in die Stadt zu Fachärzten bringen.

Auch für das KVRegioMed-Zentrum, eine Art Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) unter dem Hut der KV, hat ein Pilotprojekt bereits begonnen. Es ist in Räumen des Krankenhauses in Helmings Heimatstadt Bad Belzig angesiedelt.

Wechselnde Ärzte aus umliegenden Krankenhäusern oder aus der Niederlassung bieten dort Spezialsprechstunden zum Beispiel für Schmerzpatienten, für Brustkrebspatienten und für Magen- und Darmkrebspatienten, die sonst deutlich weitere Wege zu solchen Versorgungsangeboten zurücklegen müssten.

Entsprechend gut wird das Angebot laut Kassenärztlicher Vereinigung Brandenburg auch angenommen.

Das KVRegioMed-Zentrum ist seinerseits wiederum modular angelegt und dem regionalen Bedarf vor Ort angepasst. Es kann an verschiedenen Orten unterschiedliche Angebote vorhalten. Denn alle RegioMed-Module sollen subsidiär angelegt sein.

Anschubfinanzierung dringend benötigt

Das fünfte Modul des Konzeptes ist die KVRegioMed-Praxis, für die es bisher noch kein Praxisbeispiel gibt. Dafür sind verschiedene Modelle denkbar. Sie kann als gemeinsame Zweigpraxis mit Infrastruktur der KV Ärzte verschiedener Fachrichtungen in zersiedelten Gebieten vorhalten.

Sie kann mit von der KV angestellten Ärzten Nachbesetzungsprobleme lösen oder Außenstelle eines RegioMed-Zentrums sein.

Wo welche Module sinnvoll sind, will der KVBB-Vorstand nun vor Ort klären. Es gilt laut Helming für jede Region fünf Fragen zu beantworten: Wie ist der Bedarf? Was wollen die niedergelassenen Kollegen? Welche Partner kommen auch von Seiten der Krankenhäuser in Frage?

Welche Versorgungsverbesserung sich erzielen lässt, soll mit den Instrumenten zur Bewertung von Zweigpraxen ermittelt werden. Wie das Projekt sich wirtschaftlich betreiben lässt, wird schließlich sicher die spannendste Frage bei der Umsetzung des Konzeptes.

"In der Startphase brauchen solche Projekte natürlich eine Anschubfinanzierung", so Helming.

Durch die Arbeitsgemeinschaft IGiB (Innovative Gesundheitsversorgung in Brandenburg) mit der AOK Nordost und der BarmerGEK hat die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg hier einen klaren Vorteil.

Und KVBB-Chef Helming ist überzeugt: "Wenn die Piloten sich bewährt haben, rechnen sie sich auch von selbst."

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