Kritik an Bayern

Geplante Psychiatriereform ist untauglich!

Die bayerische Staatsregierung ist beim Entwurf des Psychiatriegesetzes zurückgerudert, doch die Kritik von Ärzten ebbt nicht ab. Sie sehen die Schweigepflicht in Gefahr.

Von Julika Sandt Veröffentlicht:
Verschnupft: Innenminister Herrmann, Ministerpräsident Söder, Sozialministerin Schreyer (v.l.n.r.).

Verschnupft: Innenminister Herrmann, Ministerpräsident Söder, Sozialministerin Schreyer (v.l.n.r.).

© Peter Kneffel/dpa

MÜNCHEN. Der Druck war zu stark – und kam von allen Seiten. Von Ärzteverbänden, Wohlfahrtorganisationen bis hin zu Datenschützern: Die Staatsregierung hat angekündigt, beim umstrittenen Entwurf für ein Psychiatriegesetz nachzubessern.

So sollen laut Sozialministerin Kerstin Schreyer Regelungen zum Maßregelvollzug, die sich auch im Gesetzentwurf wiederfanden, gestrichen werden. Verzichten wolle man auch auf die sogenannte Unterbringungsdatei, in der persönliche Daten und Diagnosen aller öffentlich-rechtlich untergebrachten Patienten fünf Jahre gespeichert werden sollten.

Zurück ruderte die Staatsregierung zudem bei ihrem Vorstoß, die bisherigen Besuchskommissionen durch Beiräte zu ersetzen. Das Kabinett will die Änderungen noch vor der Sommerpause und anschließenden Landtagswahl über die CSU-Fraktion in den Landtag einbringen lassen.

"Erinnert an dunkle Vergangenheit"

Bei der Anhörung im Landtag am Dienstag machten die Experten und Betroffenen deutlich, dass ihnen der Verzicht auf die scharf kritisierte Überwachungsdatei nicht ausreicht. Karl Heinz Mohrmann, Vorsitzender des Landesverbands Bayern der Angehörigen Psychisch Kranker, forderte, auch die Regelung aus dem Gesetz zu streichen, nach der die zuständige Kreisverwaltungsbehörde und Polizeidienststelle über jede bevorstehende Entlassung zu benachrichtigen sind.

"So eine Regelung gab es bisher noch nie, in keinem Bundesland. Das erinnert mich an die dunkelste Zeit der deutschen Vergangenheit. Da kann man auch gleich ein großes P in den Ausweis stempeln."

Professor Peter Brieger, Ärztlicher Direktor des kbo-Isar-Amper-Klinikums München, warf die Frage auf, ob diese Meldepflicht der ärztlichen Schweigepflicht entgegensteht.

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz, Professor Thomas Petri, führte hierzu aus, zwar könne der Landesgesetzgeber die ärztliche Schweigepflicht mitgestalten, allerdings müsse er sorgfältig mit der Erforderlichkeit der Datenerhebung umgehen. Er empfahl, ins Gesetz zu schreiben, dass die Polizei in den Fällen benachrichtigt wird, in denen sie aufgrund einer Gefährdung ein Informationsbedürfnis bei Entlassung äußert.

Celia Wenk-Wolf, Präsidialmitglied im Bayerischen Bezirketag – die Bezirke sind im Freistaat für die Versorgung psychisch kranker Menschen zuständig –, bemängelte, dass eine Präambel fehlt, "in der der Anwendungsbereich des Gesetzes formuliert ist und das Ziel, psychisch kranken Menschen zu helfen und sie zu schützen".

Warum die Empörung so groß ist, erklärte der Vertreter der freien Wohlfahrtspflege, Davor Stubican: "Der Gesetzestext zeichnet das Bild einer Psychiatrie, die gegen das vermeintlich Gefährliche gerüstet wird. Die psychiatrische Versorgung wird in ihrer Entwicklung zurückgeworfen."

Auch Stubican forderte die Formulierung konkreter Ziele im Gesetz, zum Beispiel das Vermeiden freiheitsentziehender Maßnahmen, die Unterbringung möglichst in offenen Formen und der besondere Schutz von Patienten mit Gewalterfahrung. Im Gegensatz zu früheren Entwürfen des Gesetzes sei nicht mehr festgeschrieben, dass die Polizei bei Einweisungen den Krisendienst hinzuziehen kann.

"Krisendienst wäre hilfreich"

Für eine "Kann-Regelung" plädierte auch der Münchner Polizeidirektor Oliver Etges. Aus dem Polizei-Alltag schilderte er Fälle von Menschen, die einen Suizid angekündigt haben, verschwunden sind, oder die sich verfolgt und bedroht fühlen.

"Wir suchen diese Personen, sprechen mit ihnen und entscheiden, ob wir sie einweisen. Das ist eine schwerwiegende Entscheidung." In solchen Fällen wären Krisendienste für die Polizei hilfreich.

Margarete Blank vom Landesverband Psychiatrie-Erfahrener forderte, der geplante Krisendienst müsse "unterfüttert werde mit guter Qualität der Behandlung." Professor Brieger betonte die Folgen falscher Entscheidungen in der Vergangenheit: "Wenn jemand bei der Polizei auffällig wird, rächt sich, dass wir in der Psychiatrie in Bayern – anders als in 14 anderen Bundesländern – keinen Öffentlichen Gesundheitsdienst mehr haben".

Dr. Christian Rexroth von der Landesarbeitsgemeinschaft der leitenden Ärzte für die Kinder- und Jugendpsychiatrie lenkte den Blick auf die Prävention bei Kindern: "Die meisten Erwachsenen mit psychischen Störungen waren als Kind schon auffällig."

Weiter kritisierte er, das Eltern erst nach der Unterbringung informiert und nicht etwa in die Entscheidung eingebunden werden sollen.

"Kinder haben ein Recht auf Schutz, Fürsorge, Beteiligung und Förderung. Sie haben einen Anspruch, in eigenen Einrichtungen untergebracht zu werden. Insofern verstößt der Gesetzesentwurf gegen die UN-Kinderrechtskonvention", rügte Rexroth.

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