Chefarzt-Boni

Westfalen-Lippe stößt Ethik-Debatte an

Die Kammer kann Chefarztverträge formal unter die Lupe nehmen, Nebenabreden kennt sie häufig nicht. Neben einem Katalog ethischer Grundsätze will die Kammer Einfluss auf die Debatte zurückgewinnen.

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Ein Arzt freut sich über einen Bonus. Doch die Sonderzahlungen für Chefärzte sind stark umstritten.

Ein Arzt freut sich über einen Bonus. Doch die Sonderzahlungen für Chefärzte sind stark umstritten.

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MÜNSTER. Aller öffentlichen Kritik und allen Empfehlungen von ärztlichen Organisationen zum Trotz: Chefarzt-Verträge mit wirtschaftlichen Zielvorgaben und Bonus-Regelungen sind nach wie vor gang und gäbe. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Ärztekammern die Verträge ihrer Mitglieder unter die Lupe nehmen können.

"Zu den Verträgen gibt es häufig Nebenabreden, die uns nicht vorgelegt werden", sagt Dr. Theodor Windhorst, Kammerpräsident in Westfalen-Lippe (ÄKWL).

Zudem ist die Vorlage der Vereinbarungen keine Pflicht, es gibt kein flächendeckendes Monitoring. Das zu ändern könnte durchaus Sinn machen, findet ÄKWL-Vize Dr. Klaus Reinhardt. "Es wäre nicht dumm, wenn Chefarztverträge inklusive aller Nebenabreden der Bewertung durch die Ärztekammer bedürften."

Zumindest bei Krankenhäusern in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft sollte das möglich sein, sagt Reinhardt. "Bei privaten Kliniken wird das schwer umzusetzen sein."

Über- und Unterversorgung als Folge

Die ökonomischen Zielvorgaben bringen Ärzte nicht nur dazu, nicht indizierte Leistungen zu erbringen. Sie verleiten zum Teil auch dazu, den Patienten notwendige Leistungen vorzuenthalten, weiß der Vorsitzende des Hartmannbundes. Zwar hätten viele Ärzte mit Blick auf diese Auswüchse der Ökonomisierung ethische Bedenken. "Aber um die Chefarztposten besteht Wettbewerb, deshalb lassen sich die Kollegen darauf ein", sagt er.

Um Ärzte in solchen Situationen an ihre ethische Verantwortung zu erinnern und ihnen gleichzeitig Rüstzeug für die Auseinandersetzung mit der Klinikführung an die Hand zu geben, hat die ÄKWL sieben "Ethische Grundsätze für ärztliches Handeln" aufgestellt.

"Die medizinische Indikationsstellung als Kernelement der ärztlichen Tätigkeit und Identität ist von medizinfremden Erwägungen und Einflüssen freizuhalten", heißt es. "Ökonomische Interessen dürfen nicht ausschlaggebend für die Erbringung medizinischer Leistungen sein." Weitere zentrale Themen sind die Wahrung des Arztgeheimnisses, die Achtung der Selbstbestimmung und der Würde der Patienten sowie die Bedeutung der Arzt-Patienten-Kommunikation.

Ethik-Grundsätze als "roter Faden"

Der ÄKWL-Vorstand hat die ethischen Grundsätze, die vom Arbeitskreis "Ethikrat" erarbeitet worden sind, Mitte Juni verabschiedet, die Kammerversammlung hat sich einstimmig hinter sie gestellt. Ziel ist es, der Ökonomisierung im Gesundheitswesen etwas entgegenzuhalten.

"Wir müssen weg von der Gesundheitswirtschaft, die den Menschen vergisst und nur die Zahlen in den Vordergrund stellt", fordert Windhorst. Die ethischen Grundsätze sollen Ärzten dabei als eine Art "roter Faden" zur Orientierung dienen. Windhorst hofft, dass sich weitere Kammern der Initiative aus Westfalen-Lippe anschließen.

Die Kammer wird die ethischen Grundsätze an die ärztlichen Leitungen sowie die Verwaltungsdirektoren der Krankenhäuser in Westfalen-Lippe schicken. Zudem soll sie jeder Arzt nach der Weiterbildungs-Prüfung erhalten, kündigt Windhorst an. "Ich möchte erreichen, dass wir die ökonomischen Überschriften aus der Patientenversorgung streichen können."

Handlungsbedarf gegenüber ökonomischem Denken auch in der Ambulanz

Windhorst und Reinhardt ist klar, dass es Handlungsbedarf gegen die Dominanz ökonomischen Denkens nicht nur im stationären, sondern auch im ambulanten Bereich gibt. Als Beispiel sehen sie die individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL). Die Bundesärztekammer habe klare Regeln für den Umgang mit IGeL in den Praxen vorgegeben, sagt Reinhardt. "Wer sich daran hält, steht im Einklang mit unseren ethischen Grundsätzen."

Anders sehe es aus bei Kollegen, für die Geschäftemacherei im Vordergrund steht. "Das gehört zu den Themen, bei denen Ärzte ihre Reputation verlieren können", betont er.

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