Baden-Württemberg

KV-Praxen nur in Ausnahmefällen

Weniger Ärzte, weniger wohnortnahe Praxen und längere Wartezeiten - darauf müssen sich die Patienten in Baden-Württemberg einstellen, prognostiziert die KV auf ihrer Vertreterversammlung. Diese Versorgungslücken sollen nicht mit KV-Praxen gestopft werden, dafür mit Ärzten, die aus dem Ruhestand zurückgeholt werden.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Auch in Baden-Württemberg werden Landärzte dringend gesucht.

Auch in Baden-Württemberg werden Landärzte dringend gesucht.

© Marco2811 / stock.adobe.com

STUTTGART. Die KV Baden-Württemberg will Öffentlichkeit und Politik auf härtere Zeiten vorbereiten.

Die Patienten müssten sich auf drei "W" einstellen, sagte KV-Chef Dr. Norbert Metke bei der Vertreterversammlung (VV) am Mittwoch in Stuttgart: Weniger Ärzte und Arztzeit, weniger wohnortnahe Praxen und längere Wartezeiten.

Diese Entwicklung sei absehbar, "weil wir schlechthin nicht ausreichend Ärzte und Psychotherapeuten haben", so Metke.

460 freie Hausarztsitze

Aktuell seien in Baden-Württemberg 460 Hausarztsitze frei, im Jahr 2021 würden es, wenn die Entwicklung sich fortsetzt, voraussichtlich 1000 sein. Außerdem seien gegenwärtig 110 Facharztsitze nicht besetzt.

Über dem Kopf Metkes war im Sitzungssaal eine rund 15 Meter lange Girlande installiert, komplett behängt mit Formularen und Anträgen aus dem Alltag von Vertragsärzten.

Wer die medizinische Versorgung sichern wolle, müsse diesen "Regulierungswahnsinn" ändern, sagte der KV-Chef mit Fingerzeig auf die Bürokratie-Girlande. Allein im Jahr 2015 seien Praxen mit 4000 Prüfanträgen konfrontiert gewesen.

Junge Ärzte würden mit den Füßen abstimmen, resümierte Metke. "Es geht keiner mehr in die Praxis."

Wie die KV als Körperschaft mit dieser Situation umgehen sollte, fragte der KV-Chef in die Runde der VV-Delegierten.

Er verwies auf die Bestimmung im Paragrafen 75 SGB V, nach dem Krankenkassen Vergütungen teilweise zurückbehalten können, wenn die KV ihrem Sicherstellungsauftrag nicht nachkommt.

Die KV-Führung lehne für sich eine Pflicht ab, Eigeneinrichtungen zu etablieren, bei denen sie Räume, Personal und EDV zur Verfügung stellt und Ärzte anstellt. Es gehe nicht an, aus der budgetierten Vergütung "teure angestellte Strukturen zu finanzieren" und so die "Folgen einer gescheiterten Gesundheitspolitik zu finanzieren", meinte Metke - und holte sich dafür das Placet der Vertreter.

KV-Praxen nur in Ausnahmefällen

In einer Resolution stellte die VV klar, Eigeneinrichtungen müssten auf "definierte Ausnahmesituationen im Sinne einer begrenzten Übergangsversorgung mit begrenztem Behandlungsangebot" beschränkt bleiben.

Diese von der KV finanzierten Praxen sollten - wenn überhaupt - nur dann etabliert werden, wenn kein anderes ambulantes Versorgungsangebot zur Verfügung steht und "solange Mittel seitens der Kassen für die Mehraufwendungen (…) zur Verfügung gestellt werden".

Gemeinsam mit der Landeskrankenhausgesellschaft hat die KV kürzlich vor den Folgen des Fachkräftemangels gewarnt, der sowohl die ambulante wie die stationäre Versorgung betreffe.

"Damit haben wir eine Debatte losgetreten", ist sich KV-Vorstandsvize Dr. Johannes Fechner sicher. Denn im Tagesgeschäft Fechners, der für Sicherstellungsfragen zuständig ist, sind schnelle Erfolge rar – und das Vorgehen ist kleinteilig.

So ist etwa im neuen Honorarabschluss der KV mit den Kassen erstmals eine Förderung nichtärztlicher Praxisassistentinnen mit einem Zuschlag von vier Euro auf jeden Schein in der Regelversorgung vereinbart worden. Diese Förderung solle Hausärzten bei zunehmenden Fallzahlen die Konzentration auf originär ärztliche Aufgaben erlauben, so Fechner.

Ärzte aus dem Ruhestand zurückholen

Andere Ansätze, um die ambulante Versorgung zu sichern, sind das Förderprogamm "Ziel und Zukunft" (ZuZ), das die Gründung oder Übernahme einer Praxis in schlecht versorgten Gebieten unterstützt, oder ein Hospitationsprogramm. Letzteres soll Ärzte, die aus dem Beruf ausgestiegen sind, zurückholen. 15 dieser "Schläfer" hätten bisher reaktiviert werden können, berichtete Fechner.

Hoffnung setzt der KV-Vize auch auf das Modellprojekt DocDirekt, das am 16. April offiziell starten soll. Dabei wird für Patienten in Stuttgart und dem Landkreis Tuttlingen erstmals im Rahmen der GKV eine ausschließliche Fernbehandlung angeboten.

Fechner hofft hier auf die "Phase 2" von DocDirekt – den Ausbau des Angebots zu einem landesweiten telemedizinischen Beratungsangebot für alle GKV-Versicherten.

Sicherstellungsfragen werden in Baden-Württemberg so oder so oben auf der Agenda bleiben. Nirgendwo ist die Hausärzteschaft im Schnitt so alt – 1364 Hausärzte sind älter als 65 Jahre, das sind 35 Prozent der Fachgruppe.

Fechner muss also auf die, wie er formulierte, "reifere Jugend" setzen. Die älteste im Südwesten praktizierende Vertragsärztin ist 94 Jahre alt.

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