Wirtschaftskrise beflügelt britische Privatmedizin

IGeL statt steuerfinanzierter NHS-Sachleistung: Der britische Ärztebund sieht den Trend zur Privatmedizin mit Argusaugen. Denn Hausärzte gerieten leicht in Interessenskonflikte.

Veröffentlicht:

LONDON (ast). Eurokrise und wirtschaftliche Probleme verleiten offenbar immer mehr britische Hausärzte dazu, ihren Patienten private Behandlungen anzubieten, anstatt sie auf lange Wartelisten des staatlichen Gesundheitsdienstes National Health Service (NHS) zu setzen. Das hat in der Gesundheitspolitik für Streit gesorgt.

Britische Zeitungen berichten in jüngster Zeit regelmäßig über die "Privatisierung durch die Hintertür" ("The Times"). Immer mehr lokale Gesundheitsverwaltungen müssen mangels Geld medizinische Behandlungen rationieren.

Besonders häufig geschieht dies bei einfachen Eingriffen wie zum Beispiel dem Entfernen von eingewachsenen Nägeln oder Katarakt-Operationen.

Staatshonorare reichen oft nicht aus

Nach Etatkürzungen durch das Gesundheitsministerium, sehen sich immer mehr staatliche Hausarztpraxen und Kliniken nicht mehr in der Lage, diese Behandlungen auf Staatskosten anzubieten.

Folge: Die NHS-Ärzte bieten die Behandlungen als Privatleistung an. Zunächst wird dem Patienten erklärt, dass der NHS die Therapie entweder überhaupt nicht mehr bezahle oder dass es für den Eingriff monatelange Wartzeiten gebe.

Dann offeriert der Arzt dem Kranken eine private Behandlung. Dafür muss der Patient selbst bezahlen oder die Kostenerstattung mit seiner privaten Krankenversicherung (PKV) aushandeln.

Verband fürchtet Verschlimmerung

Der britische Ärztebund (British Medical Association, BMA) beobachtet diese Entwicklung mit Sorge.

"Das kann leicht zu Interessenkonflikten des behandelnden Arztes führen", sagte eine BMA-Sprecherin der "Ärzte Zeitung".

Und: "Die anhaltende Wirtschaftskrise wird diese Situation in den kommenden Monaten und Jahren nur noch weiter verschlimmern."

Interessenskonflike in Privatzentren

Besonders kontrovers sind solche NHS-Hausarztpraxen, die außer ihrer Arbeit für den staatlichen Gesundheitsdienst auch private Behandlungszentren betreiben.

Dort seien die Interessenkonflikte der Hausärzte "besonders groß", warnt der BMA.

Großbritannien hat ein staatliches Primärarztsystem. Der Zugang zu fast allen medizinischen Leistungen erfolgt stets über den Hausarzt. Die freie Arztwahl ist eingeschränkt.

Schlagworte:
Mehr zum Thema

Vor dem World Health Assembly

WHO-Pandemieabkommen noch lange nicht konsensfähig

Leicht geringere Sterblichkeitsrate

Sind Frauen besser bei Ärztinnen aufgehoben?

Kommentar zum Umgang mit aggressiven Patienten in Frankreich

Klima der Gewalt

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

„ÄrzteTag“-Podcast

Was steckt hinter dem Alice-im-Wunderland-Syndrom, Dr. Jürgens?

Stabile Erkrankung über sechs Monate

Erste Erfolge mit CAR-T-Zelltherapien gegen Glioblastom

Lesetipps
Die Empfehlungen zur Erstlinientherapie eines Pankreaskarzinoms wurden um den Wirkstoff NALIRIFOX erweitert.

© Jo Panuwat D / stock.adobe.com

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert

Gefangen in der Gedankenspirale: Personen mit Depressionen und übertriebenen Ängsten profitieren von Entropie-steigernden Wirkstoffen wie Psychedelika.

© Jacqueline Weber / stock.adobe.com

Jahrestagung Amerikanische Neurologen

Eine Frage der Entropie: Wie Psychedelika bei Depressionen wirken