Interview

"Medizinportal kann klare Arznei-Infos geben"

Eindeutige und verlässliche Arzneimittelinformationen für Patienten, mehr Einsatz für Prävention und eine Stärkung der Patientenmobilität inner-halb der EU - das sind die Prioritäten von EU-Gesundheitskommissar John Dalli.

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Die Fahnen vor dem Brüssler EU-Gebäude demonstrieren mehr Einigkeit, als es sie in der politischen Realität gibt.

Die Fahnen vor dem Brüssler EU-Gebäude demonstrieren mehr Einigkeit, als es sie in der politischen Realität gibt.

© imago

Ärzte Zeitung: Ihre neue Aufgabe als EU-Gesundheitskommissar bedeutet für Sie ein Heimspiel. In Malta waren sie zuvor auch Gesundheitsminister. Was ist anders in Europa?

Dalli: In der EU spielen wir in einer anderen Liga. Mit 27 Mitgliedstaaten, dem Rat und dem Europäischen Parlament befinden wir uns da eher in der Championsleague. Aber wie ich schon bei meiner Anhörung im EU-Parlament gesagt habe, im Mittelpunkt meiner Arbeit steht der EU-Bürger als Patient oder Verbraucher. Das war auch in Malta meine Richtschnur.

Ärzte Zeitung: Das Dossier des Pharmapakets des ehemals dafür zuständigen früheren Industrie-Kommissars Günter Verheugen zu Patienteninformationen für rezeptpflichtige Arzneimittel ist umstritten. Werden Sie die Vorlage zurückziehen?

"In der EU muss generell mehr für Prävention ausgegeben werden." (John Dalli, EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz)

"In der EU muss generell mehr für Prävention ausgegeben werden." (John Dalli, EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz)

© EP

Dalli: Nein. Der im Dezember 2008 von der EU-Kommission vorgelegte Entwurf bildet weiter die Grundlage. Im EU-Parlament rechne ich mit der ersten Lesung im September. Für mich ist entscheidend, dass der EU-Bürger Zugang bekommt zu objektiven, aktuellen und verlässlichen Informationen über medizinische Produkte. Zur Zeit variieren die Informationsangebote in den Mitgliedstaaten erheblich.

Ärzte Zeitung: Wie wollen Sie die zunehmende Infosuche über Arzneien im Internet regeln?

Dalli: Das Internet bietet nicht immer zuverlässige und verständliche Daten zu Arzneiprodukten. Daher kann von einem gleichberechtigten Zugang zu Informationen für den EU-Bürger via Internet nicht die Rede sein.

Ärzte Zeitung: Welche Rolle soll die pharmazeutische Industrie spielen?

Dalli: Für Arzneien, die kein Marktzulassungsverfahren bei der EU-Arzneimittelagentur (EMA) oder einer nationalen Genehmigungsbehörde durchlaufen haben, sollte zwischen der Pharmaindustrie und den Patienten eine Art Filter aufgebaut werden, das Klarheit über verlässliche Informationen schafft.

Ärzte Zeitung: Soll EMA als Filter für verlässliche Infos fungieren?

Dalli: Ich bin mir noch nicht ganz im klaren, wie diese Art von Filter letztlich ausgestaltet werden soll. Eine im Parlament derzeit diskutierte Idee, für die Einrichtung eines web-basierten Medizinportals, wäre ein gangbarer Weg.

Ärzte Zeitung: Sehen Sie unter der spanischen EU-Ratspräsidentschaft bis 1. Juli noch eine Einigung zur Patientenmobilität?

Dalli: Ich hoffe, dass es uns beim EU-Gesundheitsministerrat am 8. Juni in Luxemburg gelingt, für die EU-Richtlinie über die Anwendung von Patientenrechten in der grenzüberschreitenden medizinischen Versorgung eine politische Einigung zu erreichen. Es geht darum, dass Patienten das Recht eingeräumt wird, in einem anderen Mitgliedstaat medizinische Leistungen nachzusuchen. Vor allem muss Klarheit über Rechte und Erstattungsleistungen geschaffen werden. So sollen EU-Bürger, die in Grenzgebieten leben, medizinische Leistungen in Anspruch nehmen können, die für sie am günstigsten liegen. Darüber hinaus sollen sich Patienten frei informieren können, über die Qualität medizinischer Leistungen, bevor sie sich entscheiden, wo sie behandelt werden möchten.

Ärzte Zeitung: Wie soll das angesichts der bisher blockierenden Spanier wahr werden?

EU-Kommissar John Dalli

(taf)

Dalli: Ich bin ein grenzenloser Optimist. Spanien war überdies ein fairer Partner im Dialog um die Patientenrechte.

Ärzte Zeitung: Die EU sieht sich angesichts alternder Gesellschaften mit Ärztemangel mit dem Thema konfrontiert. Brauchen wir eine europäische "Green Card", um Ärzte und Schwestern aus dem Ausland für die EU zu gewinnen?

Dalli: Das kann nicht die Lösung sein. Wir müssen in Europa wieder mehr Ärzte gewinnen. Das heißt, jungen Menschen attraktive Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen bieten - in allen Disziplinen der medizinischen Berufe und Pflege.

Ärzte Zeitung: Die EU ist bei medizinischen Leistungen Weltspitze, bei der Vorsorge jedoch eher ein Entwicklungsland...

Dalli: In der Tat, ich war erschrocken in Brüssel festzustellen, dass wir in der EU ein sehr niedriges Niveau der medizinischen Vorsorge haben. Im EU-Durchschnitt wenden die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Budgets nur rund drei Prozent für Vorsorgemaßnahmen auf. Prävention sind keine Kosten sondern Investitionen in die Zukunft unserer Gesellschaften. Eines meiner Hauptanliegen ist es, ein gesundes Europa stärker mit dem Vorsorgegedanken zu verknüpfen. Hier gibt es bei der Prävention von Herz- und Kreislauferkrankungen, Diabetes oder auch ungesunder Ernährung sowie Alkohol- und Tabakkonsum noch viel zu tun.

Ärzte Zeitung: Die öffentlichen Gesundheitsbudgets geraten angesichts der Wirtschaftskrise unter Druck. Denken Sie über EU-Standards oder eine Harmonisierung für Gesundheitsausgaben nach, um die Qualität medizinischer Leistungen zu sichern?

Dalli: Der Versuch, hier eine Harmonisierung in der EU zu erreichen ist sehr schwierig. Ich will mich dafür stark machen, dass wir in der EU generell höhere Gesundheitsausgaben für die Prävention bekommen. Ich rate den Finanzministern in den EU-Staaten hier stärker als bisher zu investieren. Investitionen in die Vorsorge zahlen sich für die Gesellschaft aus. Denn sie entlasten die öffentlichen Gesundheitskosten und Sozialversicherungen gleichermaßen.

Ärzte Zeitung: In der EU variiert die Qualität der medizinischen Versorgung zwischen den Mitgliedsländern erheblich. Bleibt die EU eine Zweiklassengesellschaft?

Dalli: Unsere neue Initiative zu Gesundheits-Disparitäten zeigt eindeutig, dass es Ungleichheiten bei der Behandlung und in der medizinischen Versorgung in allen sozialen Gruppen gibt. Die sind in allen EU-Mitgliedstaaten zu registrieren, nicht nur in den neuen Ländern. Die EU-Kommission kann dazu beitragen, den EU-Staaten Effizienzgewinne zu verschaffen.

Ärzte Zeitung: Die Mitgliedstaaten wollen sich von Brüssel aber nicht bevormunden lassen...

Dalli: Die Verantwortung für das Management und die Allokation von Ressourcen für Gesundheitsleistungen obliegt den Mitgliedstaaten. Daran will ich nicht rütteln. Aber ich bin sicher, dass die EU-Kommission mit ihrem Beitrag zur Evaluierung von Kosteneffektivität der EU-Gesundheitssysteme und bei der Vorsorge von vermeidbaren Krankheiten wertvolle Hilfestellungen geben kann.

Die Fragen stellte unser Mitarbeiter in Brüssel Thomas A. Friedrich.

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