"Repariert das System jetzt"

Wut über Sparkurs – Proteste in Großbritannien

Mit landesweiten Protesten haben am Wochenende tausende Menschen in Großbritannien gegen die Gesundheitspolitik der Regierung May und für mehr Geld für den National Health Service (NHS) demonstriert.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Tausende Menschen gingen am Wochenende wie hier in London auf die Straße, um für mehr Geld für den NHS zu demonstrieren.

Tausende Menschen gingen am Wochenende wie hier in London auf die Straße, um für mehr Geld für den NHS zu demonstrieren.

© Ray Tang / dpa / ZUMAPRESS.com

D ie Unzufriedenheit ist groß: Die Protestaktionen in Großbritannien, an denen am Samstag auch viele Ärzte und Krankenschwestern sowie anderes Gesundheitspersonal teilgenommen haben, richten sich gegen schlimme Zustände in Kliniken und Hausarztpraxen.

"NHS in crisis – fix it now" lautete das Motto der mehr als 20 Demonstrationen im Land. Eine der größten Kundgebungen fand in London statt. Die Demonstration endete mit einer lautstarken Protestaktion im Regierungsviertel Whitehall. Demonstranten, darunter auch zahlreiche Klinikärzte, hielten Plakate hoch auf denen Slogan wie "Leben retten kostet Geld – Geld sparen kostet Leben!" standen.

"Chaotische Zustände"

Britische Ärzteverbände versuchen seit Monaten, Regierungschefin Theresa May und Gesundheitsminister Jeremy Hunt zu einer anderen Gesundheitspolitik zu bewegen. Immer wieder warnte der größte britische Berufsverband für Ärzte (British Medical Association, BMA) vor "chaotischen Zuständen" in den staatlichen Kliniken, die Patientenleben kosteten. Zeitungen berichten regelmäßig von Notfallpatienten, die zu Hause sterben, bevor ein Rettungswagen zu ihnen kommt.

Auch das Thema Brexit spielte bei den Protesten eine Rolle. Diverse Redner warfen der Regierung vor, den Gesundheitsdienst "völlig zu ignorieren", weil sich die Regierung ausschließlich auf die derzeit laufenden Brexit-Verhandlungen mit Brüssel konzentriere.

Das Ergebnis sei Chaos auf den Stationen, überfüllte Sprechstunden und Wartezeiten von mehreren Tagen in der Primärmedizin sowie eine Rekordabwanderung von qualifiziertem Gesundheitspersonal auch als Folge des Brexit.

In den vergangenen Wochen wurden in Großbritannien tausende als nicht dringlich eingestufte Operationen vom OP-Plan gestrichen, um zusätzliche Kapazitäten im stationären Sektor zu schaffen. Als Premierministerin Theresa May dies als "Teil unserer Strategie, mit der Winterkrise geschickt umzugehen" bezeichnete, hagelte es Kritik nicht nur von den ärztlichen Berufsorganisationen. Es wurde mehrfach der Rücktritt der Regierungschefin gefordert.

"Guter Wille wird ausgenutzt"

"Das sind Zustände, die in keinem Entwicklungsland akzeptabel wären", sagte der Londoner Klinikarzt Dr. Al Teague im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". Und: "Ohne den unermüdlichen Einsatz der Ärzteschaft und des Pflegepersonals wäre der NHS schon längst am Ende. Aber ich frage mich, wie lange die Gesundheitspolitiker noch auf den guten Willen der Ärzteschaft und des Pflegepersonals bauen können, bevor in den Kliniken endgültig die Lichter ausgehen."

Das Londoner Gesundheitsministerium wies am Wochenende die Forderungen nach mehr Geld für den NHS entschieden zurück. Man habe in diesem Winter 437 Millionen Pfund extra (rund 495 Millionen Euro) für den NHS zur Verfügung gestellt, um die schlimmsten Engpässe zu beseitigen. In den kommenden zwei Jahren werde man 2,8 Milliarden Pfund zusätzlich (rund 3,2 Milliarden Euro) investieren. Diese Zahlen werden von Ärzten bezweifelt.

Meinungsumfragen zeigen, dass die Zukunft des NHS und die missglückte Gesundheitspolitik der konservativen Regierung für britische Wähler neben dem Brexit das wichtigste aktuelle tagespolitische Thema ist. Die Briten hängen an ihrem staatlichen Gesundheitsdienst. In diesem Jahr feiert der NHS sein 70-jähriges Bestehen. "Aber in Feierlaune ist hier keiner", so Dr. Teague.

Kurios: Ungefähr zeitgleich zu den Protesten am Wochenende gab das Londoner Gesundheitsministerium bekannt, man werde bis auf Weiteres alle Zielvorgaben bezüglich der maximal vertretbaren Wartezeiten in der Notfallmedizin streichen. Diese Ziele wurden zuletzt ständig verfehlt.

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