Baden-Württemberg

Richtgröße adé: Prüfmodus im Südwesten bremst Regressrisiko

Mit Spannung sind die Auswirkungen der neuen Prüfmethode in Baden-Württemberg erwartet worden, die Richtgrößen ablöst. Jetzt liegen erste Ergebnisse vor.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

STUTTGART. Der Mut, neue Wege zu gehen, macht sich für Vertragsärzte in Baden-Württemberg offensichtlich bezahlt: Das zeigen erste Ergebnisse der völlig veränderten Richtgrößenprüfung, die KV-Chef Dr. Norbert Metke bei der Vertreterversammlung am Mittwoch in Stuttgart vorgestellt hat.

Denn seit Anfang des Jahres sind Richtgrößen im Südwesten passé. Praxisindividuelle Richtwerte (PIRW), die die Morbidität jeder verordnenden Praxis besser widerspiegeln, sind an ihre Stelle getreten.

Der Effekt ist, jedenfalls auf Basis des ersten Quartals, signifikant: Im ersten Jahresviertel sind von 10.192 Praxen, die Arzneimittel verordnet haben, 215 auffällig geworden – sie haben ihren PIRW um mehr als 25 Prozent überschritten. Das sind 1,97 Prozent anstelle von rund 20 Prozent der Praxen, die im gleichen Zeitraum 2015 auffällig geworden sind. "Das Konzept ist aufgegangen", sagte Metke den Delegierten.

Der KV-Chef gab zu, ihn hätten Befürchtungen geplagt, die Verordnungsausgaben könnten unter der neuen Systematik durch die Decke gehen. Doch dem ist nicht so: Die Verordnungskosten pro Versichertem lagen im ersten Quartal 2,8 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt, im gleichen Quartal 2016 lag der Wert bei 2,2 Prozent unter dem bundesweiten Vergleichswert. Im Ergebnis habe die Individualisierung der Prüfsystematik zusammen mit einer rationalen Pharmakotherapie zu Einsparungen geführt, erklärte Metke.

Zugleich seien auch die mit der Reform verfolgten Versorgungsziele erreicht worden: Fehl- und Unterversorgungen durch Verschreibungsangst wurden vermieden und das "Verordnungsrisiko" für Versorgerpraxen auf dem Land beseitigt, erläuterte Metke. Erfreut zeigte er sich, dass sich aus den Daten auch keine Umgehungsstrategien der Ärzte herauslesen lassen. So sei die Rezeptfallzahl im Vergleich zum Vorjahreszeitraum unverändert geblieben.

Aufgesplittet nach Fachgruppen wurde die Quote der auffälligen Praxen zumeist um mehr als 90 Prozent reduziert. Beispiel Hausärzte: Im Jahr 2015 liefen noch zwölf Prozent der Praxen in die Auffälligkeitsfalle. Anfang 2017 waren es nur 0,84 Prozent. Ähnlich sieht es bei Pädiatern (haus- und fachärztlich) aus. Hier wurde bisher fast jede dritte Praxis "auffällig", seit Januar galt dies nur noch für 1,3 Prozent der Fachgruppe. Bedarf zum Nachsteuern sieht Metke bei Schmerztherapeuten. Rund 6,4 Prozent der Praxen überschritten in dieser Gruppe ihr PIRW, rund zwölf Prozent waren es unter der alten Richtgrößenprüfung.

Auch eine Schwerpunkttätigkeit stelle – bei wenigen Ausnahmen – kein Risiko mehr dar, in die Prüffalle zu tappen, so Metke. Von 142 Hausarztpraxen mit diabetologischem Schwerpunkt sind nur zehn auffällig geworden, und nur in fünf Fällen seien Arzneiverordnungen bei Diabetespatienten dafür die Ursache gewesen.

Am liebsten würde Metke die neuen Spielregeln im Rahmen der Prüfvereinbarung auch für das Entlassmanagement der Krankenhäuser gelten lassen. Die KV sei darüber mit den Kassen im Gespräch. Ziel ist, dass bei Klinikärzten keine Regressangst beim Entlassmanagement aufkommt.

Zur Erinnerung: Der Gesetzgeber sah mit dem Versorgungsstärkungsgesetz eigentlich schon seit 2015 ein Entlassmanagement vor. Da sich KBV und GKV-Spitzenverband nicht einigen konnten, legte das Bundesschiedsamt im Oktober 2016 einen Rahmenvertrag fest. Metke hat unterdessen die Landeskrankenhausgesellschaft um die Gründung einer "Arbeitsgruppe Entlassmedikation" gebeten. Ziel sei es, zu einer sektorübergreifend einheitlichen Medikation zu kommen. "Wir müssen dafür werben, dass die Krankenhäuser dies machen", sagte Metke. Es liege im "ureigenen Interesse der niedergelassenen Ärzte und ihrer Patienten", dass Krankenhäuser diese Leistungen erbringen. In zunächst vier Modellregionen will die KV Krankenhäusern und der Landeskrankenhausgesellschaft Beratung durch einen Leitfaden anbieten.

Denn der Schiedsspruch sieht als Teil des Entlassmanagements einen Entlassbrief sowie einen Medikationsplan vor. Zudem kann der Krankenhausarzt bis zu sieben Tage Arzneimittel, Verband-, Heil- und Hilfsmittel, häusliche Krankenpflege oder Soziotherapie verordnen.

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