Der lange Weg Kenias zur Krankenversicherung

Es ist ein altes Ritual, wenn jedes Jahr die mächtigsten Regierungschefs der Industrienationen zusammenkommen, um über Hilfen für Entwicklungsländer zu beraten. Dann versprechen sie Milliarden für die Ärmsten.

Von Bülent Erdogan Veröffentlicht:
Kenias junge Mütter und Babys sollen besser versorgt werden.

Kenias junge Mütter und Babys sollen besser versorgt werden.

© Foto: imago

Zu den immer wiederkehrenden Bekundungen gehört, Milliardenbeträge für die Bekämpfung von Seuchen oder für den Aufbau eines halbwegs funktionsfähigen Gesundheitssystems bereitzustellen. Dass viele der in der Gipfeleuphorie versprochenen Mittel am Ende dann doch nicht fließen, liegt zum Teil auch an den Versorgungsstrukturen in den Entwicklungsländern selbst.

So lagern Medikamente oder Hilfsmittel ungenutzt in Hallen, bleiben Kliniken leer oder der Zugang auf eine zahlungskräftige Minderheit beschränkt, weil sich das Gros der Bevölkerung die ärztliche Behandlung nicht leisten kann oder die Wege zu weit oder beschwerlich sind.

Gutschein-System wurde in vier Distrikten etabliert

Hier setzt ein Gutscheinsystem des Berliner Forschungs- und Beratungsinstituts IGES sowie der Entwicklungsbank der Kreditanstalt für Wiederaufbau ein. In vier Verwaltungsdistrikten Kenias haben die Partner seit 2006 ein "Voucher-System" für arme Frauen aufgebaut (wir berichteten kurz). Der Gutschein "Safe Motherhood" berechtigt diese im Fall der Schwangerschaft außer zur Entbindung auch zu Krankenhausbesuchen vor und nach der Geburt.

Ziel ist es, den bisher auf reiche Kenianer fokussierten privaten Gesundheitsmarkt für die normale Bevölkerung zu öffnen und damit gleichzeitig das staatliche Gesundheitswesen zu entlasten, sagt der Volkswirt Dr. Martin Albrecht, Bereichsleiter Gesundheitspolitik bei IGES. Gegen eine symbolische Selbstbeteiligung von 200 Schilling (umgerechnet zwei Euro) können diese einen Gutschein erwerben und damit außer den häufig überlaufenen staatlichen Kliniken auch private Krankenhäuser zur Entbindung aufsuchen, so Albrecht. Für eine normale Geburt erhält die Klinik umgerechnet 40, für einen Kaiserschnitt 200 Euro.

Die Differenz zwischen Eigenbeteiligung und Leistungsvergütung trägt die Entwicklungsbank. Bislang haben rund 90 000 Kenianerinnen die Voucher genutzt. Etwa 15 000 Menschen haben zudem an einem Voucher-Programm zur Familienplanung teilgenommen. Bezahlt werden dort Spiralen und Sterilisationen. Nach vorläufigen Daten ist die Zahl der Geburten in den am Programm teilnehmenden Kliniken um 20 Prozent gestiegen, so Albrecht.

Das Projektvolumen beläuft sich bis dato auf 6,6 Millionen Euro, davon entfielen bislang 25 Prozent für die Verwaltung. Für Albrecht ist das ein guter Wert für ein Projekt in der Anfangsphase. Zudem soll diese Quote in späteren Phasen sinken. Um am Safe-Motherhood-Programm teilnehmen zu können, müssen Kliniken einen Vertrag mit einer Managementagentur von PriceWaterhouseCoopers Kenia schließen. Positiver Nebeneffekt laut Albrecht: Die staatlichen Kliniken bekamen im Bewerbungsprozess erstmals selbst einen Überblick über ihre Kostenstrukturen. Für die anstehende zweite Projektphase überlegen die IGES-Fachleute und ihre Partner, das Voucher-Modell um Vorsorgeuntersuchungen ähnlich den Untersuchungen U1 bis U9 auszudehnen, sagt Albrecht.

Generell, so Albrecht, sei das Konzept beliebig ausbaufähig. "Das System kann man grundsätzlich so weit ausdehnen, dass am Ende eine umfassende Sozialversicherung steht." Damit das gelingt, müssten sich jedoch auch die wohlhabenderen Bevölkerungsschichten an einer Sozialversicherung beteiligen.

Wegepauschale könnte ein Teil des Vouchers sein

Für Leonore Semler, Vorsitzende der deutschen Sektion der African Medical & Research Foundation AMREF, liegen die tatsächlichen Probleme Kenias indes in der Infrastruktur. So gebe es angesichts fehlender Straßen und Schienennetze keinen geregelten öffentlichen Personenverkehr. Für AMREF lautet die Strategie daher, Gesundheitsangebote mittels lokaler Stationen vorzuhalten und die vor Ort lebenden Menschen aktiv in die Arbeit der Einrichtungen einzubinden - auch deshalb, weil Ärzte in Afrika Mangelware sind. "Es bedarf Millionen von Gesundheitshelfern", sagt Semler. Trotz der Probleme hat sie Hoffnung auf eine bessere Zukunft für die Menschen: "Die Kenianer geben sich unglaublich viel Mühe mit dem Aufbau ihres Gesundheitssystems."

Bei IGES weiß man um das Problem der langen Wege: Dort war eine Wegepauschale als Bestandteil des Vouchers bereits ein Thema. Allerdings komme dies noch zu früh, auch weil man zunächst die Höhe der Pauschale ermitteln müsste, erläutert Albrecht. Von Fall zu Fall übernimmt das Programm aber schon bisher Transportkosten, wenn Patienten bei Komplikationen in größere Einrichtungen überwiesen werden, sagt er.

Für Kambodscha hat das Institut unterdessen eine Designstudie für das Modell abgeschlossen. Dort soll ein Voucher auch sichere Abtreibungen ermöglichen. Allerdings sind auf Regierungsebene noch keine Entscheidungen gefallen. Zudem soll das Programm für Einrichtungen, die die Qualitätsstandards nur knapp verfehlen, Finanzhilfen gewähren, um die Mängel abzustellen. Im Gespräch sind etwa 1000 US-Dollar. Das Ziel: Mehr Leistungsanbieter, mehr Auswahl für die Menschen.

Voucher-System für arme Frauen

Gegen eine symbolische Selbstbeteiligung von 200 Schilling (umgerechnet zwei Euro) können arme schwangere Frauen in Kenia einen Gutschein erwerben und damit außer den überlaufenen staatlichen Kliniken auch private Krankenhäuser zur Entbindung aufsuchen. Für eine normale Geburt erhält die Klinik umgerechnet 40, für einen Kaiserschnitt 200 Euro. Die Differenz zwischen Eigenbeteiligung und Leistungsvergütung trägt die Entwicklungsbank der Kreditanstalt für Wiederaufbau. 90 000 Kenianerinnen haben diese Voucher bisher genutzt.

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