England

Wird im NHS rationiert? Der Argwohn wächst

Der britische National Health Service ist stolz auf sein Gleichbehandlungsprinzip. Indes berichten Ärzte von einem "schmutzigen Geheimnis" im NHS. Raucher und adipöse Patienten würden diskriminiert.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Der NHS betont das Gleichbehandlungsprinzip: Berichte aus Kliniken lassen erkennen, dass das für einzelne Patientengruppen nicht zutrifft.

Der NHS betont das Gleichbehandlungsprinzip: Berichte aus Kliniken lassen erkennen, dass das für einzelne Patientengruppen nicht zutrifft.

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LONDON. Im britischen Gesundheitswesen existiert offenbar, was ein Klinikarzt kürzlich im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" in London als "schmutziges Geheimnis, über das niemand redet" bezeichnet hat. Gemeint sind Rationierungen bestimmter Behandlungen und Operationen, weil der Patient beispielsweise adipös ist oder raucht.

Offiziell gibt es derartige Eingriffe in die Therapiefreiheit zwar nicht. Doch es mehren sich Indizien, wonach inzwischen in vielen staatlichen Kliniken mehr oder weniger offen gegenüber bestimmten Patientengruppen diskriminiert wird.

Recherchen der "Ärzte Zeitung" im staatlichen britischen Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) ergaben, dass in etlichen Gegenden beispielsweise Patienten mit einem Body Mass Index (BMI) von 30 oder mehr von bestimmten Operationen wie Hüftgelenksoperationen ausgeschlossen werden. Diesen Patienten wird dann in der Regel zunächst Hilfe beim Abspecken angeboten und die Operation an der Hüfte wird für sechs Monate oder länger verschoben. Normalgewichtige Patienten erhalten die Operation dagegen in der Regel ohne größeren Zeitverzug.

Rationierung? Klares Dementi!

Interessant: Nach Angaben des Londoner Gesundheitsministeriums existieren solche Praktiken "nirgends im NHS". Und: "Gegen bestimmte Patientengruppe zu diskriminieren, nur weil sie rauchen oder übergewichtig sind, verstößt klar gegen das Gleichbehandlungsprinzip im NHS", sagte ein Ministeriumssprecher in London.

Freilich: Fachärztliche Berufsverbände wie das "Royal College of Surgeons" (RCS) haben in jüngster Zeit mehrfach auf "bewusste Ungleichbehandlung" von Patienten hingewiesen. Vor einiger Zeit gab zum Beispiel eine Gesundheitsverwaltung im nordenglischen Harrogate bekannt, Rauchern oder stark übergewichtigen Patienten "vor einer Operation zunächst die Chance" geben zu wollen, mit dem Rauchen aufzuhören respektive abzunehmen. Das sei "positiv", denn der Patient werde so motiviert , gesünder zu leben.

Als eine andere Gesundheitsverwaltung im nordenglischen York vor einiger Zeit ähnliche Pläne vorstellte, hagelte es starke öffentliche Kritik und die Pläne wurden zunächst wieder in die Schublade gelegt.

Allerdings scheint es inzwischen trotzdem in vielen NHS-Kliniken vorzukommen, dass Raucher oder fettleibige Patienten direkt oder indirekt von bestimmten Operationen ausgeschlossen werden. Gespräche mit Klinikärzten bestätigen das. Diese Form der Rationierung von Gesundheitsleistungen geschieht offenbar, da das Geld fehlt. Staatliche Kliniken fahren jährlich in Abweichung von ihren Etats Milliardenverluste ein. Ärzte sprechen bei den Rationierungen von einem "schmutzigen Geheimnis".

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