KV-Vorstand Berlin

Neustart mit Hindernissen

Seit Februar ist Berlins neuer KV-Vorstand im Amt. Die Startphase für Dr. Margret Stennes und Günter Scherer war turbulent. Im Interview ziehen beide Zwischenbilanz – zur Aufarbeitung der internen Konflikte und zu widersprüchlichen Forderungen der Politik.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck und Anno FrickeAnno Fricke Veröffentlicht:
Der neue Vorstand des KV Berlin hatte zum Start zunächste einige interne Konflikte aufzuarbeiten.

Der neue Vorstand des KV Berlin hatte zum Start zunächste einige interne Konflikte aufzuarbeiten.

© fotomek / fotolia

Ärzte Zeitung: Die Vorstandswahlen sind angefochten, ein Vorstandsmitglied muss nachgewählt werden: Ist der Vorstand der KV Berlin arbeitsfähig?

Günter Scherer: Ja, der Vorstand arbeitet schon. Wir machen eine Bestandsaufnahme, zum Beispiel von laufenden Gerichtsverfahren. Es gibt mehr als 1800 Verfahren, zumeist Anfechtungen von Honorarabrechnungen. Diese Zahl macht den Handlungsbedarf deutlich.

Dr. Margret Stennes: Wir verstehen uns als der gewählte Vorstand. Wir haben trotz der Anfechtung durch ein Mitglied der Vertreterversammlung (VV) keine Zweifel daran, dass es rechtskonform war, wie die Vorsitzende der VV die Wahl organisiert hat. Die Rechtsaufsicht teilt diese Ansicht. Wir hoffen darauf, dass wir bis Juni eine Entscheidung bekommen. Der neue dritte Vorstand soll am 18. Mai gewählt werden.

KV-Vorstandsvorsitzende Dr. Margret Stennes.

KV-Vorstandsvorsitzende Dr. Margret Stennes.

© privat

Die Aufsicht hat die KV Berlin unter die Lupe genommen. Was ist dabei herausgekommen?

Stennes: Der Bericht ist Anfang des Jahres noch dem alten Vorstand vorgelegt worden. Er wird Gegenstand der Vertreterversammlung sein. An vielen Kritikpunkten der Aufsicht ist etwas dran. Wir sind aber nicht in jedem Punkt der gleichen Meinung wie die Aufsicht. Ein Beispiel ist, dass wir die Plausibilitätsprüfungen ausweiten sollen. Das wollen wir nicht machen.

Scherer: Wir sind dabei zu schauen, wie die Plausi-Prüfungen zeitnaher erfolgen können. Im Moment wird der Jahrgang 2013 geprüft. Die Folgejahre kommen erst noch. Da können ohne Vorsatz umstrittene Summen in sechsstelliger Höhe zusammenkommen. Man darf sich dann nicht wundern, wenn die Betroffenen vor Gericht gehen. Wir müssen es hinbekommen, dass man die Vergangenheit ruhen lässt. Nicht an den Stellen, an denen bereits etwas aufgefallen ist, versteht sich. Aber wir möchten dahin kommen, dass sich Fehler zeitnah abstellen lassen. Ich habe das Gefühl, dass die Aufsicht dafür Verständnis hat. Die Aussicht, dass sich der Dauerkonflikt nicht fortsetzt, dass man zu einem geordneten Arbeiten kommen kann, löst bei der Aufsicht positive Reaktionen aus.

KV-Vorstandsmitglied Günter Scherer.

KV-Vorstandsmitglied Günter Scherer.

© KV Bremen

Ihre Schilderung der Bestandsaufnahme klingt so, als sei das Feld nicht wohl bestellt hinterlassen worden...

Stennes: ... sehr höflich formuliert.

Wie ist der Stand der Auseinandersetzungen mit dem alten Vorstand? Ein Übergangsgeld ist im Gespräch.

Scherer: Dafür ist die VV zuständig. Sie hat mit dem Vertrauensausschuss ein Gremium gebildet, das die Vergangenheit aufarbeiten soll. Wir halten uns an dieser Stelle zurück.

Stennes: In der vergangenen Legislatur ist stark um die Kompetenzen der einzelnen Organe gerungen worden, auch darum, dass die VV als Aufsichtsorgan fungieren soll. Wir akzeptieren diese Rollenverteilung. Was das hinterlassene Feld angeht, das sie angesprochen haben, hatte ja die VV die Prüfungen des internen Kontrollsystems in Auftrag gegeben. Herausgekommen ist, dass das Kontrollsystem bei der Honorarverteilung nicht ausreichend war. Es gab keinen Abgleich zwischen der verteilten und der zur Verfügung stehenden Honorarmenge, und der Vorstand konnte an jeder Stelle eingreifen. Der neue Vorstand wird nicht mehr beliebig eingreifen.

Scherer: Auch die Personalpolitik muss angesprochen werden. Hier im Haus ist die Einstellung von Mitarbeitern ausschließlich mit befristeten Verträgen erfolgt. Das kann man mal machen, aber nicht als flächendeckendes System. Auch Leiharbeit ist breit vertreten. Das wollen wir zurückfahren und eine andere Personalpolitik betreiben. Das geht nicht von heute auf morgen, aber wir haben damit angefangen.

Stennes: Wir stellen fest, dass viele Prozesse in dieser Verwaltung enorm bürokratisch und aufwändig gestaltet sind. Wir sehen es daher als unsere Aufgabe an, klare nachvollziehbare Verfahrensvorgaben einzuführen.

Zur Gestaltung der Versorgung: Auch in Berlin gilt vor allem die Notfallversorgung als drängendes Thema. Wie gehen Sie es an?

Scherer: Konkret ausgearbeitete Konzepte gibt es noch nicht. Bei der Analyse muss man jedoch trennen zwischen dem gefühlten Bedarf und den objektiv vorhandenen Defiziten. Da gibt es eine Diskrepanz. Man kann kritisch hinterfragen, ob es richtig ist, dass die Notfallaufnahmen der Krankenhäuser überfüllt sind, während in der ganzen Stadt die Praxen geöffnet haben. Das muss man sich ansehen. Aber Portalpraxen, die nur das Etikett tragen, dabei jedoch nur von Krankenhausärzten betrieben werden, helfen uns nicht weiter.

Wie bewerten Sie die Haltung der Politik in dieser Frage?

Scherer: Die Politik muss sagen, was sie will. Sie hat richtigerweise einen Konzentrationsprozess bei den Arztpraxen in Gang gesetzt. Gleichzeitig beklagt sie sich aber, dass es weniger Standorte mit Praxen gibt. Es ist doch aber klar, dass drei Standorte wegfallen, wenn sich vier Einzelpraxen in einer Berufsausübungsgemeinschaft zusammentun. Hier spüre ich eine Inkonsequenz, das eigene Tun auch zu akzeptieren.

Stennes: Beim Begriff Notfallversorgung geht es für uns um den vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst. Wir müssen genau hinsehen, was ein Notfall im eigentlichen Sinne ist. Wir haben nämlich ein Angebot, das gut angenommen wird. Wir haben einen ärztlichen Bereitschaftsdienst, der rund um die Uhr auch zu den Menschen nach Hause kommt.

Portalpraxen sollen eigentlich von Vertragsärzten betrieben werden. Senatorin Dilek Kolat plant in Berlin mit 20 Portalpraxen. Gibt es dafür ausreichend Personal?

Scherer: Nein, das gibt es nicht. Wenn man 20 Portalpraxen besetzen wollte, müsste man den Ärzten eine extreme Belastung durch Notdienste zumuten, während man gleichzeitig beklagt, dass die Bereitschaft zur Niederlassung gering ist.

Welchen Bedarf sehen Sie, wenn man die Bequemlichkeit der Patienten und das Interesse der Krankenhäuser, über Portalpraxen die Betten zu belegen, herausrechnet?

Scherer: Um das zu überblicken, bin ich noch nicht lange genug in Berlin. In Bremen, wo ich zuletzt war, gab es zwei Portalpraxen. Hochgerechnet auf Berlin käme ich auf zehn. Wir haben noch keine fertigen Konzepte. Es wäre auch vermessen für den Vorstand, zu glauben, dass wir das allein machen können. Wir müssen mit den Ärzten darüber reden, wozu sie bereit sind. Wir wollen das nicht konfrontativ angehen, sondern wir wollen gemeinsame Lösungen finden.

Stennes: Das wird Gespräche in alle Richtungen nötig machen. Einmal in Richtung Politik, um deutlich zu machen, dass nicht jeder Patient in die Notfallbehandlung des Krankenhauses gehört. Und wir müssen das mit den Berliner Ärzten besprechen, die anders als Ärzte in Flächenstaaten schon lang nicht mehr die Verpflichtung hatten, dass sie Dienste machen mussten. Das wird sicher keine leichte, aber eine spannende Aufgabe.

Wie sieht es denn mit der Versorgungssteuerung zwischen den Bezirken aus. Was hat der Letter of Intent erreicht?

Stennes: Der LOI wird ja von der Vertreterversammlung sehr kritisch gesehen. Wir haben darum gebeten, dass uns die aktuellen Zahlen vorgelegt werden. Auf dieser Basis wollen wir analysieren, wie sich die Versorgungsgrade entwickelt haben und zu einer Beurteilung kommen.

Scherer: Aber auch hier gilt der Hinweis: Die Konzentrationsprozesse, die von der Politik initiiert wurden, stehen am Anfang. Sie werden weitergehen. Man kann lange darüber diskutieren, ob nach Marzahn oder Neukölln noch ein Arztsitz mehr muss, wenn sich die Zahl der Standorte insgesamt reduziert. In einer Stadt wie Berlin mit guten Verkehrsanbindungen kann man nicht die Erwartung haben, dass an jeder Ecke jeder Facharzt erreichbar sein muss.

Stennes: Da müssen die Besonderheiten Berlins Berücksichtigung finden. Gleichzeitig ist klar, dass wir wie beim Notdienst einen Sicherstellungsauftrag haben und deshalb mitreden. Feststeht für uns, dass wir bei der Beplanung sowohl Einzelpraxen als auch Kooperationsformen begrüßen und keine Form bevorzugen. Das war in der Vergangenheit auch anders.

Sollte man mit diesem Komplex solange warten, bis der GBA eine neue Bemessungsform gefunden hat?

Scherer: Ich glaube, das Gutachten wird so schnell nicht kommen, und dann bleibt die Frage, wie lange die Parteien darüber streiten, was es bedeutet. Die Politik hat nun gerade die Regelung geschaffen, dass wir Arztsitze über 140 Prozent nicht mehr ausschreiben sollen. Jetzt wird diskutiert, den Bedarf anders zu definieren. Das ist aus meiner Sicht ein Hin und Her. Eigentlich ist mein Eindruck, dass Berlin nicht schlecht versorgt ist.

Das Gutachten soll ja die Bemessungsgrundlage aktualisieren.

Stennes: Es wäre absurd diese Ergebnisse, die auf höchstem Expertenniveau gefunden werden, nicht einzubeziehen. Aber wir müssen auch vorher schon diskutieren. Es ist erwiesen, dass angestellte Ärzte nicht in dem Maße an der Versorgung teilnehmen wie Freiberufler. Hinzu kommt, dass Berlin in erheblichem Maße das Umland mitversorgt. Diese Dinge müssen berücksichtigt werden.

Berlin ist eine wachsende Stadt in einer Metropolregion. Wie wollen Sie das berücksichtigen?

Stennes: Es wäre spannend, genauer hinzusehen, wie alt die neuen Bürger sind, ob wir mehr Kinderärzte oder mehr Allgemeinärzte bräuchten und wie sich der geriatrische Bedarf entwickelt. Für eine Stadt wie Berlin sind das wichtige Fragen.

Scherer: Wenn die Bevölkerung jünger wird, sinkt der Leistungsbedarf pro Versichertem. Also kommt es darauf an, wie der Zuwachs aussieht. Eine einfache Antwort, wie sich der Bedarf verändert, gibt es daher nicht.

Stennes: Auch die Sprache der Versicherten spielt eine Rolle. Sie ist aber bisher gar nicht Gegenstand der GKV.

Kann man denn beziffern, wie hoch die Mitversorgereffekte sind?

Scherer: Der Saldo im Fremdkassenzahlungsausgleich ist immens und er wächst. 2011 lag er bei rund 100 Millionen Euro, 2015 bereits bei knapp 125 Millionen.Es wurde ja schon mal darüber nachgedacht, die KVen Brandenburg und Berlin zu fusionieren.

Scherer: Ich glaube, im Moment will die KV Berlin keiner.

Wären solche Strukturen denn überhaupt grundsätzlich sinnvoll?

Scherer: Die Leistungsfähigkeit einer Einheit wird nicht mit ihrer Größe wachsen. Die Ärzte müssen ihre KV auch noch als ihre KV wahrnehmen. Berlin hat eine Größe, die eine eigene KV durchaus rechtfertigt.

Stennes: Das ist auch eines unserer Ziele, dass die Berliner Ärzte die KV wieder als ihre KV erleben.

Scherer: Die Frage wird zunächst sein, ob man die Zerrissenheit in der Vertreterversammlung überwinden und zu einem konstruktiven Miteinander kommen kann. An die Sitzungsfrequenz und –dauer muss ich mich erst gewöhnen. Aber die Fachausschüsse führen durchaus konstruktive Diskussionen. Das stimmt mich optimistisch. Auch in der VV gab es Sachdiskussionen und Entscheidungen mit deutlichen Mehrheiten, die die Hoffnung stärken, dass die 19:21-Situation überwunden werden kann.

Was können die Ärzte denn in Sachen Honorarverteilung von der KV Berlin erwarten?

Scherer: Wir hatten ja die Situation, dass nicht klar war, was ausgeschüttet und was reingekommen ist. Dieses Problem ist überwunden. Jetzt gibt es einen Soll-Ist-Abgleich.

Aber die Lücke bleibt bestehen?

Stennes: Es hat sich gezeigt, dass die Ist-Zahlen stimmen. Das bedeutet: Es wurde mehr Geld ausgeschüttet als eingenommen. Das wird nun angepasst. Das geschieht ansatzweise bereits. Das hat die VV bereits in der letzten Legislaturperiode veranlasst. Jetzt findet auch eine genaue Hausarzt-Facharzt-Trennung statt, die ebenfalls nicht möglich war, weil der Soll-Ist-Abgleich fehlte.

Scherer: Der Revisionsverband ist jetzt dabei, genauer zu quantifizieren, wie die Trennung erfolgt ist und ob jemand zuviel Honorar erhalten hat und wenn ja, wer . Erst wenn wir das wissen, können wir diskutieren, wie das ausgeglichen oder zurückgeführt werden soll.

Das bedeutet, dass die Berliner Ärzte nun erst einmal weniger Honorar erhalten?

Stennes: Es hat bereits Anpassungen nach unten gegeben. Ob die ausreichend und gerecht sind, darüber lässt sich derzeit nur spekulieren. Wenn das Gutachten des Revisionsverbands vorliegt, werden wir verlässliche Zahlen haben. Dann müssen wir sehen, welche Konsequenzen wir daraus ziehen - insbesondere, inwieweit der Honorarverteilungsmaßstab geändert werden muss. Wir wollen aber darüber hinaus regelmäßige Honorarberichte erstellen und auch damit zu mehr Transparenz beizutragen. Im KV-Blatt soll veröffentlicht werden, wie die Umsätze, die RLV-Ausschöpfung und Auszahlungsquote in den Fachgruppen sich entwickeln.

Dr. Margret Stennes

» Vorstandsvorsitzende der KV Berlin

» Fachärztin für Innere Medizin, für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

» Nach ihrer Niederlassung in Berlin 1999 begann die gebürtige Essenerin, sich berufspolitisch in der KV zu engagieren.

» Seit 2011 ist die 56-jährige Ärztin mit BWL-Abschluss auch bei der KBV aktiv. Zuletzt war sie Vorsitzende der Vertreterversammlung der KV Berlin.

 

Günter Scherer

» Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KV Berlin

» Der Jurist war zuletzt seit 2005 im Vorstand der KV Bremen tätig. Der 59-Jährige gehörte zuletzt auch dem Vertrauensausschuss der KBV an.

» Zuvor war er unter anderem Staatssekretär in der Berliner Senatsgesundheitsverwaltung, Vorstandsmitglied der AOK Berlin und hat in verschiedenen Bundesministerien gearbeitet.

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