Wirtschaftsweise

"Kehrtwende" in der GKV

Der Sachverständigenrat lässt kein gutes Haar an der Neuregelung der Zusatzbeiträge. Kritik gibt es auch am Entwurf zur Tarifeinheit.

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BERLIN. Die Wirtschaftsweisen haben eine kritische Zwischenbilanz der rot-schwarzen Gesundheitspolitik gezogen. In dem Jahresgutachten, das die fünf Wissenschaftler am Mittwoch in Berlin vorgestellt haben, nimmt der Rat vor allem die jüngsten Finanzreformen in der GKV aufs Korn.

"Beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit" sei mit dem Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungs-Gesetz (FQWG) ein kassenindividueller einkommensabhängiger Zusatzbeitrag etabliert worden.

Dies sei eine "Kehrtwende" im Vergleich zum GKV-Finanzierungsgesetz im Jahr 2011, das einen einkommensunabhängigen Zusatzbeitrag vorsah -  der aber bis zu seiner Abschaffung nie erhoben wurde. Mit der Neuregelung, die im Sommer von der großen Koalition beschlossen wurde, werde sich der Anreiz für Kassenmitglieder abschwächen, die Kasse zu wechseln, wenn sie teurer ist als andere.

Kassenwettbewerb wird entschärft?

Pauschale Zusatzbeiträge, wie sie von der schwarz-gelben Koalition vorgesehen waren, hätten deutlichere Preissignale ausgesendet, weil der Zusatzobolus nicht von der Umverteilungskomponente der einkommensabhängigen Erhebung überlagert worden wäre. Als Folge, fürchtet der Rat, werde der Kassenwettbewerb entschärft und dessen kostendämpfende Effekte verringert.

Skeptisch zeigen sich die Wirtschaftsweisen - wie auch andere Experten zuvor -  beim geplanten Pflegevorsorgefonds. Dieser ist im ersten Pflegestärkungsgesetz enthalten, das der Bundestag kürzlich beschlossen hat. Dämpfen könne der Fonds demografisch bedingte Beitragssatzsteigerungen nur dann, wenn der Aufbau des Kapitalstocks bis zum Jahr 2034 durchgehalten wird.

Bundesbank kann den Fonds nicht schützen

Die Bundesbank, die das Vermögen verwaltet, könne den Fonds nicht vor Zweckentfremdung schützen. So werde gegenwärtig die Nachhaltigkeitsrücklage der gesetzlichen Rentenversicherung zur Finanzierung des Rentenpakets herangezogen. Zudem hat der Bund zum wiederholten Mal seinen Zuschuss an die GKV gekürzt, der eigentlich der Finanzierung versicherungsfremder Leistungen dient.

Ablehnend kommentieren die Wirtschaftsweisen den Gesetzentwurf zur Tarifeinheit, der von Spartengewerkschaften wie dem Marburger Bund heftig bekämpft wird. Die Notwendigkeit, gesetzlich in privatwirtschaftliche Verteilungskonflikte einzugreifen, zieht der Rat in Zweifel: Die Arbeitskampfbilanz in Deutschland sei im internationalen Vergleich "unauffällig", die Zersplitterung der Tariflandschaft ausgeblieben.

Man sei "weit von einer Gefährdung der generellen Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie entfernt". Der Rat empfiehlt dem Gesetzgeber, "die Entwicklungen weiter zu beobachten". (fst)

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