Hintergrund

Hausärzte mit Verfassungsrang? Darüber streitet die Schweiz

Der Schweizer Bundesrat hält nichts von einer Initiative, mit der ausschließlich Hausärzte gefördert werden sollen.

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Schweizer Hausärzte kämpfen für eine Verankerung der Hausarztmedizin in der Verfassung.

Schweizer Hausärzte kämpfen für eine Verankerung der Hausarztmedizin in der Verfassung.

© dpa

Von Sabine Schiner

Über die Zukunft der Hausärzte wird im Nachbarland lebhaft gestritten. Die Schweizer Volksinitiative "Ja zur Hausarztmedizin" fordert, die Arbeitsbedingungen für Hausärzte zu verbessern und die Hausarztmedizin in der Verfassung zu verankern.

Nur so könne dem drohenden Ärztemangel begegnet werden. Der Bundesrat, also die Bundesregierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, hat sich bereits vor einem Jahr gegen diese Volksinitiative entschieden.

Maßnahmenpaket für Hausärzte

Nun hat er einen Gegenentwurf verabschiedet und an das Parlament überwiesen. Er hat zudem ein Maßnahmenpaket entwickelt, das die Aus- und Weiterbildung, die Forschung und die Berufsausübung der Hausärzte verbessern soll.

Nach einer Prognose des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums können bis 2030 im hausärztlichen Bereich nahezu 40 Prozent aller Arzt-Patienten-Kontakte nicht mehr abgedeckt werden - es werden Ärzte fehlen. Daher seien Schritte dringlich, um eine flächendeckende Versorgung künftig zu gewährleisten.

Bundesrat kritisiert Sonderbehandlung der Hausärzte

Das bestreitet auch der Bundesrat nicht. Die Hausarztmedizin sei ein wichtiger Pfeiler in der Versorgung. Allerdings stelle die Volksinitiative ausschließlich Hausärzte in den Mittelpunkt. Eine solche Sonderbehandlung sei keine nachhaltige Lösung, um die Grundversorgung sicherzustellen und benachteilige Fachärzte, heißt es.

Die Einschränkung auf ein Hausarztmodell werde auch den Bedürfnissen der Patienten nicht gerecht.

Forderungen greifen zu sehr in kantonale Kompetenzen

Beispielsweise könnten Hausärzte nicht alle Krankheitsbilder, etwa Patienten mit psychischen Erkrankungen, adäquat behandeln. Der bessere Vorschlag ist aus Sicht des Bundesrats die Integrierte Versorgung, bei der beispielsweise Apotheker, Chiropraktiker, Krankenpfleger und andere Gesundheitsberufe einbezogen werden sollen.

Auch greife die Forderung nach universitären Instituten und voll ausgerüsteten Ordinarien für die Hausarztmedizin zu sehr in die kantonalen Kompetenzen und die Hochschulautonomie ein, warnt der Bundesrat.

Volksinitiative "Ja zur Hausarztmedizin" mit mehr als 200.000 Unterschriften

Vor dem Hintergrund des Ärztemangels hatte die Volksinitiative "Ja zur Hausarztmedizin" im April 2010 mehr als 200.000 Unterschriften - bei knapp 7,9 Millionen Einwohnern -eingereicht. Um stabile Arbeitsbedingungen für Hausärzte zu schaffen, fordert die Initiative universitäre Institute und den Ausbau der Lehre mit Pflichtmodulen in der Hausarztmedizin.

Weitere Forderungen sind ein hausarztfreundliches Tarifsystem sowie eine Berufsausübung ohne NC und Zulassungsstopp sowie die Verankerung der Hausarztmedizin in der Bundesverfassung durch die Ergänzung um einen neuen Artikel.

Derzeit Grundversorgung nur noch durch Zuwanderung ausländischer Ärzte gesichert

Letzteres lehnt der Bundesrat ab und verweist auf ein Sofortpaket zur kurz- und mittelfristigen Stärkung der Hausarztmedizin. In Angriff genommen worden sei bereits ein neuer Weiterbildungsgang für Hausärzte, die Reorganisation der Notfalldienste, um Grundversorger zu entlasten und die praxisnahe Förderung von Projekten der Versorgungsforschung und der Hausarztmedizin.

Um die medizinische Versorgung in den kommenden Jahren zu sichern, müssten in der Schweiz künftig 1200 bis 1300 Ärzte pro Jahr ausgebildet werden. Derzeit könne die Grundversorgung nur noch aufgrund der hohen Zuwanderung ausländischer Ärzte gesichert werden.

Bundesrat verkenne das wahre Ausmaß des Ärztemangels, so das Initiativkomitee

Das Initiativkomitee "Ja zur Hausarztmedizin" und der Berufsverband der Haus- und Kinderärzte haben angekündigt, dass sie an ihrem gemeinsamen Vorstoß festhalten wollen. Der Bundesrat verkenne das wahre Ausmaß des Ärztemangels, heißt es.

Im Gegenentwurf fehlten konkrete Schritte zur Verbesserung der Aus- und Weiterbildung. Kritik am Gesetzesentwurf kommt auch von der Verbindung der Schweizer Ärzte (FMH, Féderation des Médicins Suisses) in Bern, die die Interessen von mehr als 35.000 Ärzten vertritt.

Der Gegenentwurf sei nicht hilfreich, um die aktuellen Probleme zu lösen. Zudem erschwerten neue Vorschriften zur Versorgungssteuerung und Qualitätssicherung die Berufsausübung, anstatt sie zu erleichtern, heißt es in einer Stellungnahme.

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