Entgeltsystem PEPP

Akzeptanz sieht anders aus

Union und SPD haben beim neuen Vergütungssystem in psychiatrischen Kliniken die Notbremse gezogen. Zu Recht, wird es bei einer Anhörung am Mittwoch heißen. Nur der GKV-Spitzenverband sieht das anders.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Protest im Mai 2011 vor der Klinik in Wiesloch: Die Skepsis ist geblieben.

Protest im Mai 2011 vor der Klinik in Wiesloch: Die Skepsis ist geblieben.

© Uli Deck / dpa

BERLIN. Es kommt selten vor, dass die Anhörung eines Bundestagsausschusses ein Stück weit obsolet wird, weil die Politik das Ruder herumwirft. Genau das ist beim neuen Vergütungssystem für psychiatrische Kliniken geschehen.

Am 7. Mai berät der Gesundheitsausschuss über Anträge von Grünen und Linken, die das Pauschalierende Entgeltsystem für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen (PEPP) überarbeiten (Grüne) oder stoppen (Linke) wollen.

Kürzlich hat die große Koalition nun selber die Bremse gezogen: Die Fraktionsvorstände von Union und SPD haben die sogenannte Optionsphase, in der Kliniken PEPP erproben können, bis Ende 2016 verlängert.

Eigentlich sollte schon ab kommendem Jahr PEPP zur Pflicht werden. Nun soll das Bundesgesundheitsministerium PEPP "grundsätzlich" prüfen und "gegebenenfalls Alternativen" entwickeln.

Nur wenige haben sich freiwillige gemeldet

Grüne und Linke haben im Frühjahr eine Anhörung im Gesundheitsausschuss durchgesetzt, mit der auch eine Zwischenbilanz des bisherigen Umsetzungsprozesses gezogen werden soll.

Die Stellungnahmen für die am 7. Mai anberaumte Sitzung zeichnen ein fast durchgängig kritisches Bild: Der Großreform fehlt auch zwei Jahre, nachdem die Verordnung vom damaligen Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) per Ersatzvornahme durchgepeitscht wurde, die Akzeptanz.

Von den bundesweit rund 570 psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken und Fachabteilungen beteiligen sich nicht einmal 80 freiwillig an PEPP.

Die drei kinder- und jugendpsychiatrischen Fachverbände (BAG, BKJPP, DGKJP) bezeichnen die Entgeltreform als "festgefahren".

Die Verbände wie auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) halten eine Verschiebung des Starts der budgetneutralen Einführungsphase für "zwingend erforderlich". Die Krankenhausgesellschaft regt zudem zum Thema einen "runden Tisch" unter Führung des BMG an.

Professor Thomas Pollmächer, Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit im Klinikum Ingolstadtund Vorsitzender des Verbands leitender Ärzte der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie (BDK), macht klar, dass man am alten Vergütungssystem nicht langfristig festhalten wolle.

Allerdings müsse sichergestellt sein, dass die flächendeckende Einführung von PEPP "mehr nutzt als schadet": Kliniken fürchten, dass in der Konvergenzphase, in der die Entgeltreform schrittweise scharf gestellt wird, die tagesbezogene Vergütung sinken wird. Da keinerlei technische Rationalisierungspotenziale vorhanden sind, warnt Pollmächer vor einer "drastischen Reduktion der Personalstärken in den Kliniken".

GKV-Spitzenverband: Bisherige Vergütungssystem nicht leistungsgerecht

Mit dieser Sorge eng verknüpft ist der bisher geplante Wegfall der Psychiatrie-Personalverordnung (PsychPV) im Jahr 2017. Diese schreibt Sollstärken für das vorzuhaltende Personal vor und ist - so die kinder- und jugendpsychiatrischen Verbände - insoweit eine "Strukturqualitätsgarantie".

Als Ersatz für die PsychPV soll der Gemeinsame Bundesausschuss Empfehlungen für die Personalausstattung entwickeln - und hat damit bisher noch nicht einmal angefangen. Pollmächer hält es für "nahezu ausgeschlossen", dass bis Ende 2016 solche neuen Standards vorliegen.

Schaltet man dennoch PEPP 2017 scharf, würden die Personalschlüssel in "freien Fall" übergehen, warnen die Kinder- und Jugendpsychiater.

Ein völlig anderes Bild zeichnet der GKV-Spitzenverband: Das bisherige Vergütungssystem in der Psychiatrie sei nicht leistungsgerecht und zementiere Fehlanreize in der Versorgung. Eine verlängerte Optionsphase lehnt der Spitzenverband ab.

Die im April beschlossene Weiterentwicklung des Entgeltsystems räume "die wesentlichen Kritikpunkte an der PEPP-Version der ersten Systemjahre aus", heißt es. Hier habe die Selbstverwaltung "Handlungsfähigkeit" bewiesen.

Die von den Kliniken als Notanker gesehene Psychiatrie-Personalverordnung erklärt der Spitzenverband für "verzichtbar" und "veraltet".

Im neuen Entgeltsystem werde eine personalintensive Versorgung "durch ein höheres Relativgewicht" abgebildet. Dass dies die Kritiker von PEPP milde stimmt, darf bezweifelt werden.

Forderungskatalog an Gröhe

Unterdessen haben die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und weitere 17 Fachverbände und -gesellschaften ein Umsteuern beim Psychiatrie-Entgeltsystem verlangt.

Sie erklärten in einem Schreiben an Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe am Montag, die Verlängerung der Optionsphase bis Ende 2016 sei ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Dies nehme den akuten Umsetzungsdruck und biete die Chance für eine grundlegende Kurskorrektur. Als überfällig bezeichnete die DGPPN federführend für die unterzeichnenden Fachverbände die für den Mittwoch anberaumte Expertenanhörung im Bundestag.

Zu lange seien Bedenken der Experten auf politischer Ebene ungehört geblieben. PEPP sorgt seit Monaten bei Patienten, Angehörigen, Ärzten und Pflegekräften für heftige Kritik, weil es die Fehler des DRG-Systems in der somatischen Medizin wiederhole. Nun haben die Experten einen Katalog mit zentralen Forderungen aufgestellt:

- Es bedürfe einer fachlich begründeten, bürokratiearmen Leistungserfassung und Kalkulation;

- Nötig sei eine an den Leitlinien ausgerichtete Personalbemessung und Finanzierung des wissenschaftlichen Fortschritts innerhalb der evidenzbasierten Psychotherapie und psychosozialer Interventionen;

- Bei Mehrleistungen infolge erhöhter Morbidität und der Umsetzung des Krankenhausplans müssten Regelungen für einen Mittelzufluss in das Gesamtsystem erstellt werden;

- Neue sektorenübergreifende Behandlungsformen wie Home-treatment müssten auch außerhalb von Modellvorhaben rechtlich abgesichert und adäquat vergütet werden;

- Die Auswirkungen von PEPP auf die Verteilungsgerechtigkeit zwischen Elektiv- und Pflichtversorgung der Patienten müssten transparent gemacht und Fehlallokationen vermieden werden.

- Außerdem solle der Entwicklungsprozess für das neue Vergütungssystem durch eine unabhängige Expertenkommission beratend begleitet werden. (fst, bd)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: PEPP muss zum TÜV

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