Wochenend-Dienste

Britische Ärzte auf Konfrontationskurs

Die Regierung Cameron will den Assistenzärzten einen neuen Arbeitsvertrag aufzwingen. Sie sollen verpflichtend am Wochenende arbeiten müssen - allerdings ohne Honorarplus. Jetzt gehen die Ärzte auf die Straße. Und bekommen sogar Unterstützung von Patienten.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Streikende Assistenzärzte am 12. Januar vor dem Londoner St. Thomas Hospital.

Streikende Assistenzärzte am 12. Januar vor dem Londoner St. Thomas Hospital.

© EPA/ ARRIZABALAGA/dpa

Vergangene Woche streikten in Großbritannien erstmals seit mehr als 40 Jahren die Ärzte. Begleitet wurden die Arbeitsniederlegungen in Kliniken zwischen London und Liverpool von Sympathiekundgebungen anderer Gesundheitsberufe und - erstaunlich - von Patienten.

Patienten, die für einen Ärztestreik sind? Das ist das Bemerkenswerte und Ungewöhnliche an dem derzeit laufenden Disput zwischen Londoner Gesundheitsministerium und der Ärzteschaft: nicht nur markiert der Streik den Beginn einer neuen Ära in der britischen Gesundheitspolitik nach dem Motto: weg vom Konsens, hin zur offenen Konfrontation.

Der Streik lässt obendrein erahnen, wie das staatliche britische Gesundheitswesen der Zukunft aussehen könnte: nicht gut.

Zuletzt hatten Ärzte in Großbritannien Mitte der 70er Jahre gestreikt. Damals wie heute steckte das Land in einer tiefen wirtschaftlichen und strukturellen Krise. Damals wie heute wurde über die Zukunft Großbritanniens innerhalb oder außerhalb der europäischen Staatengemeinschaft nachgedacht und abgestimmt.

Und damals wie heute hatten sich die britischen Ärzte des staatlichen Gesundheitswesens (National Health Service, NHS) die immer weiter die Budgets kürzende Gesundheitspolitik der Londoner Regierung lange mit angeschaut, bevor sie schließlich die Arbeit verweigerten.

Erster Ärztestreik seit 40 Jahren

Freilich: ging es vor 40 Jahren ausschließlich ums Geld, geht es im derzeitigen zunehmend bitter werdenden Konflikt sowohl um die Bezahlung, aber mehr noch um einen neuen Arbeitsvertrag, der den NHS-Assistenzärzten von Gesundheitsminister Jeremy Hunt aufgezwungen werden soll. Darin sollen Ärzte beispielsweise verpflichtet werden, "grundsätzlich auch an Wochenenden und Feiertagen" arbeiten zu müssen. Nur einer der vielen Streitpunkte.

"Rund um die Uhr für die Patienten da sein" und ein "sieben Tage pro Woche arbeitendes Gesundheitswesen" - das sind zwei Kernsätze aus dem Mund von Minister Hunt, die für die Ärzteschaft ein rotes Tuch sind.

Hunt möchte in den neuen Arbeitsvertrag der staatlichen Assistenzärzte rein schreiben, dass beispielsweise die Arbeit an Wochenenden anders als bisher nicht deutlich besser bezahlt wird.

So sollen in den Kliniken Lohnkosten gespart werden. Freilich: zum einen würde das nach Angaben des britischen Ärztebunds British Medical Association (BMA) bedeuten, dass Assistenzärzte "bis zu 96 Stunden pro Woche" arbeiten müssten, was nicht zuletzt eine Gefahr für die Patientensicherheit darstelle. Zum anderen gebe es ohnehin keinen Handlungsbedarf, die Wochenendaufteilung der Arbeit in den Kliniken zu ändern, da gegenwärtig "alles bestens" laufe, so die BMA.

"Wochenenden sind Samstag und Sonntag!"

Das bestreitet das Gesundheitsministerium und weist auf eigene Studien hin, wonach angeblich die Mortalität bei Eingriffen an Wochenenden deutlich höher sei, weil nicht genug qualifizierte Ärzte zur Verfügung stünden. Schaut man sich die Zahlen des Ministeriums etwas genauer an, fällt auf, dass als Wochenende ein Zeitraum von freitags bis montags definiert wurde. Irreführend, wie die BMA sagt. "Wochenenden sind Samstag und Sonntag!"

In Großbritannien praktizieren derzeit rund 55 000 Assistenzärzte. Ihr durchschnittliches Jahreseinkommen liegt je nach Qualifikation zwischen 23 000 und 74 000 Pfund (30 100 und 98 000 Euro). Die BMA bestreitet, dass es bei dem Disput um mehr Geld geht und wirft dem Gesundheitsministerium vor, durch die Hintertür längere Arbeitszeiten durchsetzen zu wollen, um so langfristig Kosten zu senken.

Die Fronten sind verhärtet, ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht.

Erstaunlich: rund drei Viertel der britischen Patienten sind laut aktuellen Meinungsumfragen auf der Seite der streikenden Ärzte. Eine Befragung der BBC ergab, dass 84 Prozent der befragten Patienten solange den Arbeitskampf ihrer Assistenzärzte mittragen, wie die Notfallversorgung in den Kliniken gewährleistet ist. Auch am 26. Januar, wenn die Ärzte wieder streiken wollen, soll laut BMA "die Notfallversorgung garantiert" sein.

Streiks und Notfälle - eine Zwickmühle

Gesundheitspolitische Beobachter deuten den Arbeitskampf als schlechtes Omen für die Zukunft des NHS. "Es ist klar, dass die Regierung lieber Steuergeschenke an Industrie und Reiche aushändigt, anstatt ordentlich in die Gesundheitsversorgung zu investieren", sagte ein BMA-Sprecher der "Ärzte Zeitung" in London.

Und: "Jahrzehntelang haben britische Ärzte nicht gestreikt, weil sie einen Eid geschworen haben. Aber jetzt beginnt eine neue Zeitrechnung und die Öffentlichkeit steht hinter uns!"

Freilich: ob diese Unterstützung durch Patienten und Öffentlichkeit endlos anhalten wird, ist fraglich. Die nächsten Streiks sind schon angekündigt: am 26. Januar für 48 Stunden und am 10. Februar von 8 Uhr morgens bis 17 Uhr abends - dann sollen auch keine Notfälle mehr behandelt werden.

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