Frankreich

Ärzte hoffen auf Reformeifer

Von der sozialistischen Regierung waren viele französische Ärzte enttäuscht. Jetzt hoffen sie auf ein gutes Verhältnis zur neuen Gesundheitsministerin – einer versierten Kollegin – und auf eine Rückkehr zum Kostenerstattungsprinzip.

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Nach seinem klaren Sieg bei den Parlamentswahlen verfügt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron über eine breite Mehrheit, um auch im Gesundheitswesen seine Reformen ohne große Probleme anzugehen. Erste Aufgabe der Mitte Mai zur Gesundheitsministerin ernannten Ärztin Professor Agnès Buzyn wird es aber sein, den Dialog und das Vertrauen mit der Ärzteschaft wiederherzustellen.

26 Ärzte im Parlament

Professor Agnès Buzyn ist Frankreichs neue Gesundheitsministerin.

Professor Agnès Buzyn ist Frankreichs neue Gesundheitsministerin.

© Mattia/dpa

Im neuen Parlament werden unter den 577 Abgeordneten 26 Ärzte sitzen, darunter 19 aus Macrons Partei "La République En Marche ". Sie sind fast alle Polit-Neulinge. Dagegen wurden neun konservative Ärzte sowie alle sozialistischen Ärzte, die 2012 bis 2017 im Parlament saßen, abgewählt. Auch der bisherigen Gesundheitsministerin Marisol Touraine ist es nicht gelungen, ihr Mandat zu verteidigen.

Die meisten Ärzteverbände fordern weiter die Streichung der umstrittenen Gesundheitsreform von 2016. Damals war das Kostenerstattungssystem teilweise durch das Sachleistungssystem ersetzt worden (die "Ärzte Zeitung" berichtete). Ärzte protestierten gegen den bürokratischen Aufwand, der für sie mit der Reform verbunden ist: Statt wie bisher ihr Honorar direkt von den Patienten zu bekommen, müssen sie selbst den Kassen die Rechnungen stellen. Legt der Patient eine gefälschte Versichertenkarte vor, bleibt der Arzt auf seiner Rechnung sitzen. Die französischen Ärzte hätten den Einstieg ins Sachleistungssystem wohl eher akzeptiert, wenn es Einrichtungen wie die deutschen KVen geben würde. Diese wird es aber in Frankreich nie geben.

Ähnliche Probleme wie bei uns

Nicht nur wegen dieser Reform, sondern auch wegen ihrer autoritären und ideologisch geprägten Haltung war Marisol Touraine in der Ärzteschaft unbeliebt. In den vergangenen Wochen haben sich deshalb viele Ärzte aus ihrem Wahlkreis dafür eingesetzt, die Wiederwahl der Ministerin zu verhindern. Begrüßt wurde aber, dass wieder eine Ärztin den Posten der Gesundheitsministerin übernommen hat.

Die 54 Jahre alte parteilose Hämatologin Professor Agnès Buzyn gilt als gesprächsbereit und kompetent. Sie hat bis vor Kurzem die nationale Gesundheitsagentur sowie das nationale Krebsinstitut geleitet. Allerdings kennt sie sich im ambulanten Bereich nicht so gut aus wie bei Arzneimitteln und in der Forschung. Schon während der Wahlkampagne hatte Macron angekündigt, dass eine Überarbeitung der Sachleistungsreform möglich sein könne. Vor allem Ärzte sollten wieder von Bürokratie entlastet werden. Eine echte Lockerung der Honorarpolitik ist aber unwahrscheinlich, da die Regierung – obwohl sich die Finanzlage der Sozialkassen verbessert hat – weiter sparen muss.

Eine Finanzierungsreform der Sozial- und Krankenversicherung hat für die neue Regierung deshalb höchste Priorität. Seit Anfang der 90er Jahre zahlen alle Franzosen zusätzlich zu den Versicherungsbeiträgen eine Sozialsteuer, die auf alle Einkommen, einschließlich Renten und Kapitalanlagen, erhoben wird. Ursprünglich betrug diese Steuer zwei Prozent, in den vergangenen Jahren ist sie aber auf 7,5 Prozent gestiegen. Jetzt soll sie noch einmal um fast zwei Prozent steigen, während die Arbeitgeberbeiträge deutlich gesenkt werden, um die Arbeitskosten zu reduzieren.

Im Hinblick auf unterversorgte Regionen erwarten Ärzte rasche Maßnahmen. Dabei wollen sie aber nicht auf die Niederlassungsfreiheit verzichten. Während die Sozialisten sich vor allem auf die Gründung sogenannter Gesundheitshäuser verlassen haben – Ärztehäuser, die gemeinsam mit Pflegeeinrichtungen und anderen Gesundheitsberufen betrieben werden –, setzt Macron vor allem im ländlichen Raum auf die Telemedizin. Die Technik ist dafür reif, aber in Frankreich müssen wie in Deutschland noch Gesetze an die technischen Möglichkeiten angepasst werden.

Gleichzeitig wollen Ärzte den Numerus clausus lockern. Da die Zahl der Kandidaten für ein Medizinstudium trotz Vorprüfungen die Kapazitäten der meisten Fakultäten völlig übersteigt, mussten kürzlich Unis die Studienanfänger per Los ermitteln. Das wurde von allen Betroffenen als ungerecht kritisiert. Die Regierung hat versprochen, eine praktikablere Lösung zu finden. Allerdings gibt es bis jetzt keine konkreten Details. Vor allem muss es aber gelingen, junge Ärzte für die Arbeit auf dem Land zu gewinnen.

Buzyn will sich auch um mehr Prävention kümmern: Sie will gegen Tabakkonsum und Alkoholmissbrauch vorgehen, die Preise für Zigaretten sollen deutlich steigen. Auch hat sie Impfgegner auf dem Radar und will die Impfpflicht für Kinder ausweiten.

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