Debatte

Ministerin Schröder will "angemessene Betäubung" bei Beschneidung

Das Kölner Beschneidungsurteil hat Rabbiner und Ärzte verunsichert und weltweit für Aufsehen gesorgt. Nach anfänglichem Abwägen strebt die Bundesregierung nun doch eine schnelle gesetzliche Klarstellung an. Am 23. August hört der Deutsche Ethikrat Experten an.

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BERLIN (dpa). Im Streit um die Zulässigkeit von Beschneidungen bei Kleinkindern plädiert Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) für eine Harmonisierung von religiösen Vorschriften und medizinischen Standards. "Eine angemessene Betäubung bei der Beschneidung ist für mich ein sehr wichtiger Punkt", sagte Schröder der Wochenzeitung "Jüdische Allgemeine".

Eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums versicherte am Mittwoch, man wolle zügig eine gesetzliche Regelung vorlegen. Der Deutsche Ethikrat will an diesem Donnerstag in Berlin fünf Experten anhören, darunter Theologen, Juristen und Mediziner.

Schröder sagte: "Ich erkenne in der jüdischen Religionspraxis durchaus Wege, eine maximale Schmerzfreiheit und ärztliche Standards mit den religiösen Vorschriften in Einklang zu bringen." Die Ministerin hatte zuvor mit dem israelischen Oberrabbiner Yona Metzger und weiteren Rabbinern ein Gespräch geführt.

Metzger hatte am Vortag zwar die Möglichkeit einer medizinischen Fortbildung für jüdische Beschneider betont, sich aber zugleich gegen Betäubungen und eine generelle Übertragung der Beschneidung an Ärzte ausgesprochen.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte bei einem Besuch in Liechtenstein: "Jüdische und muslimische Traditionen müssen auch in Deutschland ohne Rechtsunsicherheit gelebt werden können. Wir dürfen das Ansehen Deutschlands in der Welt als ein Land der religiösen Toleranz nicht aufs Spiel setzen."

Aktueller Anlass der Aussage Westerwelles ist eine weitere Strafanzeige wegen Körperverletzung gegen einen Rabbiner. Ein Arzt aus Gießen (Hessen) hat den jüdischen Geistlichen David Goldberg bei der Staatsanwaltschaft Hof (Bayern) angezeigt (wir berichteten kurz). Die Ermittler prüften derzeit die "strafrechtliche Relevanz" der Anzeige, sagte ein Sprecher der Behörde.

Rabbiner will trotz Anzeige weiter ohne Betäubung beschneiden

Der 64-jährige Rabbiner kündigte an, er werde trotz der Anzeige weiter Jungen ohne Betäubung beschneiden. "Bislang gibt es kein Gesetz, das die Beschneidung verbietet", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Es gebe nur das Urteil des Landgerichts Köln, das die religiös motivierte Beschneidung eines Jungen als strafbare Körperverletzung bewertet.

Goldberg führt nach eigenen Angaben bis zu 30 Beschneidungen im Jahr an Kleinkindern durch und zieht auf Wunsch auch einen Arzt hinzu. Eine Betäubung der Kleinkinder lehnt er ab. Dies sei viel schädlicher, betonte er und fügte hinzu: "Die Kinder schlafen nach dem Eingriff immer wenige Minuten später friedlich ein."

Goldberg kündigte an, seinen Fall mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland zu besprechen. In der Anzeige wird ihm unter anderem vorgeworfen, auf seiner Internetseite dazu einzuladen, "medizinisch nicht indizierte operative Genitaloperationen an nicht einwilligungsfähigen Säuglingen" vorzunehmen.

Hinter der Strafanzeige wegen Misshandlung und schwerer Körperverletzung vermutet der Rabbiner antisemitische Motive. Anders könne er sich das nicht erklären, sagte er.

Der Gießener Arzt Sebastian Guevara Kamm wies diesen Vorwurf als "üblichen Reflex" zurück. "Ich sehe mich dem Schutz der Kinder verpflichtet, und das gilt nicht nur gegenüber rituellen Beschneidern, sondern auch gegenüber ärztlichen Kollegen", betonte er auf Anfrage.

Goldberg habe weder eine Zulassung als Arzt noch hinreichende medizinische Kenntnisse. Zudem führe er die Eingriffe an medizinisch ungeeigneten, unsterilen Plätzen durch.

Die religionskritische Giordano Bruno Stiftung kündigte weitere Aktionen gegen die "Zwangsbeschneidung" von Kleinkindern an. Dies sei keine Bagatelle, sondern ein «nicht zu rechtfertigender Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht und die körperliche Unversehrtheit des Kindes.

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