Großbritannien

Gesundheit ist das Wahlkampf-Thema Nummer eins

Am 7. Mai wählen die Briten ein neues Unterhaus. Der seit Jahren marode Zustand des Nationalen Gesundheitsdienstes hat es dabei zum Top-Thema geschafft. Tories und Labour überbieten sich nun mit Versprechungen. Und Ärzte haben eine eigene Partei.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Eines der großen Themen im britischen Unterhaus-Wahlkampf: der Nationale Gesundheitsdienst.

Eines der großen Themen im britischen Unterhaus-Wahlkampf: der Nationale Gesundheitsdienst.

© dpa

LONDON. In Großbritannien geht der Wahlkampf in die heiße Phase. Die Briten wählen am 7. Mai ein neues Parlament, und alle großen Parteien des Landes haben die Gesundheitspolitik zu einem zentralen Thema im Wahlkampf gemacht.

Dabei übertreffen sich besonders die mit den Liberalen regierenden Konservativen und die oppositionelle Labour Party mit immer neuen Versprechungen, "Milliarden zusätzlich" in den maroden staatlichen Gesundheitsdienst, den National Health Service (NHS), zu pumpen.

Erst kürzlich versprach der gesundheitspolitische Sprecher von Labour, im Falle eines Wahlsieges Anfang Mai "jährlich 2,5 Milliarden Pfund" (gut drei Milliarden Euro) zusätzlich in den NHS investieren zu wollen.

Das "zusätzlich" bezieht sich auf jene Milliardenversprechungen, die Premierminister David Cameron den Patienten im Wahlkampf bereits gab.

Meinungsumfragen zeigen, dass die Gesundheitspolitik neben Einwanderung und Europa für die Briten das mit Abstand wichtigste Wahlkampfthema ist.

"Die Wahl wird diesmal wohl in den Hausarztpraxen und Krankenhäusern gewonnen oder verloren", schrieb kürzlich die Londoner "Times".

Labours Gesundheitspolitiker Andy Burnham hat auch schon genaue Vorstellungen, wo die zusätzlichen Milliarden ausgegeben werden sollen. So möchte die Arbeiterpartei "möglichst schnell 8000 mehr Hausärzte und 20.000 mehr Krankenschwestern und -pfleger" verpflichten.

Das dazu benötigte Geld soll unter anderem aus einer neuen Luxussteuer kommen, die auf besonders teure Immobilien im Wert von umgerechnet 2,5 Millionen Euro oder mehr erhoben werden soll.

Jeder bemüht seine eigenen Statistiken

Die regierenden Konservativen kontern. "Acht Milliarden Pfund jährlich zusätzlich von 2020 an", lautet eine der Versprechungen, die Regierungschef Cameron seinen Landsleuten in Aussicht stellt.

Der Premierminister, der sich im Wahlkampf immer wieder medienwirksam in staatlichen Krankenhäusern und Arztpraxen fotografieren und filmen lässt, bezweifelt, dass Labours gesundheitspolitische Versprechungen seriös seien.

So steige die Zahl der Krankenschwestern und -pfleger im NHS seit Jahren stetig an. "Unter meiner Regierung wurden 6900 Pflegekräfte eingestellt", so Cameron.

Freilich: Wie so oft in britischen Wahlkämpfen benutzen alle Parteien alle möglichen Statistiken sehr selektiv, um den Wählern und Patienten zu beweisen, dass sie die besten gesundheitspolitischen Optionen parat hätten. Denn sowohl Tories als auch Labour und Liberale wissen, dass die Zukunft des staatlichen Gesundheitswesens eine wahlentscheidende Rolle spielt.

Großbritannien hat seit 1948 ein staatliches Gesundheitswesen, dass sich zum größten Teil aus Steuern finanziert. Die staatliche Einheitsversicherung bietet allen Bürgern Absicherung im Krankheitsfall.

Allerdings wurden die Angebote in den vergangenen Jahren stetig eingeschränkt. Wartezeiten sind besonders im stationären Sektor an der Tagesordnung.

Der Zugang zu Kliniken und damit zu allen Spezialisten ist durch das Primärarztsystem reguliert.

Interessant: Ärztliche Berufsverbände haben es bislang vermieden, gesundheitspolitisch klar Position zu beziehen oder gar Wahlempfehlungen zu geben. Das war nicht immer so.

Große Verbände wie die British Medical Association tendierten oft dazu, eher der jeweiligen Opposition zu vertrauen, da sie sich von der Regierung betrogen und enttäuscht fühlten.

Neu im Rennen: eine Gesundheitspartei

Neu ist, dass bei dieser Wahl erstmals eine kleine Partei, in der sich Ärzte, Pflegepersonal und andere Gesundheitsberufe zusammen geschlossen haben, antritt.

Die "National Health Action Party (NHA) glaubt nicht, dass die großen Parteien langfristig ein gut funktionierendes und staatliches Gesundheitswesen managen und finanzieren können. Daher drängen die politisch-aktiven Ärzte erstmals direkt mit einer eigenen Partei in Richtung Westminster.

Die NHA, die laut aktuellen Meinungsumfragen nur geringe Wahlchancen hat, verspricht unter anderem, die NHS-Ausgaben in den kommenden Jahren deutlich stärker als die Inflationsrate anzuheben.

Laut NHA-Sprecher droht dem NHS "bis 2020 eine Finanzierungslücke von 30 Milliarden Pfund", die keine der großen Parteien zu stopfen bereit sei. Patienten schenken der neuen Ärztepartei viel Gehör und sympathisieren mit der Ärzte-Partei.

Der Ausgang der Wahl am 7. Mai ist offen. Meinungsumfragen prophezeien ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Konservativen und Labour.

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