Arndt Striegler bloggt

Johnsons letzter Anlauf zu einem Deal?

Die fatalen Folgen eines ungeregelten Brexits auf der Insel sind regierungsamtlich dokumentiert. Doch auch ehemalige Minister im Kabinett Johnson zweifeln daran, dass der Premierminister tatsächlich einen Last-Minute-Deal anstrebt, schreibt unser Brexit-Blogger Arndt Striegler.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
„Komme, was wolle“: Für Boris Johnson haben sich die Chancen deutlich verschlechtert, sein eisernes Versprechen wahr zu machen, Großbritannien zum 31. Oktober in jedem Fall aus der EU zu führen.

„Komme, was wolle“: Für Boris Johnson haben sich die Chancen deutlich verschlechtert, sein eisernes Versprechen wahr zu machen, Großbritannien zum 31. Oktober in jedem Fall aus der EU zu führen.

© Frank Augstein/PA Wire/dpa

LONDON. Die Sommerpause in Westminster ist längst vorbei – well and truely, wie meine britischen Landsleute gerne sagen. Und nach wochenlangem Stillstand bewegt sich wieder etwas in Sachen Brexit. Die Never-Ending-Story geht in die nächste Runde. Die letzte? Nun, darüber streitet man sich hier im Königreich noch.

Was genau alles in den vergangenen Tagen geschah, das werden Sie, liebe Leserinnen und Leser, sicherlich aus den täglichen Nachrichten wissen: Fünfwöchige Zwangspause für das Unterhaus; das Parlament erließ quasi als seine vorerst letzte Amtshandlung im Eilverfahren schnell noch ein Gesetz, welches es Premierminister Boris Johnson ausdrücklich verbietet, die EU Ende Oktober ohne einen Deal zu verlassen.

Das behagt dem Premier zwar nicht. Doch das Gesetz steht. Und damit haben sich die Chancen für Johnson deutlich verschlechtert, sein eisernes Versprechen wahr zu machen, Großbritannien zum 31. Oktober in jedem Fall aus der EU zu führen, „komme was da wolle“.

Warnung vor dem Chaos

Das ist sowohl für das britische Gesundheitswesen als auch für Arzneimittelhersteller, Apotheken, Ärzteschaft und andere Gesundheitsberufe extrem wichtig. Mehrfach haben zum Beispiel Pharmahersteller im Königreich vor den Folgen eines chaotischen Brexit ohne Austrittsabkommen mit der EU gewarnt.

Da 75 Prozent der aus der EU importierten Arzneimittel derzeit über die britischen Seehäfen wie Dover kommen, erwartet die Londoner Regierung, dass es schon bald nach einem ungeregelten Brexit zu erheblichen Versorgungsengpässen bei der medizinischen Versorgung der Patienten kommen könnte. Auch Produkte, die zur Pharmaherstellung gebraucht werden, wären betroffen.

Zwar haben britischen Kliniken und Gesundheitsverwaltungen in den vergangenen Woche Arzneimittel-Vorräte angelegt. Doch nicht alle Medikamente sind lagerfähig und dies sorgt die Ärzteschaft. Es bestehe die „reale Gefahr“, dass es im Herbst und Winter zu „ernsthaften Versorgungsengpässen im NHS“ kommen könne, warnte mehrfach der britische Ärztebund (British Medical Association).

Dass die Angst vor einem potenziell lebensbedrohlichen Medikamente-Mangel keine Panikmache der für einen Verbleib in der EU plädierenden Remainer ist, wurde gerade von der Londoner Regierung bestätigt.

Zuvor hatte das Unterhaus Downing Street gezwungen, seine Notfallpläne für einen No Deal publik zu machen. Und die Lektüre schockt! Britische Seehäfen wie Dover dicht und bis zu zwei Tage Wartezeit im Warenverkehr. Unruhen und Plünderungen auf den Straßen. Und in der Onkologie und in dutzenden anderen Therapiebereichen schon bald ein Mangel an benötigten Medikamenten. Kein Wunder, dass Johnson bis zuletzt versucht hatte, diese Notfallpläne geheim zu halten.

Verhandelt Johnson ernsthaft?

Und jetzt? Für Johnson und sein Team ist Business as usual. Der Premier plant, zunächst am 14. Oktober die neue Sitzungsperiode des Parlaments einzuläuten, um dann zwei Tage später zum entscheidenden EU-Gipfel zu reisen. Angeblich in der Hoffnung, quasi in letzter Minute doch noch Zugeständnis von er EU und damit ein neues Austrittsabkommen zu erreichen.

Was freilich zum einen äußerst fraglich ist, weigert sich Brüssel doch hartnäckig, das bereits mit Johnsons Vorgängerin Theresa May ausgehandelte Abkommen aufzuschnüren. Nicht überraschend war zudem, was die ehemalige Energieministerin im Kabinett Johnson, Amber Rudd, bei ihrem Rücktritt von allen Regierungsämtern sagte: Sie habe den Eindruck, dass die Regierung Johnson „nicht wirklich ernsthaft“ an einem geregelten Austritt arbeite. Und das sorge sie sehr, so die Ex-Ministerin. Johnson verbringe stattdessen „80 bis 90 Prozent“ seiner Zeit damit, einen chaotischen Brexit vorzubereiten.

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