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Brexit-Poker 2018 – sicher sind nur die vollen Wartesäle im NHS

Das Jahr 2017 klingt etwas versöhnlich aus. Doch der erste Verhandlungserfolg im Brexit-Poker kann nicht über die schon jetzt handfesten Nachteile hinwegtäuschen: Weil Gesundheitspersonal abwandert, werden die Warteschlangen im NHS immer länger.

Arndt StrieglerVon Arndt Striegler Veröffentlicht:
Bloggt für die "Ärzte Zeitung" regelmäßig aus London: Arndt Striegler.

Bloggt für die "Ärzte Zeitung" regelmäßig aus London: Arndt Striegler.

© privat

Dieser Tage erhielt ich elektronische Post direkt von der britischen Innenministerin Amber Rudd. Die E-Mail, die mit "Dear Arndt" begann und mit "Frohe Weihnachten – Ihre Amber Rudd, Innenministerin" endete, enthält inhaltlich wenig Neues: Dass sich London und Brüssel nun auf den Rahmen für die zweite Phase der Brexit-Verhandlungen, bei der es vornehmlich um Handel geht, geeinigt haben. Und dass die besonders kniffligen Fragen wie die irische Grenzfrage, die Austrittszahlungen Großbritanniens an die EU und – für mich und rund drei Millionen EU-Bürger in Großbritannien besonders wichtig – die künftigen Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien geklärt sind.

Gerade der letzte Punkt, die Rechte von EU-Bürgern im Königreich, ist für das staatliche britische Gesundheitswesen (National Health Service, NHS) wichtig. Denn im NHS arbeiten heute zehntausende Ärzte, Krankenschwestern und –pfleger und weiteres Gesundheitspersonal aus der EU, ohne die das Gesundheitswesen auf der Insel nicht funktionieren würde.

Die Tatsache, dass es seit dem Austrittsvotum rund 18 Monate dauerte, bis den EU-Bürgern zumindest einige Garantien gegeben wurden, ob wir nach März 2019 noch im Land bleiben dürfen – diese Tatsache hat im Gesundheitswesen deutlichen Schaden angerichtet. Tausende qualifizierte NHS-Bedienstete haben das Land verlassen. Und das spürt man.

Der Personalmangel ist spürbar

"Wir haben erstmals seit Jahren wieder zwei bis drei Tage Wartezeiten, um einen Hausarzt konsultieren zu können", verriet mir diese Woche eine befreundete Allgemeinärztin aus meiner Nachbarschaft. Und: "Ich sorge mich ernsthaft, wie wir durch diesen Winter kommen werden. Es fehlt so viel Personal!"

Ein Blick in den Warteraum meines örtlichen Krankenhauses, St. Thomas schräg gegenüber von Big Ben gelegen, bestätigt die Misere: Dort sitzen zu fast jeder Tages- oder Nachtzeit zwischen 60 und 70 Patienten und warten auf Versorgung. So voll, nein: überfüllt, habe ich den Warteraum dort noch nie gesehen. Und ich gehe seit mehr als 30 Jahren in diese Klinik.

Unterdessen bemühen sich EU-Vertreter in London darum, Journalisten der 27 verbleibenden EU-Staaten, die im Königreich akkreditiert sind, mit Informationen zu versorgen. Das ist dringend nötig, zumal die britischen Medien, die mehrheitlich für einen harten Brexit sind, seit Monaten falsche oder zumindest sehr einseitige "Informationen" unters Volk bringen.

Durchbruch? Sehr unwahrscheinlich!

EU-Chefunterhändler Michel Barnier schickte zu Beginn der Woche eigens seinen Vertreter Stefaan de Rynck nach London, um mir und anderen Korrespondenten zu erklären, wie es aus EU-Sicht im kommenden Jahr weitergehen soll. Um ein langes Briefing kurz zusammen zu fassen: Brüssel rechnet nicht mit einem schnellen Durchbruch, sondern stellt sich auf "äußerst schwierige" Verhandlungen ein. Wobei der Teufel im Detail stecken dürfte.

Von alldem ist in "Dear Arndt"-Mail der britischen Innenministerin natürlich keine Rede. Auch nicht von dem vergifteten innenpolitischen Klima in Großbritannien, wo die britische Gesellschaft ungefähr 50 zu 50 gespalten ist, ob Brexit wirklich eine gute Sache ist – oder aber nicht. Gerade haben EU-freundliche Zeitungen neue Meinungsumfragen veröffentlicht, wonach erstmals eine knappe Mehrheit der Briten für einen Verbleib in der EU ist. Was immer das neue Jahr bringen wird: Langweilig dürfte es "dank" Brexit und den damit zusammen hängenden politischen Kapriolen nicht werden.

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