Professor Jürgen Wasem im Interview

Nicht zwangsläufig kommt eine Einheits-Gebührenordnung

Knapp zwei Jahre Zeit steht Wissenschaftlern für eine neue Vergütungskonzeption zur Verfügung. Sie werden die Politik am Ende vor die Qual der Wahl stellen, meint der Gesundheitsökonom Professor Jürgen Wasem.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Professor Jürgen Wasem ist unter anderem Vorsitzender des Erweiterten Bewertungsausschusses.

Professor Jürgen Wasem ist unter anderem Vorsitzender des Erweiterten Bewertungsausschusses.

© UDE/Frank Preuß

Ärzte Zeitung: Eine wissenschaftliche Kommission soll im Auftrag der Bundesregierung bis Ende 2019 Vorschläge für ein einheitliches neues Vergütungssystem erarbeiten. Eine Arbeit aus dem Elfenbeinturm – kann das gelingen?

Professor Jürgen Wasem

» Gegenwärtige Position: Lehrstuhl für Medizinmanagement an der Wirtschaftswissenschaftlichen und Medizinischen Fakultät der Uni Duisburg-Essen.

» Ausbildung: Studium der Wirtschafts- und Politikwissenschaft in Köln, USA und UK, 1983 Diplom-Volkswirt, 1985 Promotion, 1996 Habilitation.

» Karriere: Referent im Bundesarbeitsministerium, Forschungs- und Lehrtätigkeit an der FH Köln, der Max-Planck-Gesellschaft und den Unis München und Greifswald.

» Aufgaben in der Selbstverwaltung: Vorsitzender des Erweiterten Bewertungsausschusses und der Schiedsstelle für Arzneimittelerstattungsbeträge.

Prof. Jürgen Wasem: Zunächst einmal: Dass ein "einheitliches" Vergütungssystem von der Expertengruppe erarbeitet werden soll, ergibt sich nicht zwingend aus dem Koalitionsvertrag, der ja bewusst als Kompromiss formuliert worden ist. Die Koalitionsvereinbarung kann auch so gelesen werden, dass es zwei reformierte Vergütungssysteme geben wird.

Jetzt aber zu Ihrer eigentlichen Frage: An vielen Stellen im deutschen Gesundheitssystem verwenden wir Konzepte, für die die Grundlagen zunächst in der Wissenschaft erarbeitet worden sind.

Denken Sie an die DRGs, den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich oder auch unser heutiges Verständnis von Qualitätssicherung – die Konzepte dazu kommen aus der Wissenschaft.

Daher denke ich schon, dass eine wissenschaftliche Kommission hier wichtige Fundamente legen kann. Das hängt natürlich auch von den Arbeitsbedingungen der Kommission ab. Etwa: Auf welche Datenbestände kann sie zugreifen? Bekommt sie eine arbeitsfähige Geschäftsstelle?

Kann man das ohne den Sachverstand und die Interessenlage der Stakeholder – KBV, Bundesärztekammer, GKV und PKV – machen?

Wasem: Die Kommission wird sich sicherlich nicht einschließen und mit niemandem reden. Ich denke, sie wird an unterschiedlichen Stellen auf den Sachverstand der Beteiligten zurückgreifen können und müssen. Das schließt aber eine unabhängige wissenschaftliche Bearbeitung nicht aus.

GOÄ und EBM sind völlig unterschiedliche Vergütungssysteme. Das erfordert Grundsatzentscheidungen: Stichworte staatliche oder Vertragsgebührenordnung, Erlaubnis- oder Verbotsvorbehalt?

Wasem: Sie sprechen wesentliche Weichenstellungen an. Ich würde eine weitere hinzufügen: Wie sieht die Schnittstelle zur ambulanten Vergütung von Krankenhäusern aus. Wir haben heute einen Wirrwarr unterschiedlichster Vergütungsmodelle. Das kann man keinesfalls außen vor lassen.

Dabei ist aber auch klar: Das sind hoch politische Entscheidungen. Ich denke nicht, dass die Kommission legitimiert sein wird, sich für ein konkretes Modell zu entscheiden. Sie wird Vor- und Nachteile alternativer Gestaltungsoptionen aufzeigen können.

Ist eine neue Vergütungssystematik eine Chance für Vertragsärzte, aus der Budgetierung herauszukommen?

Wasem: Wir haben ja zwei Dimensionen einer Budgetierung: Zum einen haben wir im EBM zahlreiche Pauschalen – falls es zu einer gemeinsamen Gebührenordnung für GKV und PKV käme, würde diese sicherlich weniger Pauschalen haben. Zum anderen ist die Gesamtvergütung ja zu rund zwei Dritteln budgetiert, das gibt es bei Privatpatienten nicht.

Da hängt es stark vom politischen Willen ab, ob man anlässlich der neuen Vergütungssystematik für die GKV die Rolle der Budgetierung ändern oder sie sogar ganz abschaffen möchte. Einen Automatismus gibt es da jedenfalls nicht.

Wie steht es mit dem Erlaubnisvorbehalt für ambulante und dem Verbotsvorbehalt für Krankenhausleistungen? An der Schnittstelle ambulant-stationär erweist sich das als Wettbewerbsnachteil für Vetragsärzte.

Wasem: Ja, hier liegen Wettbewerbsverzerrungen vor – zumal es inzwischen eine größere Zahl von ambulanten Behandlungsmöglichkeiten für Kliniken gibt, bei denen teilweise gemacht werden darf, was nicht verboten ist.

Die Lösung muss aber nicht in einer völligen Gleichbehandlung und auch nicht in der Übernahme der Regelungen eines Bereichs im anderen Bereich liegen. Vielmehr sind auch neue, differenzierte Ansätze denkbar.

Seit langer Zeit arbeiten Bundesärztekammer und PKV an einem Konsensmodell für eine GOÄ-Novelle. Inzwischen scheint man Einigkeit über die Beschreibung von mehr als 5000 Leistungen gefunden zu haben. Ist diese Arbeit nun für die Katz oder eher eine nützliche Grundlage für die Kommissionsarbeit?

Wasem: Eine konkrete Gebührenordnung ist ja der finale Endpunkt eines Beratungsprozesses. Vorgelagert sind Grundsatzentscheidungen, wie wir sie eben angesprochen haben.

Und ganz am Anfang steht die Frage, soll es künftig eine oder zwei Gebührenordnungen geben? Eine gemeinsame Gebührenordnung für GKV und PKV wird natürlich anders aussehen als eine reine Gebührenordnung für den PKV- und Selbstzahlerbereich.

Die GOÄ, auf die sich PKV und BÄK verständigt haben, ist ja eine ausschließlich auf die PKV zielende Gebührenordnung. Die wird man sicher nicht für eine gemeinsame Gebührenordnung einsetzen. Wenn es bei einer getrennten Gebührenordnung bleiben soll – aber vielleicht mit angenäherten oder gleichen Vergütungsvolumina – könnte sie als Ausgangspunkt für den PKV-Bereich dienen.

Was ist mit Leistungen, die liquidationsberechtigte Ärzte in Krankenhäusern erbringen? Sollen die auch in die "Einheits-Gebührenordnung"? Oder bleibt es dort bei der GOÄ?

Wasem: Unabhängig davon, ob man sich für eine Einheits-Gebührenordnung entscheidet: Ich habe es bisher immer so verstanden, dass eine solche Gebührenordnung auf die ambulante ärztliche Versorgung zielen würde. Bei den liquidationsberechtigten Ärzten im Krankenhaus sprechen wir aber primär über stationäre Versorgung. Zumindest gäbe es aus meiner Sicht keinen Automatismus, dass auch dieser Bereich betroffen wäre.

Es gibt ja eine Medizin neben der GKV. Auch dafür bräuchte man eine Gebührenordnung, wenn man Wildwuchs vermeiden will.

Wasem: Wenn man eine einheitliche Gebührenordnung machen wollte, wäre eine mögliche Konzeption, dass sich diese den ambulanten Leistungskatalog der GKV beschränkt. Für den Nicht-GKV-Bereich bräuchte man dann tatsächlich weiterhin die GOÄ.

Der Markt für Zusatzversicherungen würde womöglich bedeutender: für Innovationen, schnelle Termine beim Wunscharzt, mehr Komfort. Damit würde aber Ziel, eine klassenlose Medizin schaffen, auch nicht erreicht.

Wasem: Die mögliche Rolle von Zusatzversicherungen bei einer etwaigen einheitlichen Gebührenordnung bedarf auch einer politischen Entscheidung – wobei auch EU-rechtliche Aspekte zu berücksichtigen sind, weil der Gesetzgeber hier weniger regeln kann als bei der Vollversicherung in der PKV.

Unabhängig von der Frage der Versicherbarkeit von Leistungselementen jenseits des Leistungskatalogs der GKV muss man aber im ersten Schritt natürlich klären, was Ärzte bei GKV-Versicherten extra in Rechnung stellen dürfen. Zugespitzt formuliert: "Darf ein schneller Termin extra vergütet werden?"

Da gibt es keinen Automatismus, das muss nach sorgfältiger Wägung entschieden werden.

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