Portugal

Der Spar-Musterschüler krankt

Portugal wird gerne als Vorbild präsentiert, wie die Finanzkrise überwunden werden kann. Doch die Sparpolitik führt zu Ärztemangel, langen Wartelisten und einer hohen Belastung für sozial Schwächere.

Manuel MeyerVon Manuel Meyer Veröffentlicht:

LISSABON. Bundeskanzlerin Angela Merkel hält Griechenland gerne den Erfolg der portugiesischen Regierung vor, wenn sie Athen mal wieder zu mehr Sparpolitik ermahnen möchte. Auch Brüssel feiert Portugal regelmäßig als europäischen Spar-Musterschüler.

Tatsächlich war die Spar- und Reformpolitik von Portugals konservativem Ministerpräsidenten Pedro Passos Coelho erfolgreich. Er reformierte den Arbeitsmarkt, privatisierte Staatsunternehmen, erhöhte Steuern und speckte den zu großen Beamtenstab ab. Seit einem Jahr wächst die Wirtschaft wieder.

Die Arbeitslosenquote ging von 16,1 Prozent im Jahr 2013 auf jetzt 12 Prozent zurück.

Musste Portugal 2011 noch mit 78 Milliarden Euro von der EU und dem Internationalen Währungsfonds vor dem Staatsbankrott gerettet werden, steht das Land im äußersten Westen Europas heute finanziell wieder auf eigenen Beinen. Die Kollateralschäden der harten Sparpolitik sind aber überall zu spüren - auch im staatlichen Gesundheitssystem.

Ärzte werden nicht ersetzt

Rund 90 Prozent der portugiesischen Ärzteschaft arbeitet in öffentlichen Gesundheitszentren. Um Geld zu sparen, verhängte die Regierung 2012 aber nicht nur einen Einstellungsstopp, sondern zwang auch viele ältere Ärzte in den Vorruhestand, ohne sie zu ersetzen.

"Das hat vor allem in den ländlichen Regionen zu einem deutlichen Ärztemangel geführt", erklärt Rui Nogueira, Vorsitzender der portugiesischen Allgemeinmediziner-Vereinigung.

Überfüllte Notaufnahmen und gestresste Ärzte, deren Löhne zudem um zehn Prozent gesenkt wurden, seien die Folge, so Nogueira. Viele Ärzte wandern bereits in den privaten Gesundheitssektor ab.

Im Pflegebereich habe diese Einstellungs- und Frührentenpolitik sogar zu einem strukturellen Mangel von 20 000 Krankenpflegern geführt, rechnet Guadalupe Simões von der portugiesischen Krankenpfleger-Gewerkschaft vor.

Dass die damit verbundene Erhöhung der Arbeitszeit auf 50 und mehr Wochenstunden auch noch mit Gehaltskürzungen von 20 Prozent einhergingen, animierte viele Krankenpfleger zur Jobsuche im Ausland. Die Krankenpfleger-Sprecherin redet von einer Mehrbelastung, die bereits zur Zunahme von Arbeitsunfällen führt.

Besonders schlimm scheinen allerdings die Arbeitsbedingungen zu sein. "In vielen Gesundheitszentren und Krankenhäusern fehlt es aufgrund der Einsparungen teilweise sogar an Medikamenten, Reinigungsmitteln und medizinischen Geräten", versichert Simões.

7,50 Euro Zuzahlung bei Besuch eines Facharztes

Ärzte und Pfleger haben in den vergangenen Jahren mit Sicherheit allen Grund gehabt, öffentlich gegen die Sparpolitik im Gesundheitswesen zu protestieren. Verwunderlich ist allerdings der ausbleibende Protest der Bevölkerung.

In ländlichen Regionen müssen Patienten aufgrund vieler geschlossener Gesundheitszentren bis weit über 50 Kilometer zur Behandlung fahren. Auf Operationen und Facharzttermine müssen sie mittlerweile sieben Monate warten. Für eine private Gesundheitsversorgung fehlt es den meisten von der Krise gebeutelten Portugiesen an Geld.

Besonders hart sind für viele Portugiesen die erhöhten Eigenbeteiligungen an Medikamenten und neuen Behandlungsgebühren. Seit 2012 hat sich die Gebühr für einen Hausarztbesuch auf fünf Euro verdoppelt.

Zum Facharzttermin müssen Patienten 7,50 Euro im Krankenhaus zuzahlen. Für eine Behandlung in der Notaufnahme können seit 2012 sogar bis zu 50 Euro vom Patienten verlangt werden.

"Das ist viel Geld, bedenkt man, dass rund ein Fünftel aller Erwerbstätigen in Portugal mit einem monatlichen Mindestlohn von 505 Euro bis ans Monatsende kommen müssen", gibt José Augusto Oliveira von der portugiesischen Gewerkschaft CGTP zu bedenken.

Löhne sind um 20 Prozent gesunken

Die Löhne seien im Zuge der Spar- und Reformpolitik durchschnittlich um 20 Prozent in den Keller gegangen, es gebe fast nur Zeitverträge, und die ohnehin schon geringen portugiesischen Renten wurden eingefroren, stellt der Gewerkschaftsführer klar. Somit falle es vor allem Rentnern, Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern immer schwerer, zum Arzt zu gehen.

Eugenio Fonseca, Vorsitzender des katholischen Hilfswerks Caritas in Portugal, hebt dabei hervor, dass die hohe Arbeitslosigkeit und einsetzende Armut zudem die Menschen für Krankheiten anfälliger machen - körperlich wie seelisch. 2011 nahmen 16 Prozent der Portugiesen Antidepressiva.

"Unsere Strategie der Strenge war genau richtig", lobte Ministerpräsident Pedro Passos Coelho vor Kurzem noch sein hartes Spar- und Reformprogramm mit Blick auf die makro-ökonomischen Wachstumsdaten.

Für das portugiesische Gesundheitssystem waren sie anscheinend ein wenig zu streng. Welche der Maßnahmen am Ende wieder geändert werden, wenn jetzt tatsächlich die Links-Regierung ans Ruder kommen sollte, bleibt abzuwarten.

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