Machtwechsel im Élysée

Der schwierige Start für Hoffnungsträger Macron

Auch in Frankreich ist Gesundheitspolitik ein Minenfeld. Die französischen Ärzte hoffen, dass der neue Präsident Emmanuel Macron zur Kostenerstattung zurückkehren wird – aber das könnte trügerisch sein.

Denis Durand de BousingenVon Denis Durand de Bousingen Veröffentlicht:
Ärzte und Mitarbeiter im Gesundheitswesen gehen in Paris auf die Straße, zuletzt Anfang März.

Ärzte und Mitarbeiter im Gesundheitswesen gehen in Paris auf die Straße, zuletzt Anfang März.

© ABACAPRESS

Obwohl die neue französische Regierung frühestens Mitte nächster Woche gebildet sein wird, fragen sich viele Ärzte, wie die Gesundheitspolitik der fünf kommenden Jahren aussehen könnte.

Viele von ihnen rechnen mit einer Fortsetzung der bisherigen Politik, auch wenn sich Emmanuel Macron, der am Sonntag das Präsidentenamt angetreten hat, für eine durchgreifende Modernisierung aller Gesundheitsstrukturen ausgesprochen hat. Drastische Kursänderungen in der Gesundheitspolitik werden aber zumindest derzeit nicht erwartet.

Während des Wahlkampfs in den letzten Monaten blieben gesundheitspolitische Themen eher im Hintergrund. Macron selbst hat nicht den Ruf, ein Spezialist zu sein. Daran ändern auch familiäre Erfahrungen nichts: Sein Vater ist Neurologe, seine Mutter Amtsärztin. Bruder und Schwester sind Mediziner, und auch die nahen Angehörigen seiner Frau sind als Ärzte tätig.

Massiver Ausbau der Telemedizin

In der Gesundheitspolitik hat Macron unter anderem versprochen, die Probleme des Ärztemangels mit stärkerem Einsatz der Telemedizin zu lösen. Als weitere Option sieht Macron eine Entlastung von Ärzten durch Delegation bestimmter Aufgaben an Assistenzberufe. Grundsätzlich lehnen Ärzte das nicht ab, vorausgesetzt, dass alles unter ihrer Aufsicht bleibt.

Zu diesem Thema sowie zu allen vergleichbaren gesundheitspolitischen Fragen erwarten vor allem Ärzte mehr Dialog mit dem neuen Präsidenten als mit seinem Vorgänger. Der bisherigen Gesundheitsministerin Marisol Touraine ist es zwar gelungen, die Finanzen der lange Zeit defizitären Krankenversicherung zu stabilisieren, aber von einem partnerschaftlichen Dialog und Kontakten mit den Ärzten konnte nie die Rede sein.

Ganz im Gegenteil: Gegen den massiven Protest der Ärzte setzte Touraine die Ablösung des Kostenerstattungsprinzips durch ein Sachleistungssystem analog zur deutschen GKV durch – ein Projekt, das zum Wahlprogramm von François Hollande gehört hatte. 2014 und 2015 führte diese Reform zu heftigen Konflikten mit den Ärzten – bis hin zu Streiks. Aus diesem Grund konnte die Reform 2016 nur teilweise eingeführt werden.

Rückkehr zur Kostenerstattung?

Vor diesem Hintergrund fordern viele Ärzteorganisationen eine Revision und eine vollständige Rückkehr zum alten System. Doch solche Hoffnungen dürften wahrscheinlich trügerisch sein. Im Wahlkampf hatte Macron das Sachleistungsmodell als ein "modernes System" bewertet.

Eine der größten Herausforderungen für Macron, der die Eliten-geprägte Administration des französischen Staats aufbrechen und modernisieren will, ist es aber, ein kompetentes Kabinett aufzustellen, das glaubhaft den Aufbruch in die Modernisierung verkörpert.

Im Wahlkampf hatte Macron versprochen, einen Arzt oder eine Ärztin zum/zur Gesundheitsminister(in) zu ernennen. In den vorangegangenen Regierungen haben Ärzte in dieser Position oft die Beziehungen zwischen Politik und Ärzteschaft erleichtert.

Jetzt beobachten aber viele Ärzte, dass ein Großteil der führenden Beamten aus dem Kreis Touraines stammt, was ihre Begeisterung dämpfen könnte. Andererseits hat sich Macron kurz nach seiner Wahl einige junge Krankenhausärzte als Berater geholt.

Zu Macrons wichtigsten Aufgaben gehört die Fortsetzung der Krankenhausreform, die laut Regierung noch effizienter und kostenbewusster arbeiten muss. Eigentlich sind Krankenhäuser, von denen viele tiefrote Zahlen schreiben, für alle Regierungen seit Jahrzehnten ein Minenfeld : Wird Macron es schaffen, das System weiter zu modernisieren, ohne – wie viele seiner Vorgänger – mit massiven Streiks und Protesten rechnen zu müssen?

Nächster Meilenstein: die Parlamentswahlen

Auf jeden Fall muss Macron in den nächsten Wochen bis zu den Parlamentswahlen eine Mehrheit finden, um alle seine Pläne, die vor allem Wirtschaft, Bildung und Europa betreffen, verwirklichen zu können.

Bei diesen Wahlen, die am 11. und 18. Juni stattfinden werden, kandidieren traditionell auch viele Ärzte, um sich einen Platz unter den 577 Abgeordneten zu sichern. Derzeit sind 34 von ihnen Mitglieder der Nationalversammlung, auch wenn nicht alle von ihnen sich dort mit gesundheitspolitischen Themen beschäftigen.

Unter den rund 450 Kandidaten, die sich unter Macrons Bewegung "La République en Marche!" um einen Sitz im französischen Parlament bewerben, sind auch einige Ärzte, aber fast alle sind politisch Neulinge. Traditionell bieten Parlamentswahlen eine gute Gelegenheit, sich intensiver mit fachlichen Themen zu beschäftigen. Ohne Zweifel werden Ärzteorganisationen und politische Parteien die vier kommenden Wochen nutzen, um ernsthaft über ihre Forderungen zu diskutieren.

Lesen Sie dazu auch: Geldanlage: Macrons Wahlsieg verschafft Europas Börsen Aufwind

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