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Bremst der Brexit den Digitalisierungskurs des NHS?

Der Nationale Gesundheitsdienst NHS wird auch mit Fördermillionen der EU ins digitale Zeitalter gehievt. Was aus der IT-Modernisierung nach März 2019 wird, ist ungewiss. Immer mehr Fachleute betonen den Nutzen, den das Gesundheitswesen aus der Kooperation mit EU-Partnern zieht.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Bloggt für die "Ärzte Zeitung" aus London: Arndt Striegler.

Bloggt für die "Ärzte Zeitung" aus London: Arndt Striegler.

© privat

LONDON. Kaum ein Tag vergeht derzeit in Großbritannien, an dem nicht neue Hiobsbotschaften bekannt werden, wie folgenschwer sich der Brexit auf das britische Gesundheitswesen auswirken wird.

Ob Arzneimittelzulassungen oder radioaktive Stoffe und Materialien, die zum Beispiel in der britischen Onkologie gebraucht werden und deren Überwachung und Reglementierung EU-weit gehandhabt wird – um nur zwei Beispiele zu nennen.

Jüngste Nachricht in dieser Reihe: Auch die Digitalisierung britischer Kliniken und Arztpraxen wird "höchst wahrscheinlich schweren Schaden nehmen" als Folge der britischen Scheidung von der EU. Konkret geht es darum, dass das Gesundheitsministerium in enger Zusammenarbeit mit der Londoner Stadtverwaltung vor einigen Jahren eine Initiative gestartet hat, um den staatlichen britischen Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) informationstechnisch auf den neuesten Stand zu bringen. Dazu wurde eine neue Agentur namens "Digital Health" gegründet, die sich darum kümmern soll, dass Kliniken, Primärarztpraxen und andere Stellen des NHS IT-mäßig gut vernetzt sind.

Adé, ihr EU-Fördermillionen!

Die Agentur fungiert nicht zuletzt als Matchmaker, vermittelt also Kontakte zwischen staatlichen Gesundheitseinrichtungen und privaten Unternehmen und Anbietern aus der IT-Branche. Alles zum Wohle der Patienten und Ärzte – denn jeder, der schon einmal in Großbritannien medizinisch behandelt wurde, weiß, wie vorsintflutartig in einigen Kliniken und Praxen nach wie vor mit Patientendaten umgegangen wird ("Ich muss mal jemanden ins Archiv schicken, um Ihre alte Akte zu holen.").

Doch seit dem Brexit-Votum der Briten im Juni 2016 ziehen dunkle Wolken auf über "Digital Health". Denn die Agentur erhält finanzielle Unterstützung aus EU-Töpfen. Zuletzt waren es umgerechnet rund zwei Millionen Euro. "Ohne das Geld aus Brüssel werden wir nicht weiter arbeiten können", gestand Tara Donnelly, die "Digital Health" leitet. Und: "Ich sorge mich ernsthaft, wie es nach dem Brexit weiter gehen soll!"

Die Agentur steckt derzeit in einem dreijährigen IT-Modernisierungsprogramm für den NHS, für das sich in diesem Jahr allein 127 britische und europäische IT-Anbieter beworben haben und von denen letztlich 30 den Zuschlag bekamen.

Ein gutes Beispiel, wie erfolgreich die Agentur arbeitet , ist das Unternehmen "DrDoctor". Es sorgt dafür, dass NHS-Patienten rechtzeitig an ihre Klinik- oder Arzttermine erinnert werden. Bevor "Digital Health" es unter seine Fittiche nahm, erreichte "DrDoctor" jährlich rund 1.8 Millionen Patienten in Großbritannien. Nach einer digitalen Verjüngungskur durch EU-Gelder erreicht man heute 5.5 Millionen Patienten. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass sich die Zahl der verpassten Kliniktermine von Patienten im Londoner Guys und St. Thomas Hospital um mehr als 40 Prozent verringerten. Kein Einzelfall.

Vorteilhafte Kooperation

Kein Wunder, dass Ärzte und Klinikmanager eindringlich vor den Brexit-Folgen für die Digitalisierung des NHS warnen. "Der NHS profitiert in vielerlei Hinsicht aus einer engen Zusammenarbeit mit unseren europäischen Freunden und Partnern", sagte ein Sprecher des größten britischen Ärzteverbandes (British Medical Association, BMA). Doch was geschieht im März 2019, wenn Großbritannien die EU verlässt? Das ist weiter unklar.

Ebenfalls erstaunlich: Nachdem auch die jüngste Runde des Brexit-Pokers zwischen London und Brüssel mehr oder weniger ergebnislos abgehakt werden musste, scheint in Londoner Regierungskreisen Unklarheit zu herrschen, wann die nächste Gesprächsrunde startet und was dabei verhandelt werden soll. Jedenfalls verliefen meine Anfragen in der Downing Street vergangene Woche im Sande.

Last but not least: Ebenfalls vergangene Woche wurde bekannt, dass die britische Regierung still und leise insgesamt 58 Studien über die Folgen des Brexit auf das britische Gesundheitswesen und andere Bereiche des öffentlichen Lebens in Auftrag gegeben hat. Allerdings weigert sie sich, diese Ergebnisse zu veröffentlichen! Ob die Reports zu viele schlechte News enthalten? Je länger das Brexit-Drama läuft, desto skurriler wird es. Höchste Zeit, dass die Queen mal ein Machtwort spricht. Was freilich auch nicht geht, denn die Queen darf sich gar nicht politisch äußern.

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