Den Letten laufen die Ärzte weg

RIGA. Das kleine Lettland hat mit einem Problem zu kämpfen, das eher ungewöhnlich anmutet: Es gibt zu viele Krankenhäuser und zu viele Arztpraxen.

Von Sebastian Becker Veröffentlicht:
Das lettische Parlamentsgebäude in Riga. Hier werden auch Entscheidungen getroffen, die das staatliche Gesundheitssystem betreffen.

Das lettische Parlamentsgebäude in Riga. Hier werden auch Entscheidungen getroffen, die das staatliche Gesundheitssystem betreffen.

© Foto: imago

"Ja, wir haben eine Überversorgung", sagt ein einheimischer Experte im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". Die ehemalige Sowjet-Republik mit etwa 2,3 Millionen Einwohnern, die zwischen Estland und Litauen liegt, ist für viele noch ein weitgehend unbekanntes Terrain. Wenn West-Europäer Lettland besuchen, dann sind es meistens Touristen im Rentenalter, die dort geboren wurden und die nach Spuren ihrer Herkunft suchen. Und die Schwierigkeiten, die dort den Ärzten zu schaffen machen, kennt man in westlichen Ländern auch nicht unbedingt.

"Die Spitäler liegen manchmal 60 oder 70 Kilometer auseinander", führt der Fachmann weiter aus. Die Gynäkologie habe 24 Stunden am Tag geöffnet, obwohl nur eine Frau gebäre. "Trotzdem müssen immer eine Geburtshilfe und eine Fachkraft vor Ort sein." Das stehe doch in keinem Verhältnis, kritisiert er.

Das kleine Lettland macht derzeit tiefgreifende Veränderungen durch, und die alten Strukturen aus der Sowjet-Zeit prägen das Land derzeit immer noch. Bislang gibt es keinen starken privaten Sektor. So ist die stationäre Versorgung nach wie vor in staatlicher Hand - nur die ambulanten Praxen werden manchmal von Ärzten geleitet, die auf eigene Rechnung ihre Dienstleistungen anbieten. Dort gibt es auch ein privates Versicherungssystem. Ansonsten muss jeder Patient, der im staatlichen System versichert ist, zwischen 20 und 30 Prozent an Zuzahlungen leisten.

"Der lettische Staat gibt insgesamt zu wenig Geld für die medizinische Versorgung aus", erklärt der Experte. Im laufenden Jahr betragen die Ausgaben 750 Millionen Lat (etwa 1,067 Milliarden Euro). Das sind etwa 300 Lat (etwa 426 Euro) je Einwohner und Jahr. Das Gesundheitssystem sei nur unzureichend finanziert, so die Kritik einheimischer Fachleute. Es gibt zu wenig Geld für die Ausstattung der medizinischen Einrichtungen und Krankenhäuser und für die Bezahlung des Personals.

Das System gilt Experten als ineffizient.

Im Durchschnitt verdient ein lettischer Arzt umgerechnet 1500 Euro. Eine Krankenschwester oder eine Arzthelferin kommt auf 600 bis 700 Euro. Das ist im Vergleich zu westeuropäischen Staaten wenig, auch wenn man berücksichtigt, dass die Lebenshaltungskosten in Lettland wesentlich geringer sind. Das Lohnniveau bewegt sich auf der Höhe dessen, was im Nachbarland Litauen gezahlt wird - und es liegt höher als die Einkommen in Bulgarien. In Lettland ist das Durchschnittsgehalt nur etwa ein Drittel so hoch wie in Deutschland. Das führt dazu, dass immer mehr lettische Ärzte ins westliche Ausland abwandern, und zwar hauptsächlich nach Skandinavien.

"Wir haben massive Schwierigkeiten, weil diese Länder bei uns Arbeitskräfte abwerben", erklärt der Experte, der namentlich nicht genannt werden möchte. Manche der Ärzte gingen aber auch nur als Aushilfe während der Sommerzeit nach Schweden oder Norwegen. "Von 300 Medizinern, die wir im Jahr ausbilden, geht ein Drittel ins Ausland", so der Experte. Das Hauptziel bleibe für viele aber die USA.

Schlagworte:
Mehr zum Thema

„Mehr Ernsthaftigkeit“ nötig

Drogenbeauftragter für härteren Kurs gegen das Rauchen

Weiterentwicklung der Versorgung

Experte: Bei der Transformation international die Kräfte bündeln!

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Weniger Rezidive

Hustenstiller lindert Agitation bei Alzheimer

Lesetipps
Ulrike Elsner

© Rolf Schulten

Interview

vdek-Chefin Elsner: „Es werden munter weiter Lasten auf die GKV verlagert!“

KBV-Chef Dr. Andreas Gassen forderte am Mittwoch beim Gesundheitskongress des Westens unter anderem, die dringend notwendige Entbudgetierung der niedergelassenen Haus- und Fachärzte müsse von einer „intelligenten“ Gebührenordnung flankiert werden.

© WISO/Schmidt-Dominé

Gesundheitskongress des Westens

KBV-Chef Gassen fordert: Vergütungsreform muss die Patienten einbeziehen