Lahme Kassen verärgern NRW-Hausärzte

Obwohl ein Schiedsspruch zum Hausartzvertrag in Nordrhein-Westfalen vorliegt, kommen mehrere Kassen nicht in die Puschen. Die Ärzte sind genervt: Viele Patienten können sich deswegen auch zum vierten Quartal nicht einschreiben.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Vor der Vertragsunterschrift steht die Bürokratie: Mehrere Kassen haben erst noch einen Druckauftrag für Formulare ausgeschrieben.

Vor der Vertragsunterschrift steht die Bürokratie: Mehrere Kassen haben erst noch einen Druckauftrag für Formulare ausgeschrieben.

© kpa

DORTMUND. Der 20. Juli ist ein wichtiges Datum für die Hausärzte in Nordrhein-Westfalen.

Bis zu diesem Stichtag können sie mit Wirkung zum vierten Quartal 2012 Patienten in die Hausarztverträge einschreiben, die Schiedsmann Gerald Weiß Ende 2011 für einen Großteil der Krankenkassen festgelegt hat.

Die Zeit läuft gegen die Hausarztverbände in Nordrhein und Westfalen-Lippe - doch sie wollen sich nicht entmutigen lassen.

"Kassen missbrauchen ihre Last"

Erst in diesen Tagen haben die Kassen damit begonnen, die Starterpakete mit den erforderlichen Dokumenten für die Aufklärung und Einschreibung der Versicherten zu versenden.

Über diese Verzögerungen sind die Vorsitzenden der nordrheinischen und westfälisch-lippischen Landesverbände des Hausärzteverbands Dr. Dirk Mecking und Dr. Norbert Hartmann nicht gerade glücklich.

Die beiden ärgert aber besonders, dass AOK, LKK, IKK gesund, Knappschaft-Bahn-See und einige Betriebskrankenkassen nicht mit von der Partie sind. Der Grund: Sie wollen den Druckauftrag für die Formulare erst noch ausschreiben.

Deren Versicherte werden sich also in diesem Jahr nicht mehr einschreiben können. "Diese Kassen müssen ihren Versicherten jetzt erklären, warum sie nicht am Hausarztvertrag teilnehmen können", sagt Hartmann im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

"Die Kassen missbrauchen ihre Macht zu Lasten der Versicherten, die nicht von den Vorteilen der hausarztzentrierten Versorgung profitieren können", kritisiert er.

Außer den bundesweiten Vollverträgen des Hausärzteverbands mit der Techniker Krankenkasse und der IKK classic sind in Nordrhein noch ein Add-on-Hausarztvertrag zwischen der AOK und der KV und in beiden Landesteilen Add-on-Verträge zwischen den KVen und der Knappschaft-Bahn-See in Kraft.

Hausarzt der koordinierende Arzt

Trotz der Widerstände auf Seiten vieler Kassenvertreter zeigen sich Hartmann und Mecking vom Potenzial der Vollversorgungs-Verträge überzeugt. Jetzt werde es Zeit, dass die Hausärzte das Konzept auch umsetzen können, fordern sie.

Es gebe eine breite Palette von Versorgungsmodulen, die an den Hausarztvertrag angedockt werden können. Für einzelne Bereiche hat der Deutsche Hausarztverband Behandlungspfade entwickelt: Diabetes, Rheuma und die Versorgung von Patienten in Pflegeheimen.

Dabei setzen die Hausärzte auf die Zusammenarbeit mit Fachärzten und anderen beteiligten Berufsgruppen, sagt Mecking.

"Der Hausarzt ist der koordinierende Arzt, der die Patienten an fest definierten Schnittstellen weiterleitet." Die Konzepte laufen unter der Marke "pro Versorgung".

Ein weiteres Angebot des Deutschen Hausärzteverbands ist das Internetportal www.hausmed.de. Es bietet Patienten strukturierte Lernprogramme und ein Coaching zu Themen wie Diabetes, Rauchentwöhnung oder Abnehmen. Stimmt der Patient zu, wird der Hausarzt über Lernfortschritte oder aber den Programmabbruch informiert.

Das von Krankenkassen vorgebrachte Argument, die Hausarztverträge hätten keine Auswirkung auf die Qualität der Versorgung, weisen die Verbandschefs zurück.

"Die Teilnahme ist für die Hausärzte an Qualitätsvoraussetzungen gebunden", betont Mecking. So müssten die Ärzte an den DMP und an Qualitätszirkeln teilnehmen und eine bestimmte Ausstattung der Praxis vorhalten.

Schiedsamtsverfahren zu erwarten

Das in den Hausarztverträgen liegende Potenzial könne aber nur zum Tragen kommen, wenn der Mehraufwand der Ärzte auch vergütet wird, betont Hartmann.

Der von Schiedsmann Weiß veranschlagte Vergütungszuschlag von zehn Prozent, der noch dazu unter einem Refinanzierungsvorbehalt steht, sei knapp bemessen.

Vor möglichen Rückforderungen ist ihm nicht bang. Schließlich müssten die Kassen jedem einzelnen Arzt nachweisen, dass er die vereinbarten Ziele nicht erreicht hat.

Hartmann und Mecking kritisieren, dass die Hausärzte noch keine Zielvereinbarungen mit den Kassen aushandeln konnten. "Unsere Vorschläge blieben bislang ohne Resonanz", sagt Hartmann.

Er erwartet, dass es zu diesem Thema wieder ein Schiedsamtsverfahren geben wird. "Langsam muss man sich fragen, ob die Kassen wirklich Interesse an einer besseren Versorgung haben oder doch nur an Billigmedizin."

Gerade wegen des langen Ringens um die Hausarztverträge stehen auch viele Kollegen dem Modell skeptisch gegenüber, wissen Mecking und Hartmann. Sie hoffen, dass sich das ändert, weil die ersten Abrechnungen für die laufenden Verträge vorliegen.

Bei der IKK classic zeichnet sich ein Fallwert von 86 Euro ab. "Die Kollegen merken, dass die von uns versprochenen Honorare tatsächlich fließen", betont Mecking.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Hausarzt-Konzepte verdienen Chance

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