Am 7. Juni wird ein neues Europaparlament gewählt. Anlass für die "Ärzte Zeitung", die deutschen Gesundheitspolitiker in Straßburg und Brüssel in einer Serie unter die Lupe zu nehmen. Was treibt die SPD-Politikerin Evelyne Gebhardt an, was sind ihre Ziele?

Von Petra Spielberg

Evelyne Gebhardt und die Dienstleistungsrichtlinie - in EU-Kreisen werden der Name der SPD-Politikerin aus dem baden-württembergischen Künzelsau und die im Dezember 2006 verabschiedete EU-Richtlinie meist in einem Atemzug genannt.

Kein Wunder: Denn Gebhardt drückte als Berichterstatterin des Europaparlaments dem heftig umstrittenen Regelwerk ihren Stempel auf. So machte sie sich dafür stark, dass Dienstleistungserbringer im EU-Ausland grundsätzlich die Rechte des Gastlands zu respektieren haben. Auch setzte sie durch, dass die Gesundheitsdienstleistungen aus dem Geltungsbereich der Richtlinie herausgenommen wurden.

Die Zeitschrift "European Voice" kürte Gebhardt wegen ihrer Verdienste um das Regelwerk 2005 und 2006 zweimal hintereinander zur "Europäerin des Jahres" unter allen 785 Europaabgeordneten. Und einer Umfrage des Wirtschaftsmagazins "impulse" aus dem Jahre 2007 zufolge zählt die SPD-Politikerin sogar zu den 25 mächtigsten Deutschen in Brüssel.

Dabei machten erst die Liebe und das Interesse an der Politik aus der gebürtigen Französin eine deutsche Staatsbürgerin. Gebhardt wurde 1954 in Paris geboren. Nach dem Abitur studierte sie zunächst Germanistik in Paris, dann in Tübingen und Stuttgart, wo sie auch ihren späteren Ehemann kennen lernte. So blieb sie in Baden-Württemberg hängen und landete 1975 schließlich in der SPD. Nur ein leichter Akzent verrät noch ihre französische Herkunft. Sie selbst sieht sich als "echte Europäerin", die das Zusammenwachsen der Kulturen innerhalb der EU mit Begeisterung und Engagement verfolgt.

Der rote Faden ihrer Arbeit bestehe darin, Politik für die Menschen zu machen, sagt Gebhardt. Was sie damit meint, verdeutlicht sie am Beispiel der geplanten Vorschriften zur grenzüberschreitenden medizinischen Versorgung: "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Regeln schaffen, die es vornehmlich denjenigen ermöglichen, sich im EU-Ausland behandeln zu lassen, die es sich leisten können." Dies widerstrebt dem Sozialverständnis der 55-Jährigen.

Das Soziale hat für Gebhardt einen derart hohen Stellenwert, dass selbst wirtschaftlich vernünftige Erwägungen hinten anstehen müssen. So sagt sie mit Blick auf die europäische Arbeitszeitrichtlinie: "Mir ist durchaus bewusst, das Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen das Wasser bis zum Hals steht. Aber wer in Europa sparen will, darf nicht bei den Menschen beginnen, die für gute Arbeit einen gerechten Lohn für sich und ihre Familien erwarten."

Großes Interesse zeigt die SPD-Politikerin auch an bioethischen Fragen. Dieses Thema beschäftigt Gebhardt bereits seit 1978, als das erste Retortenbaby, Louise Brown, auf die Welt kam. "Die Vorstellung, auf diese Art Leben zu schaffen können, fand ich faszinierend. Zugleich sehe ich die Gefahr, dass der Körper der Frau durch derartige Techniken mehr und mehr instrumentalisiert wird", sagt Gebhardt und mahnt zu einem verantwortungsvollen Umgang mit bio- und gentechnischen Verfahren.

Am Herzen liegt Gebhardt es, die gegenseitige Anerkennung von Ausbildungs- und Berufsabschlüssen voranzutreiben. Dabei schwingt auch die eigene Erfahrung mit. Gebhardt wollte nämlich ursprünglich Lehrerin werden. "Aber die deutschen Behörden erkannten meine Abschlüsse aus Frankreich nicht an."

Heute, im Rückblick gesehen, war das ihr Glück. Die Politik macht ihr jedenfalls so viel Spaß, dass sie auch die nächsten fünf Jahre zwischen Brüssel und Straßburg, den beiden Dienstsitzen des Parlaments, und ihrem Heimatort Künzelsau hin und her pendeln will. Auf diese Weise hofft sie, das weitere Zusammenwachsen Europas noch ein bisschen im Interesse der Bürger in Europa mit gestalten zu können.

Evelyne Gebhardt (SPD)

Evelyne Gebhardt wurde am 19. Januar 1954 in Paris geboren. Nach einem sprachwissenschaftlichen Studium an den Universitäten Paris, Tübingen und Stuttgart arbeitete sie erst als Übersetzerin. 1975 trat sie der SPD bei. Schwerpunkte ihrer politischen Arbeit sind Gleichstellungsfragen, Bürgerrechte sowie die Bio- und Gentechnik. Seit 1994 gehört Gebhardt dem Europäischen Parlament an. Sie ist unter anderem Fraktionssprecherin der SPD im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz. (spe)

375 Millionen EU-Bürger zur Wahl aufgerufen

Am 7. Juni sind die Deutschen aufgerufen, ihre Abgeordneten für das Europäische Parlament zu wählen (EP). Es ist die siebte Direktwahl zum EP und mit rund 375 Millionen Wahlberechtigten zugleich die größte multinationale Wahl der Welt. Das EP wird dann insgesamt 736 Abgeordnete aus 27 Mitgliedstaaten umfassen. Deutschland stellt 99 Politiker. In den nächsten Wochen porträtiert die "Ärzte Zeitung" deutsche Europaabgeordnete, die in den kommenden fünf Jahren auch an den gesundheitspolitischen Stellschrauben drehen wollen. (spe)

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