Griechenland

"Wir brauchen eine striktere Bedarfsplanung!"

Ärzteverbände in Griechenland beobachten die Lage des Landes mit Sorge. Der Vize-Präsident der Griechischen Versicherung für Ärzte, Zahnärzte und Pharmazeuten (TSAY) Dr. Charalambos Koulas hat mit der "Ärzte Zeitung" darüber gesprochen, wie er die Situation einschätzt - und wo er eine Lösung für die dringenden Probleme sieht.

Von Jana Kötter Veröffentlicht:
Das größte Problem ist die Primärversorgung: Dr. Charalambos Koulas, Mitglied der Europa-Abteilung der Panhellenic Medical Association.

Das größte Problem ist die Primärversorgung: Dr. Charalambos Koulas, Mitglied der Europa-Abteilung der Panhellenic Medical Association.

© Jana Kötter

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Koulas, woran krankt das griechische Gesundheitssystem?

Dr. Charalambos Koulas: Das größte Problem ist die Primärversorgung. Sie findet heute fast ausschließlich in Krankenhäusern statt, weil es sich die Menschen nicht mehr leisten können, zu den privat zu bezahlenden Praxen der niedergelassenen Ärzte zu gehen. Krankenhäuser können damit aber nicht mehr ihrem eigentlichen Auftrag, der Sekundärversorgung, nachkommen.

Heißt das, dass außerhalb der Kliniken ein Arztmangel besteht?

Koulas: Nein. Tatsächlich zählt Griechenland, in Relation zur Einwohnerzahl, sogar eine im EU-Vergleich extrem hohe Zahl an niedergelassenen Ärzten. Trotz dieser krankt jedoch das Gesundheitssystem, was auch daran liegt, dass es zu wenig Allgemein- und zu viele Fachärzte gibt.

Was fehlt, ist ein funktionierendes Bedarfsplanungsmodell, wie es das in anderen europäischen Ländern gibt. Aber aktuell wird dem kein Riegel vorgeschoben, und es können sich so viele Fachärzte niederlassen wie es nur wollen.

Dr. Charalambos Koulas

Studium in Wien, Facharztausbildung in Deutschland

Seit 2006 nach einer Oberarzt-Anstellung zurück in Athen

Heute in eigener augenärztlicher Praxis sowie kommunal-privater Poliklinik in Athen tätig

Stellvertretender Präsident der Griechischen Versicherung für Ärzte, Zahnärzte und Pharmazeuten (TSAY) und Mitglied der Europa-Abteilung der Panhellenic Medical Association

Wie sieht die Versorgungssituation auf den griechischen Inseln aus?

Koulas: Hier herrscht im Gegensatz ein Facharztmangel. Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen, beispielsweise Krebs-Patienten, können nur auf dem Festland behandelt werden. Zu einem gewissen Grad ist das sicherlich eine geografische Besonderheit, die wir akzeptieren müssen - wir können nicht auf jeder noch so kleinen Insel jede Fachrichtung vertreten haben.

Jedoch müsste ein effektives Bedarfsplanungsmodell auch berücksichtigen, dass beispielsweise auf jeder Insel ein Allgemeinarzt sowie ein Pädiater angesiedelt sind, darüber hinaus müssten Fachärzte für Gebiete von jeweils 10 bis 15 Inseln zuständig sein. Das könnte in Form von Versorgungszentren geschehen.

Welche Probleme gibt es im Versicherungssystem?

Koulas: Die staatliche Versicherung EOPYY hat verschiedene Probleme, die vor allem daraus resultieren, dass sie Leistungsträger und -erbringer in einem ist. Die Patienten sind unzufrieden, weil sie für eine Leistung zahlen und eine schlechte Versorgung erhalten. Die Ärzte sind unzufrieden, weil sie zu wenig verdienen und unter strukturellen Problemen leiden. Im Schnitt liegt der Brutto-Verdienst eines Krankenhaus-Arztes bei 1400 Euro.

Wo sehen Sie die Lösung zu diesen Problemen?

Koulas: Als Erstes wird ein gesundes Primärversorgungssystem benötigt. Dazu ist auch nötig, dass sich niedergelassene Hausärzte etablieren, die über die staatliche Einheitsversicherung EOPYY abrechnen können. Aktuell hat ein Patient entweder Geld, sich privat an eine niedergelassene Praxis zu wenden - oder er hat es nicht, und dann muss er in ein Krankenhaus und dort bis zu sechs Monate auf einen Facharzttermin warten.

Damit sind weder Ärzte noch Patienten zufrieden. Ich denke aber, dass die Idee von EOPYY prinzipiell so reformierbar ist, dass es funktionieren kann.

Wie könnte das konkret aussehen?

Koulas: Das Primärversorgungszentrum, in dem ich tätig bin, arbeitet mit einem gemischten Modell: Patienten zahlen zehn Euro, das ist die private Komponente - gleichzeitig ist das Zentrum in kommunaler Trägerschaft und die Behandlungskosten werden damit von der Stadt getragen. Das funktioniert gut.

Denkbar wäre aber auch, dass Versicherungen einen Teil der Behandlungskosten bei niedergelassenen Ärzten erstatten. Patienten könnten etwa in Vorleistung treten und mit der Rechnung dann einen Teil des Geldes zurückerhalten. Andererseits benötigen wir aber auch eine konsequente Bedarfsplanung und damit eine Obergrenze für bestimmte Fachärzte, damit die Qualität für Ärzte und Patienten gewährleistet werden kann.

Tragen Sie diese Idee in die Politik?

Koulas: Wir machen permanent und bei jeder Gelegenheit Werbung für dieses Modell. Doch die Politik hat aktuell so viele andere Probleme, dass man das zwar wahrnimmt - der Etablierung eines Primärversorgungssystems jedoch eine geringe Priorität zugesprochen wird.

Was fordern Sie von der Politik?

Koulas: Es gab noch nie eine Partei, die eine Entscheidung gegen ihr Volk gefällt hat - denn schließlich wollen alle wiedergewählt werden. Was es aber bräuchte, wäre nun wirklich die mutige politische Entscheidung, etwa Arztsitze für bestimmte Fachrichtungen zu beschränken. Viel zu oft arbeiten Politik und Krankenhäuser aber eng zusammen.

Was fehlt, ist eine konsequente politische Entscheidung; die wird getroffen werden müssen. Doch davor scheuen sich griechische Politiker. Natürlich wird dann auch Geld nötig sein, um das Gesundheitssystem wieder aufzubauen. Als allererstes jedoch benötigt es eine politische Entscheidung.

Wie könnte Europa Einfluss nehmen?

Koulas: Die Eurofinanzminster hätten beim Schnüren ihrer Forderungen in ihre eigenen Länder schauen sollen. Eine Reform des griechischen Gesundheitssystems inklusive des Aufbaus einer Primärversorgung hätte im jüngst verabschiedeten Reformpaket festgeschrieben sein müssen.

Thematisieren Sie dies auch mit Kollegen?

Koulas: In der Ärztekammer ist das permanent ein Thema. Wir sprechen über nichts anderes. Wir haben auch bei jedem neuen Gesundheitsminister vorgesprochen, und wir überreichen jedes Mal einen Stapel Lektüre. Doch bisher hat sich nichts geändert.

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