Arndt Striegler bloggt

"In limbo" – EMA-Mitarbeiter wissen derzeit gar nichts

Unter den Mitarbeitern der Europäischen Arzneimittelagentur macht sich Nervosität breit. Niemand weiß, wann der Umzug losgeht und wohin. Ganz nebenbei geht es dabei auch um die Gewährleistung der Sicherheit von Patienten. Von Arndt Striegler

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Bloggt für die "Ärzte Zeitung" aus London: Arndt Striegler.

Bloggt für die "Ärzte Zeitung" aus London: Arndt Striegler.

© privat

LONDON. Wer gehofft hatte, dass es inzwischen endlich mehr Klarheit gibt, wie der Brexit genau aussieht, dürfte schwer enttäuscht sein. Außer einigen mehr oder weniger netten Worten, ließ die britische Premierministerin Theresa May auch bei ihrer jüngsten Rede in Florenz abermals offen, was der Brexit genau bedeuten wird. Das sorgt neben der britische Pharmabranche, auch hunderte Mitarbeiter, die in London für die Europäische Arzneimittelbehörde (European Medicines Agency, EMA) arbeiten. Denn die rund 900 Mitarbeiter beschäftigende Agentur muss umziehen. Wohin? Unklar. Wann? Wohl nach dem Ausscheiden der Briten aus der EU, also im März 2019.

Die Briten haben die schöne Wortkombination "in limbo". Damit ist ein Zustand gemeint, in dem nicht klar ist, wie es weitergehen wird. Und "totally in limbo" fühlen sich viele EMA Mitarbeiter derzeit, wie mir ein befreundeter Wissenschaftler, der seit Jahren hier in London für die Agentur arbeitet, kürzlich bei einem Treffen im lokalen Pub sagte. "Das ist schon sehr belastend, wenn man nicht weiß, wo man in Zukunft arbeiten wird – vor allem, wenn auch noch Kinder im schulpflichtigen Alter involviert sind." Der Mann kann einem leidtun.

Die EMA plant schon mal vor

Zwar hat die EMA einen ziemlich cleveren Plan in der Schublade, wie man mit dem nervigen Umzug dieser für die Arzneimittelsicherheit in Deutschland und in ganz Europa so wichtigen Behörde umzugehen gedenkt. Dabei geht die Agentur davon aus, dass Großbritannien im März 2019 "ein drittes Land" (also ein Land außerhalb der EU) werden wird. "Wir müssen sicherstellen, dass trotzdem die Evaluierungsarbeit reibungslos weiter läuft", so die Agentur. Gut!

Der Brexit-Blog der "Ärzte Zeitung"

» Seit über 20 Jahren berichtet Arndt Striegler für die „Ärzte Zeitung“ aus Großbritannien. Den Umbruch durch den Brexit spürt er am eigenen Leib – etwa als Patient im Gesundheitsdienst NHS.

» Die Versuchsanordnung ist einmalig: Ein von der Globalisierung geprägtes Gesundheitswesen soll renationalisiert werden. Das durchkreuzt Lebenspläne von Ärzten und Pflegekräften aus dem Ausland.

» Im Wochenrhythmus schildert Blogger Arndt Striegler, der seit 31 Jahren auf der Insel lebt, von nun an die politischen und kulturellen Folgen des Brexit.

» Lesen Sie dazu auch: Boris Johnsons Wundertüte

Im Juni 2017 stimmte das EMA-Management deshalb dafür, zwei interne Arbeitsgruppen zu formieren – eine zuständig für Human-Arzneimittel, eine für Veterinärprodukte. Aufgabe dieser derzeit emsig hinter den Kulissen arbeitenden Arbeitsgruppen ist es, dafür zu sorgen, dass alle EU-Bürger auch nach dem Ausstieg der Briten, Zugang zu innovativen Arzneimittel haben werden. Davon hängen buchstäblich Millionen Patientenleben ab.

Ich erwähne das an dieser Stelle mal, weil allzu oft im Brexit-Talk nur über Geld und Souveränitätsverluste beziehungsweise -gewinne geredet wird, nicht aber über sehr wichtige Detailfragen wie dieser.

Zurück zu meinem EMA-Kumpel und seinen EMA-Kollegen. "Wir sind alle ziemlich nervös", gestand er mir nach dem zweiten Pint Bier. Viele Kolleginnen und Kollegen hätten inzwischen sogar schon Kontakt mit Headhuntern, also Arbeitsvermittlern, aufgenommen für den Fall, dass irgendwas entweder mit dem Brexit und mit der EMA schiefgehen sollte. Sicher ist sicher.

Die EMA befragte außerdem intern ihre Mitarbeiter, in welche Länder und Städte sie gerne umziehen würden. Um es gleich zu sagen: Die meisten würden lieber in London bleiben, statt die Koffer zu packen. Doch das scheint keine realistische Option mehr zu sein, seitdem die regierenden Tories unter May klar stellten: "Brexit heißt Brexit!"

EMA-Wegzug ist ein schwerer Schlag

Am liebsten würden die EMA-Mitarbeiter demnach nach Amsterdam, Barcelona, Wien und Kopenhagen umsiedeln, berichtete jetzt die schwedische Tageszeitung "Dagens Nyheter". Der Grund, warum das Thema in Schweden von Interesse ist: Auch Stockholm würde die Agentur gerne willkommen heißen, hat aber derzeit eine akute Immobilienkrise. Es fehlt an bezahlbarem Wohnraum. Wohnraum ist aber einer der Faktoren, der bei der EMA-Mitarbeiterbefragung wichtig war. 81 Prozent der Mitarbeiter würden zum Beispiel mit nach Amsterdam umziehen.

Mit einer Entscheidung, wohin die Reise letztlich gehen wird, wird für November gerechnet. "Am 20. November wird das in Brüssel entschieden.

Für London wird der Wegzug der Agentur nicht nur wirtschaftlich ein weiterer schwerer Schlag sein. Tausende Arbeitsplätze, die etwas mit der Agentur zu tun haben – weg. Weniger Besucher, da EMA-Events künftig nicht mehr auf der Insel stattfinden werden. Und natürlich auch ein Imageverlust, weil mit der EMA eine angesehene, wissenschaftlich arbeitende Institution Goodbye sagt.

Was freilich nur eine von vielen Sorgen sein dürfte, die Theresa May und ihr – ehrlich gesagt – ziemlich inkompetent wirkendes Brexit-Verhandlungsteam in diesen Tagen sorgen dürfte. Je mehr Zeit verstreicht, ohne dass die Briten klare Ansagen machen, was beispielsweise mit finanziellen Verpflichtungen, die vor dem Brexit-Votum eingegangen wurden, ist oder was mit mehr als drei Millionen in Großbritannien lebenden und arbeitenden EU-Bürgern geschehen soll, solange dürfte mein EMA-Kumpel abends nach der Arbeit im Pub das eine oder andere Bier extra trinken, um seine Zukunftsängste für ein paar Stunden vergessen zu können....

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