Standes- oder Berufspolitiker

Wer ist schuld am Ärztemangel?

Haben Gesundheitspolitiker mit ihrer massiven Kritik an Ärzten das Vertrauen in den Berufsstand untergraben oder haben die Ärzte selbst ihren Beruf schlechtgeredet und so den Ärztemangel forciert? Darüber gibt es immer öfter Streit.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Dienstbesprechung: Ärzte genießen jenseits der politischen Debatten oft ein sehr hohes Ansehen.

Dienstbesprechung: Ärzte genießen jenseits der politischen Debatten oft ein sehr hohes Ansehen.

© Sands / Digital Vision / Thinkstock

DÜSSELDORF. Die Politik hat in den vergangenen Jahren mit verschiedenen Initiativen das Ansehen der Heilberufe untergraben und darf sich deshalb jetzt nicht über den Nachwuchsmangel wundern.

Das findet Dr. Wolfgang Eßer, der Vorstandsvorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV).

"Es wird im Gesundheitswesen ein Klima des Misstrauens gefördert", sagte Eßer auf dem apoForum der Deutschen Apotheker- und Ärztebank und des Pharmaunternehmens Novartis in Düsseldorf. "Das Anti-Korruptionsgesetz ist in meinen Augen ein beredtes Beispiel."

Um den Nachwuchs für den Beruf des Arztes, Zahnarztes oder Apothekers zu gewinnen, müssten die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass sie als Anreiz und nicht als Abschreckung wahrgenommen werden, betonte er.

"Das Anti-Korruptionsgesetz ist kein Punkt, mit dem man den Heilberuf für junge Menschen attraktiver machen kann."

Nur noch Dienstleister?

Der oberste Kassenzahnarzt engagiert sich seit vielen Jahren in der Gesundheitspolitik. "Ich erlebe eine stetige und schleichende Abkehr vom Bekenntnis zur Selbstverwaltung und von freiberuflichen Strukturen."

Auf der anderen Seite erhielten Institutslösungen ein zunehmend stärkeres Gewicht. "Die Heilberufe werden immer mehr in die Rolle des reinen Dienstleisters und des Leistungserbringers gedrückt", kritisierte er.

Eßer kann nicht nachvollziehen, dass Ärzte und Zahnärzte bei der Nationalen Präventionskonferenz außen vor bleiben sollen, in jenem Gremium, in dem über Präventionsziele und -strategien beraten wird. "Werden hier sachgerechte Impulse gesetzt?", fragte er.

Ingrid Fischbach (CDU), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, hielt die Kritik für übertrieben.

"Wir stehen hinter der Freiberuflichkeit", reklamierte sie zumindest für ihre Partei. Wenn der Gesetzgeber sehe, dass manche Dinge in der Hand der Selbstverwaltung schief laufen, müsse er eingreifen.

Die Schwierigkeiten bei der Nachwuchswerbung hätten sich die Heilberufe zum Teil selbst zuzuschreiben, da sie immer darauf hinweisen, was alles schlecht ist, sagte Fischbach. "Beispiele positiver Art könnten junge Leute motivieren."

Im ärztlichen Bereich sei es eine zentrale Herausforderung, die Attraktivität der selbstständigen Arztpraxis zu erhalten, sagte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Andreas Gassen.

"Nur mit hausärztlichen und fachärztlichen Einzel- und Gemeinschaftspraxen kann man die wohnortnahe Versorgung sicherstellen."

Kritik an Zwangsaufkäufen

Medizinische Versorgungszentren seien da keine Alternative. "Die einzigen Versorgungszentren, die sich rechnen, sind umgewidmete Gemeinschaftspraxen", betonte Gassen.

Von der Vorstellung, mit finanziellen Anreizen Ärzte auf das Land locken zu können, sollte sich die Gesundheitspolitik nach seiner Ansicht verabschieden. In vielen Orten werde es künftig keinen Arzt mehr geben, so wie es auch keine Anwälte, keine Feuerwehr oder keine Polizisten mehr gibt.

"Warum soll sich ein Kollege dort niederlassen, wo sonst niemand mehr ist?" Klar sei, dass die verfehlte Strukturpolitik nicht über die ärztliche Daseinsvorsorge geregelt werden könne, sagte Gassen.

Praxisaufkäufe in überversorgten Gebieten hält er jedenfalls für ein untaugliches Mittel, um Ärzte aufs Land zu bringen. "Es ist naiv zu meinen, wenn ich dem Arzt die Niederlassung in der Stadt verweigere, dass er dann in die Uckermark geht."

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