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Krise? Welche Krise? Unterhaus macht trotz Brexits Sommerpause

Theresa May tritt bald ab, das Brexit-Menetekel bleibt. Dem neuen Premierminister werden de facto nur vier Wochen bleiben, da das Parlament in der Sommerfrische ist. Wundersame neue Heimat, meint Arndt Striegler, unser Blogger in London.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Großbritannien driftet von Europa: Wochenlang wurde um eine Brexit-Verlängerung bis Oktober verhandelt – jetzt ist für die Parlamentarier erstmal Urlaubszeit.

Großbritannien driftet von Europa: Wochenlang wurde um eine Brexit-Verlängerung bis Oktober verhandelt – jetzt ist für die Parlamentarier erstmal Urlaubszeit.

© gearstd / stock.adobe.com

Nach nunmehr dreieinhalb Jahren ständigem Hin und Her in Sachen Brexit, nach Jahren immer neuer Wirren in der britischen Politiker-Elite, wie Großbritannien gedenkt, die EU nach mehr als 40 Jahren Mitgliedschaft Ende Oktober zu verlassen – nach all dem – auch persönlichen – Stress hätte ich eigentlich gedacht: Mich kann so leicht nichts mehr schocken auf dieser Insel. Denkste!

„Die EU verlassen ist wichtiger als den Klimawandel zu stoppen“, titelte kürzlich die auflagenstarke Boulevard-Zeitung „Daily Mail“. In dem Artikel war zu lesen, dass „36 Prozent der Wähler dem Brexit die Top-Priorität“ geben. Kein anderes Thema sei den Briten derzeit wichtiger als der EU-Austritt.

Zum Vergleich: „Bekämpfung von Armut“ (zwölf Prozent) und „Klimawandel (elf Prozent) folgten abgeschlagen auf den Plätzen zwei und drei der Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Opinium“.

Brexit mag zwar Land und Leute gespalten haben. Doch in einem Punkt sind sich die Briten dann doch einig: Das Problem des Brexits muss endlich gelöst werden.

Letzte Dienstfahrt zur Queen

In wenigen Tagen wird das Königreich einen neuen Premierminister haben. Die glücklose Noch-Chefin in der Downing Street, Theresa May, wird am 24. Juli zur Queen fahren und um ihre Entlassung bitten. Ihr Nachfolger – vermutlich Ex-Außenminister Boris Johnson – hat dann rund drei Monate Zeit, um die Brexit-Kuh noch vom Eis zu bugsieren.

Keine leichte Aufgabe, wie May vor wenigen Tagen in ihrem letzten BBC-Interview als Premierministerin sagte. Sie habe die Sturheit und Verbissenheit der Unterhausabgeordneten beim Thema Brexit „sehr stark unterschätzt“. Mehrfach war May im Parlament gescheitert beim Versuch, den mit Brüssel ausgehandelten Ausstiegsvertrag über die parlamentarischen Hürden zu bringen.

Und Johnsons Chancen, das hinzubekommen, stehen ebenfalls schlecht. Brüssel will nicht nachverhandeln, das Abkommen bleibt also so, wie es ist. Und die Damen und Herren des Unterhauses – die scheinen ihre Meinung ebenfalls nicht geändert zu haben. Politische Kommentatoren auf der Insel nennen das einen „Car crash waiting to happen“.

Das Unterhaus beurlauben?

Das kann gut sein. Genau deshalb haben beide Anwärter auf die May-Nachfolge auch schon vorgebaut: Beide wollen nicht ausschließen „notfalls“ das Unterhaus einfach zu beurlauben, um einen No-Deal-Brexit, also ein chaotisches Ausscheiden aus der EU, Ende Oktober, durchzusetzen.

Sollte es dazu kommen, so wäre dies beispiellos in der langen Geschichte der parlamentarischen Demokratie im Königreich. Was wieder zeigt: Der Brexit hat dieses ansonsten so traditionsbewusste Land grundlegend verändert. Nicht zum Besseren, wie ich meine.

Nun sollte man meinen, dass angesichts der ohnehin knappen Zeit bis zum 31. Oktober in Londons Ministerien und Behörden Hochbetrieb herrscht, um alles vorzubereiten und zu regeln. Mitnichten. Das Unterhaus plant wie gewohnt seine Sommerpause auch in diesem historischen Jahr einzulegen.

Vier Wochen müssen reichen

Und wer den politischen Betrieb in Großbritannien kennt, der weiß, dass bis nach Abschluss der Parteitage der großen Volksparteien Tories und Labour Ende September ohnehin nicht viel passieren wird. Praktisch dürfte das bedeuten, dass dem Land dann noch schlappe vier Wochen bleiben, um Brexit doch noch in trockene Tücher zu packen.

Ich bin zwar erst seit wenigen Monaten Neu-Brite und kenne mich daher vielleicht noch nicht ganz so gut aus mit den Gepflogenheiten meiner Landsleute, aber ich bezweifele stark, dass dies möglich sein wird.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum Teile der britischen Medien inzwischen immer öfter nur noch humorvoll über das leidige Thema berichten. Gerade kürte die altehrwürdige Oxford University Press das Wort „Brexit“ zum „Kinderwort des Jahres“. Der Verlag hatte Kinder und Jugendliche aufgefordert, Soundbites oder Kurzgeschichten über ein aktuelles Thema zu schicken. Ergebnis: Das Wort Brexit kam mit insgesamt 418 Malen am häufigsten vor.

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