Weltfrauentag

Widerstand gegen die Männer-Hoheit im Gesundheitswesen wächst

„Spitzenfrauen“ wollen mittels Quoten ihre Spitzenleistungen im Gesundheitswesen gewürdigt wissen. Doch solcherlei Regulierung von außen widerspricht dem Selbstverständnis der Selbstverwaltung.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
„Spitzenfrauen“ wollen in männerdominierte Gremien.

„Spitzenfrauen“ wollen in männerdominierte Gremien.

© Christian Ohde / imageBROKER

BERLIN. Die Revolution kommt von oben. Eine Gruppe, die sich als „Spitzenfrauen im Gesundheitswesen“ bezeichnet, will der Selbstverwaltung ein neues, weiblicheres Gesicht verleihen.

Hintergrund ist das längst nicht mehr nur gefühlte Missverhältnis zwischen weiblichem Anteil an der medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung und dem Mangel an Repräsentanz an den Schaltstellen in Gremien und Vorständen der Selbstverwaltung. Quoten sollen für Ausgleich sorgen, fordern die Spitzenfrauen.

Das birgt Konfliktpotenzial. Regulierung von außen widerspricht dem Selbstverständnis der Selbstverwaltung. Das Tor für Regierungseingriffe steht jedoch schon offen: Erst 2017 mussten ihre Organisationen mit dem „Selbstverwaltungsstärkungsgesetz“ des damaligen Gesundheitsministers Hermann Gröhe (CDU) bittere Pillen schlucken.

Konflikten wollen die Initiatorinnen der Bewegung nicht aus dem Weg gehen. Dahinter stehen die Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, Dr. Christiane Groß, die Geschäftsführerin der Bundespsychotherapeutenkammer, Dr. Christina Tophoven, Antje Kapinsky von der Techniker Krankenkasse und die Unternehmensberaterin Cornelia Wanke.

Nach Beispielen für Mangel an weiblichem Einfluss in der Selbstverwaltung müssen die Spitzenfrauen nicht suchen: 46 Prozent der ambulanten Versorgung bestreiten die Ärztinnen schon heute.

In fünf Jahren werden es mehr als 50 Prozent sein, hat eine aktuelle Studie der Stiftung Gesundheit ergeben. In der ambulanten Psychotherapie haben die Frauen schon die Mehrheit.

„Ein Mann zu sein, ist die günstigste Aufstiegsprognose"

Der Umbruch in der Versorgung ist also schon da, und er verlängert sich in die Zukunft. Die medizinischen Fakultäten verzeichnen 60 bis 70 Prozent Studentinnen. Werden sie die männlich dominierte Strukturen in ihren künftigen Arbeitsfeldern einfach so hinnehmen?

„Ein Mann zu sein, ist die günstigste Aufstiegsprognose in der Medizin“, sagt Dr. Ulrike Ley, die Frauen in Führungspositionen coacht. Ihrer Analyse zufolge sind nur zehn Prozent aller Chefärzte Frauen.

Auf Oberarztebene stellen die Frauen nur rund 30 Prozent. Und auch dort, wo das Geld für die ambulante Versorgung verteilt wird, haben eher die Männer das Sagen. Von 17 Kassenärztlichen Vereinigungen haben zehn keine Frau im Vorstand.

An der Spitze herrsche das Prinzip: Männer fördern Männer, sagt Ley. Für die Spitzenfrauen ist daher klar: Quoten sind ein erster Schritt. Nur über sie setze sich die fachliche Qualität von Frauen gegen männliche Dominanz am Arbeitsplatz durch.

Weitgehend unbeachtet sind auch die Geschlechterverhältnisse auf der Einnahmenseite des Gesundheitswesens. Die Hälfte der 73 Millionen gesetzlich Versicherten ist weiblich. In den Verwaltungsräten der Krankenkassen sind Frauen jedoch klar in der Minderheit.

70 Prozent der Beschäftigten in den Krankenkassen seien Frauen, sagt die Grünen-Politikerin Dr. Kirsten Kappert-Gonther, die vor ihrer politischen Laufbahn als Psychiaterin niedergelassen war.

In den Vorständen der Kassen oszilliere der Frauenanteil jedoch zwischen null und 21 Prozent: „Die Expertise und Erfahrung von Frauen kommt in den Gremien nicht vor“, sagt Kappert-Gonther, die sich auf die Regierungsantwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen im vergangenen Jahr stützen kann.

Gesetzgeber zum Handeln aufgerufen

Die Spitzenfrauen wollen nicht nur die Machtverhältnisse ausgleichen. Ihnen geht es auch um Versorgungsinhalte. Mehr weiblicher Einfluss in den Gremien könne zum Beispiel die Designs von Arzneimittel- und Medizinproduktestudien beeinflussen. Die seien bislang noch zu stark auf Männer fokussiert, sagt Kappert-Gonther.

Auch die Arbeit in den Gremien selbst könnte sich verändern. Oft würden Sitzungen abgehalten, weil man sich auf den dritten Montag im Monat geeinigt habe. Für berufstätige Ärztinnen mit Kindern seien solche starren Terminkorsetts oft Hindernisse, sich berufspolitisch zu engagieren.

Die Präsidentin der Ärztekammer Bremen, Dr. Heidrun Gitter, hat in ihrer Gremienarbeit an dieser Stelle angesetzt: Sitzungen gebe es nach Bedarf, immer mit Tagesordnung und Ziel, sagt Gitter.

Statt ständiger Ausschüsse habe die Kammer Arbeitsgruppen aufgestellt, die zeitlich befristet an Projekten arbeiteten. Das Engagement von Frauen in der Kammer Bremen ist daher überdurchschnittlich hoch.

In einer Resolution haben die Spitzenfrauen den Gesetzgeber jetzt zum Handeln aufgefordert. Sie wollen sich nicht mit kleinen Schritten aufhalten. Ihre Vorstellung von Quote ist die Parität: „Wir fordern gleichberechtigte Teilhabe an der Gestaltung des Gesundheitswesens“, heißt es in der Resolution – und zwar binnen fünf Jahren.

Sie zielen damit auf alle Körperschaften des öffentlichen Rechts, die Aufgaben der ärztlichen, zahnärztlichen, psychotherapeutischen , der sozialen und gemeinsamen Selbstverwaltung erfüllen.

Parität gefordert

Die Parität soll für Vertreterversammlungen, Verwaltungsräte, Vorstände, Geschäftsführungen und obersten Führungsebenen gesetzlich verankert werden.

Für alle weiteren Organisationen, die vom Gesetzgeber übertragene Aufgaben in der Gesundheitsversorgung erfüllen, sollen analoge Regelungen eingeführt werden.

Auch Besetzungskommissionen sollen paritätisch besetzt sein. Unterlegene Kandidatinnen und Kandidaten sollen ein Einsichtsrecht in die Dokumentation von Auswahlverfahren erhalten.

Es gehört zum politischen Geschäft, mehr zu fordern, als tatsächlich sofort umsetzbar ist. Die Quotierung für die Entscheidungsgremien ist jedoch längst in den politischen Prozess eingespeist.

Der Gesundheitsausschuss des Bundestags wird sich demnächst mit einem Antrag der Grünen befassen, eine Frauenquote in den Selbstverwaltungsgremien einzuführen.

Bei der Übergabe der Resolution an die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Karin Maag, ließ sich der eigens herbeigeeilte Gesundheitsminister ein kleines Zugeständnis abringen.

Bei der anstehenden Reform der Sozialwahlen könnte die Einführung einer Frauenquote geprüft werden. „Wir sollten das Thema aber nicht ideologisch aufladen“, sagte Jens Spahn (CDU).

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Quote hilft beim Umdenken

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