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"EMA ohne die Briten? Nur schwer vorstellbar"

Dass die EU-Arzneibehörde EMA aufs Festland verlagert wird, ist klar. Doch wie verhält sich Großbritannien künftig zur Arzneiregulation der EU? Gesundheitsminister Hunt hat erstmals laut nachgedacht.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Bloggt für die "Ärzte Zeitung" aus London: Arndt Striegler.

Bloggt für die "Ärzte Zeitung" aus London: Arndt Striegler.

© privat

LONDON. Vermutlich kennen Sie das: Tausend Dinge sind noch zu erledigen, die Uhr tickt und eigentlich ist klar, dass es unmöglich ist, alle Tagesaufgaben abzuhaken, bevor das Abendessen auf dem Tisch steht.

Genau so dürften sich gerade viele im Londoner Regierungsviertel Whitehall fühlen, die die undankbare Aufgabe haben, bis März 2019 mit der EU alle Details des Brexit auszuhandeln.

Schätzungsweise mehr als 20.000 Gesetze und Bestimmungen müssen in den kommenden noch verbleibenden rund 18 Monaten neu verhandelt und ausformuliert werden!

Was bedeutet enge Zusammenarbeit?

Der Grund, warum ich an diese hoffnungslos überforderten Whitehall-Beamten denke: Der britische Gesundheitsminister Jeremy Hunt stellte kürzlich erstmals öffentlich klar, dass Großbritannien auch nach dem EU-Austritt weiterhin "Interesse" an einer engen Zusammenarbeit mit der European Medicines Agency (EMA) hat.

Die Agentur, ohne die in der EU kein neues verschreibungspflichtiges Arzneimittel in Arztpraxen und Kliniken kommt, sitzt derzeit noch in London. Noch, denn spätestens zum März 2019 muss sie ihren Standort wechseln.

Hunts klare Ansage kommt zu einer Zeit, in der fast alles immer noch unklar ist, was der Brexit für das britische Gesundheitswesen und für Millionen Patienten aus Großbritannien und aus der EU bedeuten wird.

Klare Ansagen aus London werden zwar dringend herbeigesehnt, lassen aber bislang auf sich warten. Was in Großbritannien nicht nur Ärzte und Pharmaindustrie umtreibt, sondern auch die eingangs erwähnten Beamten.

Britische Wissenschaftler federführend

Der Brexit-Blog der "Ärzte Zeitung"

» Seit mehr als zwei Jahrzehnten berichtet Arndt Striegler für die „Ärzte Zeitung“ aus Großbritannien. Den Umbruch durch den Brexit spürt er am eigenen Leib – etwa als Patient im Gesundheitsdienst NHS.

» Die Versuchsanordnung ist einmalig: Ein von der Globalisierung geprägtes Gesundheitswesen soll renationalisiert werden. Das durchkreuzt Lebenspläne von Ärzten und Pflegekräften aus dem Ausland.

» Im Wochenrhythmus schildert Blogger Arndt Striegler, der seit 31 Jahren auf der Insel lebt, von nun an die politischen und kulturellen Folgen des Brexit.

Lesen Sie dazu auch: "Es wird nichts sein wie früher!"

Immerhin: Seit Kurzem wissen wir, dass London auch nach dem EU-Aus weiter eng mit EMA kooperieren will. Dass die Briten bislang bei der EMA eine wichtige Rolle spielten, zeigt schon die Tatsache, dass gegenwärtig jede fünfte Evaluierung eines neuen Produktes von britischen Wissenschaftlern vorgenommen oder zumindest federführend begleitet wird. Die EMA ohne die Briten? Nur schwer vorstellbar.

Freilich: Wie bei so vielen unbeantworteten Fragen zum Brexit steckt auch hier der Teufel im Detail. Zwar verlautete aus London, dass man der EU einen Sonder-Deal anbieten möchte, wonach die EMA auch nach dem Brexit weiterhin Zulassungen vergibt, die dann auch für Großbritannien gelten.

Wobei allerdings zunächst noch die britische Regierung (anstatt der EU-Kommission) ihr finales Ok geben müsste. Das würde es Großbritannien erlauben, Arzneimittelzulassungen nach britischem Recht zu vergeben und damit gleichzeitig die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs auszuhebeln.

Die Euro-Richter sind für Premierministerin Theresa May bekanntlich ein dunkel-rotes Tuch und eines ihrer Hauptargumente für einen harten Brexit – man möchte nicht länger dem Europäischen Gerichtshof unterliegen.

Viele in Brüssel halten das alles zwar nach wie vor für Wunschdenken, aber zumindest zeigt Hunts Stellungnahme, dass man sich in London inzwischen ernsthaft Gedanken darüber macht, wie eine reibungslose Arzneimittelversorgung auch nach dem Brexit aussehen könnte.

"Fantasten und Tagträumer"

Ansonsten hat man auf der Insel weiterhin den Eindruck, dass die Regierung May weder eine klare Brexit-Strategie hat, noch genau weiß, wohin die Reise überhaupt gehen soll.

"Fantasten und Tagträumer" – so charakterisierte kürzlich ein Kollege die britische Politik-Elite. Es ist bezeichnend für das Chaos im Regierungslager, dass Gesundheitsminister Hunt nicht etwa die offiziellen Kanäle der Downing Street nutzte, um sich mitzuteilen, sondern er schickte dafür einen Leserbrief an die "Financial Times".

"Good news for patients and industry", lobte Steve Bates, Hauptgeschäftsführer der britischen BioIndustry Association, die jüngsten Äußerungen aus dem Londoner Gesundheitsministerium. Gute Nachrichten – leider sind sie bislang hier die große Ausnahme.

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