Konkurrenz um Pflegekräfte

Der Zahlungskräftigste gewinnt

Im weltweiten Vergleich ist Europa ein „alter“ Kontinent. Doch von gemeinsamen Antworten ist die EU noch weit entfernt.

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BRÜSSEL. Sie sind gefragt, die Pflegekräfte aus Litauen. „Sie kochen, putzen, erledigen Einkäufe und andere kleiner Besorgungen“, heißt es auf der Werbeseite einer Vermittlungsagentur im Internet.

Rund 300.000 solcher Helfer sind bereits in Deutschland im Einsatz. Gesucht werden aber noch viel mehr – und keineswegs nur hierzulande. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung in der EU liegt bei rund 42 Jahren. Damit ist dieser Kontinent der älteste der Welt.

Dass diese Situation politische Konsequenzen haben kann, zeigte sich gerade erst in Finnland – ein Land, in dem 21,4 Prozent der Bewohner bereits über 65 sind. Finnland ist damit das älteste Land überhaupt. Als die Regierung Ende März eine umfassende Reform des Gesundheits- und Sozialsystems durchsetzen wollte, scheiterte sie. Neuwahlen wurden nötig.

Dabei sah doch eigentlich alles so gut aus, als die EU den Dienstleistungsmarkt regulierte und die Grenzen öffnete. Im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit kann jeder EU-Bürger ohne zusätzliche Arbeitserlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt werden – das gilt auch für Pflegekräfte.

Um attraktiv zu bleiben hat die Bundesregierung 2017 beschlossen, den Pflege-Mindestlohn schrittweise bis Ende 2020 auf 11,35 Euro im Westen und 10,85 Euro im Osten anzuheben. Im europäischen Durchschnitt ist das verlockend. Allerdings gelten diese Sätze nur bei einer Anstellung durch ein deutsches Unternehmen.

Wer die Pflege privat abschließt, braucht seit 1. Januar 2019 nur 9,19 Euro zu zahlen. Längst fliehen bulgarische, rumänische und polnische Pflegekräfte regelrecht in Länder wie Deutschland, in denen es genügend Kunden gibt, die für eine 24-Stunden-Betreuung zwischen 2600 und 3000 Euro zahlen können.

Pflegenotstand auch bei den Nachbarn

Das mag hierzulande die Lage entspannen, sorgt aber für neue Probleme aus europäischer Perspektive. Denn auch die deutschen Nachbarn brauchen Pflegepersonal – und können sich nur behelfen, indem sie auf Billigkräfte aus den angrenzenden Nicht-EU-Staaten wie der Ukraine, Moldawien oder Russland zurückgreifen. Das ist keine Lösung der Krise, sondern nur eine schleichende Verlagerung, weil jeder dem anderen das Pflegepersonal wegnimmt.

Bei der Suche nach Auswegen verfallen einige Mitgliedstaaten auf nationale Lösungen. Freiwillige soziale Jahre nach deutschem Vorbild gibt es in vielen Ländern. In Österreich werden weitergehende Vorschläge diskutiert: Eine Art obligatorischer Sozialdienst, der von allen jungen Männern und Frauen nach der Schulzeit ausgeübt werden muss.

Eine Studie des Österreichischen Roten Kreuzes zeigte, dass jeder dritte junge Mensch anschließend hauptberuflich oder ehrenamtlich der sozialen Arbeit treu blieb. Ähnliche Projekte hat auch die EU unter dem Titel „Europäisches Sozialkorps“ initiiert. Neben vielen anderen Projekten stehen auch Pflegetätigkeiten als Möglichkeit offen.

Doch bisher übersteigt der Bedarf bei Weitem das Angebot an jüngeren Menschen, die zu einem solchen Engagement bereit sind – abgesehen davon, dass sie keine Pflegefachkraft ersetzen können. Europa steuert auf eine – demografisch gut vorhersehbare – Herausforderung zu: Wer betreut die vielen Alten? (ded)

Lesen Sie dazu auch: Gesundheitspolitik der EU: Nichts zu sagen, aber viel zu tun?

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