Schatten des Brexits

NHS stopft Etat mit Gebäudeverkäufen

Kliniken verkaufen Liegenschaften, Ärzte versenden Röntgenbilder via soziale Medien statt über offizielle Datenleitungen – weil diese überlastet sind. Der Gesundheitsdienst NHS kommt nicht aus den Schlagzeilen.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Der Brexit hinterlässt Spuren: Jetzt verkaufen Kliniken schon Besitztümer, um an Geld zu kommen.

Der Brexit hinterlässt Spuren: Jetzt verkaufen Kliniken schon Besitztümer, um an Geld zu kommen.

© nmann77 / stock.adobe.com

LONDON. Weil im staatlichen britischen Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) das Geld in Zeiten des Brexit knapper und knapper wird, gehen offenbar immer mehr Krankenhausverwaltungen dazu über, Ländereien, Gebäude und andere Liegenschaften zu verkaufen, um so die Etatlöcher zu stopfen.

Das hat im Königreich zu einem heftigen Streit zwischen Regierung und Opposition geführt. Wie aus neuen Zahlen der Organisation "NHS Digital" hervorgeht, gibt es landesweit 117 Liegenschaften, die zum Verkauf stehen und die derzeit noch für medizinische Zwecke im NHS genutzt werden.

Damit hat sich die Zahl der mit einem "For Sale"-Schild versehenen NHS-Liegenschaften im vergangenen Jahr verdoppelt. Das Londoner Gesundheitsministerium argumentiert, der Verkauf sei notwendig, um für eine bessere medizinische Versorgung der Bevölkerung durch den NHS zu sorgen.

Reinvestition des Geldes?

Laut Ministerium sollen bis zum Jahr 2020 Ländereien, Gebäude und andere Liegenschaften im Wert von rund fünf Milliarden Pfund (rund sechs Milliarden Euro) veräußert werden.

"Dieses Geld wird direkt wieder in die Gesundheitsversorgung investiert", erklärte ein Regierungssprecher in London. Opposition und Patientenverbände sehen das jedoch kritisch. Gesundheitspolitische Beobachter in Großbritannien weisen auf Zusammenhänge mit dem bevorstehenden Brexit und der Finanzknappheit im Gesundheitswesen hin.

Tatsächlich scheinen Ärzte und Klinikverwaltungen bereits heute immer öfter zu ungewöhnlichen Maßnahmen greifen zu müssen, um die Versorgung sicherzustellen.

Austausch von Patientendaten über soziale Medien

So wurde kürzlich bekannt, dass Klinikärzte Röntgenbilder und andere diagnostische Dokumente untereinander via Snapchat und anderen sozialen Medien austauschen, weil die offiziellen Datenleitungen überlastet sind oder nicht richtig funktionieren.

Beobachtern zufolge besteht im NHS "ein massiver Nachholbedarf" in Sachen IT. In einigen Gesundheitsverwaltungen existierten bis zu 160 unterschiedliche Computersysteme nebeneinander, weil – anstatt die IT regelmäßig auf einen Stand zu bringen und flächendeckend zu modernisieren – jahrelang Flickwerk betrieben wurde.

Für Haus- und Klinikärzte bedeutet das laut britischem Ärztebund (British Medical Association, BMA), dass Ärzte oft auf dem kleinen Dienstweg per Snapchat oder anderen Programmen Röntgenbilder verschicken, um sich zu beraten.

"Das ist ein Unding", sagte eine BMA-Sprecherin der "Ärzte Zeitung". Und: "Wir beobachten das mit Sorge und fordern das Gesundheitsministerium auf, mehr in IT zu investieren." Experten schätzen den finanziellen Nachholbedarf auf hohe zweistellige Millionenbeträge.

Zusammenarbeit mit Google-Tochter sorgt für Unmut

Bislang scheinen die Mahnungen freilich auf taube Ohren im Ministerium zu fallen. Gerade wurde bekannt, dass eine Tochtergesellschaft des Internet-Giganten Google mit einem Londoner NHS-Klinikenverbund eng zusammen arbeitet und dabei 1,6 Millionen vertrauliche Patientenakten datenschutzrechtlich kompromittiert haben soll.

Ärzte und andere Mitarbeiter des Royal Free NHS Foundation Trust sollen die Patientendaten widerrechtlich mit der Google-Tochtergesellschaft ausgetauscht haben. "Alles, um Geld zu sparen", kommentierte ein Londoner Hausarzt.

Unser Korrespondent bloggt auch aus London

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